Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
vom Adel in der Armee und vom Adel iiberhanpt

Abweichen vom Wege? Ein Vaterlandsfreund kann sich für die Beibehaltung
der adlichen Regimenter doch nur dann ins Zeug legen, wenn er darin einen
Nutzen für die Armee und damit für das gesamte Deutsche Reich erkennt. Wollte
der Adel sie dagegen lediglich zum Vorteil des eigenen Standes erhalten, so
zeigte er damit nur, daß er gleichfalls von der allgemeinen Krankheit der
Selbstsucht durchseucht ist, die den Sondervorteil über das Gemeinwohl stellt.
Die Krone soll sich auf ihre bisherigen treuen Diener im Adel stützen. Gewiß!
Aber schiebt sie die wirklich beiseite, wenn sie sie auf die einzelnen Regimenter
verteilt, wo sie mit ihren vom Feuer der Zeit gestählten Anschauungen von
Person zu Person wirken können? Die Krone steht über den: gesamten Vater¬
lande. Wenn sie nun zur Ergänzung des Offizierkorps auf die bürgerlichen
Kreise angewiesen ist, so kann sie der Frage nach der Gewinnung der tüchtigsten
Bestandteile daraus nicht aus dem Wege gehen. Aber kann sie diese Tüchtigsten
zuni Eintritt in die Armee ermutigen, wenn sie ihnen die Tore "der in näherer
Beziehung zum obersten Kriegsherrn oder den verschiedenen Kontingentsherren
stehenden Regimenter" verschlossen hält? Die "gesellschaftliche" Seite würde ich
gern übergehn, weil ich den Sturm in der Armee über die Auffassung nicht auf
mich laden könnte, als ob nur die adlichen Offiziere den gesellschaftlichen
Anforderungen der Fürstenhöfe zu entsprechen vermöchten. Ich kann unmöglich
die "gesellschaftliche" Aufgabe der Landesfürsten im ausschließlichen Verkehr mit
dem Adel erschöpft sehen! Mir erscheint eine gesellschaftliche chinesische Mauer
um Fürst und Adel als eine schwere Gefahr für die Zukunft für beide.

An der bewährten Auswahl des Offizierersatzes durch die Regiments¬
kommandeure, die in erster Linie in der Lage sind, alle für die Brauchbarkeit
in Frage kommenden Ermittlungen anzustellen, will wohl niemand rütteln. Für
eine Zentralstelle zur Annahme des Offizierersatzes ist meines Wissens wohl
noch nirgends eine Lanze eingelegt worden. Aber die Berechtigung zum Erlaß
allgemeiner Anweisungen über die Beschaffung des Offizierersatzes kann doch dem
Allerhöchsten Kriegsherrn nicht aus der Hand gerungen werden. Seine Majestät
hat schon einmal entscheidend in diese Frage eingegriffen. Nun will Seine
Majestät nach den Erklärungen der amtlichen Stellen an den Ausgleich ent¬
standener Gegensätze herantreten. Würde nicht der Grundpfeiler der Disziplin
wanken, wenn ein Regimentskomniandeur dagegen auch nur passiven Widerstand
leisten wollte?

Die Adelsfrage in der Armee kann mit diesen kurzen Bemerkungen nicht
erschöpft werden, da sie im Zusammenhang mit der Entwicklung des Adels
überhaupt steht.

Keine Bevölkerungsschicht hat durch die neue Zeit eine solche Verschiebung
erfahren wie der Adel. Dem Aufschwünge der breiten Volksschichten steht
der Abstieg der Fürstengewalt um den einen bedeutsamen Schritt voni
Absolutismus zum Konstitutionalismus gegenüber. Der Adel hat aufgehört
ein besonderer Stand zu sein. Freilich nicht etwa als die erste Wandlung


