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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die preußische verwaltnngsorganisation früher

Staatsministerium vorgetragen werden. Dazu gehörten u. a. neue Gesetz¬
entwürfe, Abweichungen in den Ansichten zwischen den einzelnen Ministern und
Vorschläge wegen der Anstellung der leitenden Beamten der Verwaltung und
der Justiz. Dagegen blieben die Vorschläge zur Besetzung der Stellen der
vortragenden Räte bei den einzelnen Ministerien den diese leitenden Ministern
allein überlassen.

An die Spitze der neugebildeten Provinzen traten Einzelbeamte, die Ober¬
präsidenten. Die Kriegs- und Domänenkammern wurden unter Beibehaltung
der kollegialischer Verfassung in Regierungen umgewandelt. Diese waren der
Mittelpunkt der laufenden Verwaltung im Lande. Sie wurden geleitet von
Regierungspräsidenten und zerfielen in Fachabteilungen unter besondern
Abteilungsdirigenten; seit 1826 gab es in der Regel drei, die Abteilung des
Innern für Lcmdeshoheits- und Landespolizeisachen, und je eine Abteilung für
Kirchen- und Schulwesen und Finanzsachen. Unmittelbar unter den Regierungen
standen gleichberechtigt die Landräte und die Behörden der großen Städte,
und unter den Landräten schließlich die Behörden der zum Kreise gehörigen
Gemeinden.

Alle die bisher genannten Behörden waren einander untergeordnet. So
konnte es kommen, daß eine Sache von der Ortsbehörde bis zum Ministerium
fünf Stellen zu durchlaufen hatte.

Sonst sind noch zu erwähnen die Geueralkommissionen, die 1811 für die
in der gleichzeitigen Agrargesetzgebung angeordnete Auseinandersetzung zwischen
den Gutsherren und ihren Gutsuntertanen über die gegenseitigen Rechte und
Pflichten eingesetzt wurden. Sie hatten für die örtliche Erledigung der
Geschäfte eigne Organe, die Spezialkommissare.

Auch in dieser ganzen Neuordnung sieht Lotz das erwähnte Naturgesetz
verwirklicht. Aber auch Freiherr von Zedlitz rühmt die Einfachheit, Einheitlich¬
keit und Folgerichtigkeit dieser Organisation, da sie nur zwei entscheidende
Stellen gekannt habe, die Ministerien und die Regierungen. Straffe büreau¬
kratische Zentralisation ist nach ihm ihr Grundzug.

Über die Stellung der Minister ist er andrer Ansicht als Lotz. Dieser
meint, daß sie, von allen Dienstgeschäften entlastet, der Aufstellung der obersten
Verwaltungsgrundsätze und der Aufsicht über deren Durchführung ihre ganze
Kraft hätten widmen sollen. Freiherr von Zedlitz weist dagegen darauf hin,
daß die Ministerien im großen Umfang mit Einzelheiten der Provinzial-
verwaltung befaßt gewesen seien. Daß diese Auffassung richtiger ist als die
Lotzsche, ergibt sich schon daraus, daß die Ministerien die oberste Beschmerde-
instanz waren.

Dagegen kann ich Freiherrn von Zedlitz in seinem Urteil über die Stellung
des Oberpräsidenten nicht beistimmen. Er behauptet, daß dieser zwar nicht rein
dekorativ gedacht gewesen sei, aber er sei doch so lose in die Verwaltungs-
organisation eingefügt gewesen, daß seine Beseitigung keine sehr fühlbaren Lücken


Die preußische verwaltnngsorganisation früher

Staatsministerium vorgetragen werden. Dazu gehörten u. a. neue Gesetz¬
entwürfe, Abweichungen in den Ansichten zwischen den einzelnen Ministern und
Vorschläge wegen der Anstellung der leitenden Beamten der Verwaltung und
der Justiz. Dagegen blieben die Vorschläge zur Besetzung der Stellen der
vortragenden Räte bei den einzelnen Ministerien den diese leitenden Ministern
allein überlassen.

An die Spitze der neugebildeten Provinzen traten Einzelbeamte, die Ober¬
präsidenten. Die Kriegs- und Domänenkammern wurden unter Beibehaltung
der kollegialischer Verfassung in Regierungen umgewandelt. Diese waren der
Mittelpunkt der laufenden Verwaltung im Lande. Sie wurden geleitet von
Regierungspräsidenten und zerfielen in Fachabteilungen unter besondern
Abteilungsdirigenten; seit 1826 gab es in der Regel drei, die Abteilung des
Innern für Lcmdeshoheits- und Landespolizeisachen, und je eine Abteilung für
Kirchen- und Schulwesen und Finanzsachen. Unmittelbar unter den Regierungen
standen gleichberechtigt die Landräte und die Behörden der großen Städte,
und unter den Landräten schließlich die Behörden der zum Kreise gehörigen
Gemeinden.

Alle die bisher genannten Behörden waren einander untergeordnet. So
konnte es kommen, daß eine Sache von der Ortsbehörde bis zum Ministerium
fünf Stellen zu durchlaufen hatte.

