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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die preußische Verwaltungsorganisation früher

"erhebliche Gründe obwalteten", dem Kollegium zu entziehen und selbst zu
bearbeiten. Die Kabinettsorder vom 31. Dezember 1825 übertrug diese Befugnis
dann auf die Regierungspräsidenten allein. Seitdem konnten diese also alle
Sachen ganz nach ihrem Belieben an sich ziehen und ohne Mitwirkung des
.Kollegiums selbständig erledigen. Berücksichtigt man endlich, daß auch die einzelnen
Dezernenten eine recht selbständige Stellung hatten, dann wird man wohl nicht
von einer einseitigen Wertschätzung des Kollegialitätsgrundsatzes bei der innern
Einrichtung der Regierungen sprechen dürfen.

Ebenso scheint mir Freiherr von Zedlitz die Stellung der Landräte nicht
richtig zu schildern. Er nennt sie bloße Kommissare der Regierungen, die deren
Beschlüsse vorbereitet und ausgeführt hätten. Das klingt so, als ob die Landrüte
früher ganz unselbständig gewesen wären und erst auf Anweisung von oben
hätten tätig werden dürfen. Einer solchen Auffassung widerstreitet jedoch zunächst,
daß die Landräte die ständigen Vertreter der Regierungen waren. Nach
preußischer Auffassung, die in zahlreichen Entscheidungen der Zentralbehörden
immer wieder gleichmäßig vertreten wurde, hatten sie damit allein eine gewisse
Selbständigkeit, die überdies von den Regierungen beliebig erweitert werden
konnte und auch wurde. Ferner unterstellt die grundlegende Verordnung wegen
verbesserter Einrichtung der Provinzialbehörden vom 30. April 1815 alle Ort¬
schaften des Kreises ohne Rücksicht auf ihre Größe der landrätlichen Aufsicht,
verleiht also den Landräten diesen Ortschaften gegenüber ein selbständiges Aufsichts¬
recht. Und wer sich endlich die Mühe nimmt, auch die Instruktion für die
Landräte und "die ihnen untergeordneten Kreisoffizianten" vom 21.Dezember 1816
durchzusehen, bemerkt sofort, daß jene Auffassung nicht richtig sein kann.
Denn nach dieser Geschäftsanweisung, die zwar selbst keine Gesetzeskraft besaß,
aber als Ausführungsamveisung zu der Verordnung von: 30. April 1815
jahrzehntelang die Grundlage für die landrätliche Tätigkeit abgab, hatten die
Landräte ein großes Feld selbständiger Tätigkeit auf allen Gebieten der innern
Verwaltung, bei der sie von Aufträgen der Regierungen nicht abhängig waren.
Namentlich hatten sie entsprechend der erwähnten Bestimmung der Verordnung vom
30. April 1815 eine weitgehende selbständige Aufsicht über die Verwaltung aller
zum Kreise gehörigen Gemeinden, also auch der Städte. Alle Ortsobrigkeiten
und alle Orts-, Kommunal- und Polizeibeamten im Kreise waren ihnen unter¬
geben und verpflichtet, ihren Verfügungen in Sachen ihres Ressorts unverzüglich
Folge zu leisten. Allerdings hatten sie keine selbständigen Zwangsbefugnisse
und daher selbst keine Mittel, im Weigerungsfalle selbständig Gehorsam zu
erzwingen, sondern mußten in solchen Fällen an die Regierung berichten, die
als einzige preußische Verwaltungsbehörde der damaligen Zeit Zwangsmittel
besaß. Aber das ändert doch nichts daran, daß auch die Landräte ihre
Anordnungen durchsetzen konnten. Es scheint mir also sachlich nicht gerecht¬
fertigt zu sein, den Landräten ein "Imperium" abzusprechen, wie Freiherr
von Zedlitz tut.


Die preußische Verwaltungsorganisation früher

„erhebliche Gründe obwalteten", dem Kollegium zu entziehen und selbst zu
bearbeiten. Die Kabinettsorder vom 31. Dezember 1825 übertrug diese Befugnis
dann auf die Regierungspräsidenten allein. Seitdem konnten diese also alle
Sachen ganz nach ihrem Belieben an sich ziehen und ohne Mitwirkung des
.Kollegiums selbständig erledigen. Berücksichtigt man endlich, daß auch die einzelnen
Dezernenten eine recht selbständige Stellung hatten, dann wird man wohl nicht
von einer einseitigen Wertschätzung des Kollegialitätsgrundsatzes bei der innern
Einrichtung der Regierungen sprechen dürfen.

Ebenso scheint mir Freiherr von Zedlitz die Stellung der Landräte nicht
richtig zu schildern. Er nennt sie bloße Kommissare der Regierungen, die deren
Beschlüsse vorbereitet und ausgeführt hätten. Das klingt so, als ob die Landrüte
früher ganz unselbständig gewesen wären und erst auf Anweisung von oben
hätten tätig werden dürfen. Einer solchen Auffassung widerstreitet jedoch zunächst,
daß die Landräte die ständigen Vertreter der Regierungen waren. Nach
preußischer Auffassung, die in zahlreichen Entscheidungen der Zentralbehörden
immer wieder gleichmäßig vertreten wurde, hatten sie damit allein eine gewisse
Selbständigkeit, die überdies von den Regierungen beliebig erweitert werden
konnte und auch wurde. Ferner unterstellt die grundlegende Verordnung wegen
verbesserter Einrichtung der Provinzialbehörden vom 30. April 1815 alle Ort¬
schaften des Kreises ohne Rücksicht auf ihre Größe der landrätlichen Aufsicht,
verleiht also den Landräten diesen Ortschaften gegenüber ein selbständiges Aufsichts¬
recht. Und wer sich endlich die Mühe nimmt, auch die Instruktion für die
Landräte und „die ihnen untergeordneten Kreisoffizianten" vom 21.Dezember 1816
durchzusehen, bemerkt sofort, daß jene Auffassung nicht richtig sein kann.
Denn nach dieser Geschäftsanweisung, die zwar selbst keine Gesetzeskraft besaß,
aber als Ausführungsamveisung zu der Verordnung von: 30. April 1815
jahrzehntelang die Grundlage für die landrätliche Tätigkeit abgab, hatten die
Landräte ein großes Feld selbständiger Tätigkeit auf allen Gebieten der innern
Verwaltung, bei der sie von Aufträgen der Regierungen nicht abhängig waren.
Namentlich hatten sie entsprechend der erwähnten Bestimmung der Verordnung vom
30. April 1815 eine weitgehende selbständige Aufsicht über die Verwaltung aller
zum Kreise gehörigen Gemeinden, also auch der Städte. Alle Ortsobrigkeiten
und alle Orts-, Kommunal- und Polizeibeamten im Kreise waren ihnen unter¬
geben und verpflichtet, ihren Verfügungen in Sachen ihres Ressorts unverzüglich
Folge zu leisten. Allerdings hatten sie keine selbständigen Zwangsbefugnisse
und daher selbst keine Mittel, im Weigerungsfalle selbständig Gehorsam zu
erzwingen, sondern mußten in solchen Fällen an die Regierung berichten, die
als einzige preußische Verwaltungsbehörde der damaligen Zeit Zwangsmittel
besaß. Aber das ändert doch nichts daran, daß auch die Landräte ihre
Anordnungen durchsetzen konnten. Es scheint mir also sachlich nicht gerecht¬
fertigt zu sein, den Landräten ein „Imperium" abzusprechen, wie Freiherr
von Zedlitz tut.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/79>, abgerufen am 17.06.2024.