vom Adel in der Armee und vom Adel iiberhanpt

Abweichen vom Wege? Ein Vaterlandsfreund kann sich für die Beibehaltung
der adlichen Regimenter doch nur dann ins Zeug legen, wenn er darin einen
Nutzen für die Armee und damit für das gesamte Deutsche Reich erkennt. Wollte
der Adel sie dagegen lediglich zum Vorteil des eigenen Standes erhalten, so
zeigte er damit nur, daß er gleichfalls von der allgemeinen Krankheit der
Selbstsucht durchseucht ist, die den Sondervorteil über das Gemeinwohl stellt.
Die Krone soll sich auf ihre bisherigen treuen Diener im Adel stützen. Gewiß!
Aber schiebt sie die wirklich beiseite, wenn sie sie auf die einzelnen Regimenter
verteilt, wo sie mit ihren vom Feuer der Zeit gestählten Anschauungen von
Person zu Person wirken können? Die Krone steht über den: gesamten Vater¬
lande. Wenn sie nun zur Ergänzung des Offizierkorps auf die bürgerlichen
Kreise angewiesen ist, so kann sie der Frage nach der Gewinnung der tüchtigsten
Bestandteile daraus nicht aus dem Wege gehen. Aber kann sie diese Tüchtigsten
zuni Eintritt in die Armee ermutigen, wenn sie ihnen die Tore „der in näherer
Beziehung zum obersten Kriegsherrn oder den verschiedenen Kontingentsherren
stehenden Regimenter" verschlossen hält? Die „gesellschaftliche" Seite würde ich
gern übergehn, weil ich den Sturm in der Armee über die Auffassung nicht auf
mich laden könnte, als ob nur die adlichen Offiziere den gesellschaftlichen
Anforderungen der Fürstenhöfe zu entsprechen vermöchten. Ich kann unmöglich
die „gesellschaftliche" Aufgabe der Landesfürsten im ausschließlichen Verkehr mit
dem Adel erschöpft sehen! Mir erscheint eine gesellschaftliche chinesische Mauer
um Fürst und Adel als eine schwere Gefahr für die Zukunft für beide.

An der bewährten Auswahl des Offizierersatzes durch die Regiments¬
kommandeure, die in erster Linie in der Lage sind, alle für die Brauchbarkeit
in Frage kommenden Ermittlungen anzustellen, will wohl niemand rütteln. Für
eine Zentralstelle zur Annahme des Offizierersatzes ist meines Wissens wohl
noch nirgends eine Lanze eingelegt worden. Aber die Berechtigung zum Erlaß
allgemeiner Anweisungen über die Beschaffung des Offizierersatzes kann doch dem
Allerhöchsten Kriegsherrn nicht aus der Hand gerungen werden. Seine Majestät
hat schon einmal entscheidend in diese Frage eingegriffen. Nun will Seine
Majestät nach den Erklärungen der amtlichen Stellen an den Ausgleich ent¬
standener Gegensätze herantreten. Würde nicht der Grundpfeiler der Disziplin
wanken, wenn ein Regimentskomniandeur dagegen auch nur passiven Widerstand
leisten wollte?

Die Adelsfrage in der Armee kann mit diesen kurzen Bemerkungen nicht
erschöpft werden, da sie im Zusammenhang mit der Entwicklung des Adels
überhaupt steht.

Keine Bevölkerungsschicht hat durch die neue Zeit eine solche Verschiebung
erfahren wie der Adel. Dem Aufschwünge der breiten Volksschichten steht
der Abstieg der Fürstengewalt um den einen bedeutsamen Schritt voni
Absolutismus zum Konstitutionalismus gegenüber. Der Adel hat aufgehört
ein besonderer Stand zu sein. Freilich nicht etwa als die erste Wandlung