Sonst sind noch zu erwähnen die Geueralkommissionen, die 1811 für die
in der gleichzeitigen Agrargesetzgebung angeordnete Auseinandersetzung zwischen
den Gutsherren und ihren Gutsuntertanen über die gegenseitigen Rechte und
Pflichten eingesetzt wurden. Sie hatten für die örtliche Erledigung der
Geschäfte eigne Organe, die Spezialkommissare.

Auch in dieser ganzen Neuordnung sieht Lotz das erwähnte Naturgesetz
verwirklicht. Aber auch Freiherr von Zedlitz rühmt die Einfachheit, Einheitlich¬
keit und Folgerichtigkeit dieser Organisation, da sie nur zwei entscheidende
Stellen gekannt habe, die Ministerien und die Regierungen. Straffe büreau¬
kratische Zentralisation ist nach ihm ihr Grundzug.

Über die Stellung der Minister ist er andrer Ansicht als Lotz. Dieser
meint, daß sie, von allen Dienstgeschäften entlastet, der Aufstellung der obersten
Verwaltungsgrundsätze und der Aufsicht über deren Durchführung ihre ganze
Kraft hätten widmen sollen. Freiherr von Zedlitz weist dagegen darauf hin,
daß die Ministerien im großen Umfang mit Einzelheiten der Provinzial-
verwaltung befaßt gewesen seien. Daß diese Auffassung richtiger ist als die
Lotzsche, ergibt sich schon daraus, daß die Ministerien die oberste Beschmerde-
instanz waren.

Dagegen kann ich Freiherrn von Zedlitz in seinem Urteil über die Stellung
des Oberpräsidenten nicht beistimmen. Er behauptet, daß dieser zwar nicht rein
dekorativ gedacht gewesen sei, aber er sei doch so lose in die Verwaltungs-
organisation eingefügt gewesen, daß seine Beseitigung keine sehr fühlbaren Lücken


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[0076] Die preußische verwaltnngsorganisation früher Staatsministerium vorgetragen werden. Dazu gehörten u. a. neue Gesetz¬ entwürfe, Abweichungen in den Ansichten zwischen den einzelnen Ministern und Vorschläge wegen der Anstellung der leitenden Beamten der Verwaltung und der Justiz. Dagegen blieben die Vorschläge zur Besetzung der Stellen der vortragenden Räte bei den einzelnen Ministerien den diese leitenden Ministern allein überlassen. An die Spitze der neugebildeten Provinzen traten Einzelbeamte, die Ober¬ präsidenten. Die Kriegs- und Domänenkammern wurden unter Beibehaltung der kollegialischer Verfassung in Regierungen umgewandelt. Diese waren der Mittelpunkt der laufenden Verwaltung im Lande. Sie wurden geleitet von Regierungspräsidenten und zerfielen in Fachabteilungen unter besondern Abteilungsdirigenten; seit 1826 gab es in der Regel drei, die Abteilung des Innern für Lcmdeshoheits- und Landespolizeisachen, und je eine Abteilung für Kirchen- und Schulwesen und Finanzsachen. Unmittelbar unter den Regierungen standen gleichberechtigt die Landräte und die Behörden der großen Städte, und unter den Landräten schließlich die Behörden der zum Kreise gehörigen Gemeinden. Alle die bisher genannten Behörden waren einander untergeordnet. So konnte es kommen, daß eine Sache von der Ortsbehörde bis zum Ministerium fünf Stellen zu durchlaufen hatte. Sonst sind noch zu erwähnen die Geueralkommissionen, die 1811 für die in der gleichzeitigen Agrargesetzgebung angeordnete Auseinandersetzung zwischen den Gutsherren und ihren Gutsuntertanen über die gegenseitigen Rechte und Pflichten eingesetzt wurden. Sie hatten für die örtliche Erledigung der Geschäfte eigne Organe, die Spezialkommissare. Auch in dieser ganzen Neuordnung sieht Lotz das erwähnte Naturgesetz verwirklicht. Aber auch Freiherr von Zedlitz rühmt die Einfachheit, Einheitlich¬ keit und Folgerichtigkeit dieser Organisation, da sie nur zwei entscheidende Stellen gekannt habe, die Ministerien und die Regierungen. Straffe büreau¬ kratische Zentralisation ist nach ihm ihr Grundzug. Über die Stellung der Minister ist er andrer Ansicht als Lotz. Dieser meint, daß sie, von allen Dienstgeschäften entlastet, der Aufstellung der obersten Verwaltungsgrundsätze und der Aufsicht über deren Durchführung ihre ganze Kraft hätten widmen sollen. Freiherr von Zedlitz weist dagegen darauf hin, daß die Ministerien im großen Umfang mit Einzelheiten der Provinzial- verwaltung befaßt gewesen seien. Daß diese Auffassung richtiger ist als die Lotzsche, ergibt sich schon daraus, daß die Ministerien die oberste Beschmerde- instanz waren. Dagegen kann ich Freiherrn von Zedlitz in seinem Urteil über die Stellung des Oberpräsidenten nicht beistimmen. Er behauptet, daß dieser zwar nicht rein dekorativ gedacht gewesen sei, aber er sei doch so lose in die Verwaltungs- organisation eingefügt gewesen, daß seine Beseitigung keine sehr fühlbaren Lücken

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/76>, abgerufen am 17.06.2024.