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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die preußische vcrwaltungsorgaiiisatio" früher

Nach Freiherr!! von Zedlitz war diese straffe büreaukratische Organisation
vornehmlich durch die Notwendigkeit begründet, die sehr verschiedenen Teile des
1815 neu abgegrenzten Staatsgebiets zu einem einheitlichen Ganzen zusammen¬
zuschweißen. Man habe deshalb schon bei der Einteilung der Provinzen überall
planmäßig den Anschluß an die historischen staatlichen oder ständischen Gebilde
vermieden. Ähnliches behauptet Schwarz. Lotz dagegen rühmt die sorgfältige
Berücksichtigung der geschichtlichen Entwicklung der einzelnen Landesteile bei der
Abgrenzung der Regierungsbezirke. Wer hat nun recht? Nach Heinrich von
Treitschke, dem wir wohl unbedenklich folgen können, entschieden Lotz. Treitschke
preist in seiner Politik die bewunderungswürdige Einteilung der Monarchie in
Provinzen, die in der Tat alte Landschaften seien, die im großen und ganzen
eine gemeinschaftliche Geschichte gehabt hätten und zusammengehalten würde"
durch den Stammescharakter und durch große gemeinschaftliche wirtschaftliche
Interessen. Nur die Provinz Sachsen sei schlecht gebildet, aber nicht durch die
Schuld der preußischen Regierung. Im übrigen sei die Einteilung wunderbar
glücklich getroffen; ein feiner historischer Sinn habe nur anerkannt, was sich in
der Geschichte von selber herausgebildet gehabt habe.

Sowohl Freiherr von Zedlitz als Lotz erkennen die Leistungen der neuen
Verwaltungsbehörden sehr an. "Zentral- und Provinzialbehörden," sagt Lotz
wörtlich, "haben in lebhaften Wechselbeziehungen länger als ein Menschenalter,
namentlich aber bis 1820, Außerordentliches geleistet." Er nennt die Wieder¬
herstellung und Neueinrichtung des Staatsgebiets mit seinen verschieden gearteten,
in Preußen bisher teilweise ganz ungewohnten Verhältnissen und unbekannten
Gegensätzen und die Durchführung der großen innern Reformen auf allen
Gebieten, die mit dem Namen Hardenbergs verknüpft sind.

Aber beide Kritiker behaupten auch, daß die Leistungen der preußischen
Verwaltung schon bald nachgelassen hätten, oder, wie es Lotz ausdrückt, daß
ebenso wie hundert Jahre früher beim Generaldirektorium auch hier "schou an
der voll entfalteten Blüte die ersten Spuren des Melkens" hervorgetreten seien.
Ähnlich urteilen übrigens auch der Minister von Delbrück in seinen Lebens¬
erinnerungen auf Grund seiner Beobachtungen und Erfahrungen als Regierungs¬
referendar in Merseburg und als Hilfsarbeiter der Handels- und Gewerbe¬
abteilung des Finanzministeriums und Treitschke. Nur haben nach diesen beiden
Gewährsmännern die guten Leistungen der innern Verwaltung nicht, wie Lotz
sagt, länger als ein Menschenalter gedauert, also über die vierziger Jahre hinaus,
sondern schon früher, teilweise schon in: Anfang der zwanziger, spätestens im
Laufe der dreißiger ihr Ende erreicht. Freiherr von Zedlitz erklärt diese Ent¬
wicklung dadurch, daß sich die Nachteile der Organisation von selbst in dem
Maße immer stärker bemerkbar gemacht hätten, je fester die neuvereinten Landes¬
teile zusammengewachsen seien. Lotz dagegen führt sie zurück auf die bereits
früher geschilderte Veränderung der allgemeinen Verhältnisse im Laufe des vorigen
Jahrhunderts. Indessen können diese Erklärungen nicht befriedigen.


Die preußische vcrwaltungsorgaiiisatio» früher

Nach Freiherr!! von Zedlitz war diese straffe büreaukratische Organisation
vornehmlich durch die Notwendigkeit begründet, die sehr verschiedenen Teile des
1815 neu abgegrenzten Staatsgebiets zu einem einheitlichen Ganzen zusammen¬
zuschweißen. Man habe deshalb schon bei der Einteilung der Provinzen überall
planmäßig den Anschluß an die historischen staatlichen oder ständischen Gebilde
vermieden. Ähnliches behauptet Schwarz. Lotz dagegen rühmt die sorgfältige
Berücksichtigung der geschichtlichen Entwicklung der einzelnen Landesteile bei der
Abgrenzung der Regierungsbezirke. Wer hat nun recht? Nach Heinrich von
Treitschke, dem wir wohl unbedenklich folgen können, entschieden Lotz. Treitschke
preist in seiner Politik die bewunderungswürdige Einteilung der Monarchie in
Provinzen, die in der Tat alte Landschaften seien, die im großen und ganzen
eine gemeinschaftliche Geschichte gehabt hätten und zusammengehalten würde»
durch den Stammescharakter und durch große gemeinschaftliche wirtschaftliche
Interessen. Nur die Provinz Sachsen sei schlecht gebildet, aber nicht durch die
Schuld der preußischen Regierung. Im übrigen sei die Einteilung wunderbar
glücklich getroffen; ein feiner historischer Sinn habe nur anerkannt, was sich in
der Geschichte von selber herausgebildet gehabt habe.

Sowohl Freiherr von Zedlitz als Lotz erkennen die Leistungen der neuen
Verwaltungsbehörden sehr an. „Zentral- und Provinzialbehörden," sagt Lotz
wörtlich, „haben in lebhaften Wechselbeziehungen länger als ein Menschenalter,
namentlich aber bis 1820, Außerordentliches geleistet." Er nennt die Wieder¬
herstellung und Neueinrichtung des Staatsgebiets mit seinen verschieden gearteten,
in Preußen bisher teilweise ganz ungewohnten Verhältnissen und unbekannten
Gegensätzen und die Durchführung der großen innern Reformen auf allen
Gebieten, die mit dem Namen Hardenbergs verknüpft sind.

Aber beide Kritiker behaupten auch, daß die Leistungen der preußischen
Verwaltung schon bald nachgelassen hätten, oder, wie es Lotz ausdrückt, daß
ebenso wie hundert Jahre früher beim Generaldirektorium auch hier „schou an
der voll entfalteten Blüte die ersten Spuren des Melkens" hervorgetreten seien.
Ähnlich urteilen übrigens auch der Minister von Delbrück in seinen Lebens¬
erinnerungen auf Grund seiner Beobachtungen und Erfahrungen als Regierungs¬
referendar in Merseburg und als Hilfsarbeiter der Handels- und Gewerbe¬
abteilung des Finanzministeriums und Treitschke. Nur haben nach diesen beiden
Gewährsmännern die guten Leistungen der innern Verwaltung nicht, wie Lotz
sagt, länger als ein Menschenalter gedauert, also über die vierziger Jahre hinaus,
sondern schon früher, teilweise schon in: Anfang der zwanziger, spätestens im
Laufe der dreißiger ihr Ende erreicht. Freiherr von Zedlitz erklärt diese Ent¬
wicklung dadurch, daß sich die Nachteile der Organisation von selbst in dem
Maße immer stärker bemerkbar gemacht hätten, je fester die neuvereinten Landes¬
teile zusammengewachsen seien. Lotz dagegen führt sie zurück auf die bereits
früher geschilderte Veränderung der allgemeinen Verhältnisse im Laufe des vorigen
Jahrhunderts. Indessen können diese Erklärungen nicht befriedigen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/80>, abgerufen am 17.06.2024.