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0422" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/316711"/>
          <fw type="header" place="top"> vom Adel in der Armee und vom Adel iiberhanpt</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1836" prev="#ID_1835"> Abweichen vom Wege? Ein Vaterlandsfreund kann sich für die Beibehaltung<lb/>
der adlichen Regimenter doch nur dann ins Zeug legen, wenn er darin einen<lb/>
Nutzen für die Armee und damit für das gesamte Deutsche Reich erkennt. Wollte<lb/>
der Adel sie dagegen lediglich zum Vorteil des eigenen Standes erhalten, so<lb/>
zeigte er damit nur, daß er gleichfalls von der allgemeinen Krankheit der<lb/>
Selbstsucht durchseucht ist, die den Sondervorteil über das Gemeinwohl stellt.<lb/>
Die Krone soll sich auf ihre bisherigen treuen Diener im Adel stützen. Gewiß!<lb/>
Aber schiebt sie die wirklich beiseite, wenn sie sie auf die einzelnen Regimenter<lb/>
verteilt, wo sie mit ihren vom Feuer der Zeit gestählten Anschauungen von<lb/>
Person zu Person wirken können? Die Krone steht über den: gesamten Vater¬<lb/>
lande. Wenn sie nun zur Ergänzung des Offizierkorps auf die bürgerlichen<lb/>
Kreise angewiesen ist, so kann sie der Frage nach der Gewinnung der tüchtigsten<lb/>
Bestandteile daraus nicht aus dem Wege gehen. Aber kann sie diese Tüchtigsten<lb/>
zuni Eintritt in die Armee ermutigen, wenn sie ihnen die Tore &#x201E;der in näherer<lb/>
Beziehung zum obersten Kriegsherrn oder den verschiedenen Kontingentsherren<lb/>
stehenden Regimenter" verschlossen hält? Die &#x201E;gesellschaftliche" Seite würde ich<lb/>
gern übergehn, weil ich den Sturm in der Armee über die Auffassung nicht auf<lb/>
mich laden könnte, als ob nur die adlichen Offiziere den gesellschaftlichen<lb/>
Anforderungen der Fürstenhöfe zu entsprechen vermöchten. Ich kann unmöglich<lb/>
die &#x201E;gesellschaftliche" Aufgabe der Landesfürsten im ausschließlichen Verkehr mit<lb/>
dem Adel erschöpft sehen! Mir erscheint eine gesellschaftliche chinesische Mauer<lb/>
um Fürst und Adel als eine schwere Gefahr für die Zukunft für beide.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1837"> An der bewährten Auswahl des Offizierersatzes durch die Regiments¬<lb/>
kommandeure, die in erster Linie in der Lage sind, alle für die Brauchbarkeit<lb/>
in Frage kommenden Ermittlungen anzustellen, will wohl niemand rütteln. Für<lb/>
eine Zentralstelle zur Annahme des Offizierersatzes ist meines Wissens wohl<lb/>
noch nirgends eine Lanze eingelegt worden. Aber die Berechtigung zum Erlaß<lb/>
allgemeiner Anweisungen über die Beschaffung des Offizierersatzes kann doch dem<lb/>
Allerhöchsten Kriegsherrn nicht aus der Hand gerungen werden. Seine Majestät<lb/>
hat schon einmal entscheidend in diese Frage eingegriffen. Nun will Seine<lb/>
Majestät nach den Erklärungen der amtlichen Stellen an den Ausgleich ent¬<lb/>
standener Gegensätze herantreten. Würde nicht der Grundpfeiler der Disziplin<lb/>
wanken, wenn ein Regimentskomniandeur dagegen auch nur passiven Widerstand<lb/>
leisten wollte?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1838"> Die Adelsfrage in der Armee kann mit diesen kurzen Bemerkungen nicht<lb/>
erschöpft werden, da sie im Zusammenhang mit der Entwicklung des Adels<lb/>
überhaupt steht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1839" next="#ID_1840"> Keine Bevölkerungsschicht hat durch die neue Zeit eine solche Verschiebung<lb/>
erfahren wie der Adel. Dem Aufschwünge der breiten Volksschichten steht<lb/>
der Abstieg der Fürstengewalt um den einen bedeutsamen Schritt voni<lb/>
Absolutismus zum Konstitutionalismus gegenüber. Der Adel hat aufgehört<lb/>
ein besonderer Stand zu sein.  Freilich nicht etwa als die erste Wandlung</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0422] vom Adel in der Armee und vom Adel iiberhanpt Abweichen vom Wege? Ein Vaterlandsfreund kann sich für die Beibehaltung der adlichen Regimenter doch nur dann ins Zeug legen, wenn er darin einen Nutzen für die Armee und damit für das gesamte Deutsche Reich erkennt. Wollte der Adel sie dagegen lediglich zum Vorteil des eigenen Standes erhalten, so zeigte er damit nur, daß er gleichfalls von der allgemeinen Krankheit der Selbstsucht durchseucht ist, die den Sondervorteil über das Gemeinwohl stellt. Die Krone soll sich auf ihre bisherigen treuen Diener im Adel stützen. Gewiß! Aber schiebt sie die wirklich beiseite, wenn sie sie auf die einzelnen Regimenter verteilt, wo sie mit ihren vom Feuer der Zeit gestählten Anschauungen von Person zu Person wirken können? Die Krone steht über den: gesamten Vater¬ lande. Wenn sie nun zur Ergänzung des Offizierkorps auf die bürgerlichen Kreise angewiesen ist, so kann sie der Frage nach der Gewinnung der tüchtigsten Bestandteile daraus nicht aus dem Wege gehen. Aber kann sie diese Tüchtigsten zuni Eintritt in die Armee ermutigen, wenn sie ihnen die Tore „der in näherer Beziehung zum obersten Kriegsherrn oder den verschiedenen Kontingentsherren stehenden Regimenter" verschlossen hält? Die „gesellschaftliche" Seite würde ich gern übergehn, weil ich den Sturm in der Armee über die Auffassung nicht auf mich laden könnte, als ob nur die adlichen Offiziere den gesellschaftlichen Anforderungen der Fürstenhöfe zu entsprechen vermöchten. Ich kann unmöglich die „gesellschaftliche" Aufgabe der Landesfürsten im ausschließlichen Verkehr mit dem Adel erschöpft sehen! Mir erscheint eine gesellschaftliche chinesische Mauer um Fürst und Adel als eine schwere Gefahr für die Zukunft für beide. An der bewährten Auswahl des Offizierersatzes durch die Regiments¬ kommandeure, die in erster Linie in der Lage sind, alle für die Brauchbarkeit in Frage kommenden Ermittlungen anzustellen, will wohl niemand rütteln. Für eine Zentralstelle zur Annahme des Offizierersatzes ist meines Wissens wohl noch nirgends eine Lanze eingelegt worden. Aber die Berechtigung zum Erlaß allgemeiner Anweisungen über die Beschaffung des Offizierersatzes kann doch dem Allerhöchsten Kriegsherrn nicht aus der Hand gerungen werden. Seine Majestät hat schon einmal entscheidend in diese Frage eingegriffen. Nun will Seine Majestät nach den Erklärungen der amtlichen Stellen an den Ausgleich ent¬ standener Gegensätze herantreten. Würde nicht der Grundpfeiler der Disziplin wanken, wenn ein Regimentskomniandeur dagegen auch nur passiven Widerstand leisten wollte? Die Adelsfrage in der Armee kann mit diesen kurzen Bemerkungen nicht erschöpft werden, da sie im Zusammenhang mit der Entwicklung des Adels überhaupt steht. Keine Bevölkerungsschicht hat durch die neue Zeit eine solche Verschiebung erfahren wie der Adel. Dem Aufschwünge der breiten Volksschichten steht der Abstieg der Fürstengewalt um den einen bedeutsamen Schritt voni Absolutismus zum Konstitutionalismus gegenüber. Der Adel hat aufgehört ein besonderer Stand zu sein. Freilich nicht etwa als die erste Wandlung

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/422
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/422>, abgerufen am 27.05.2024.