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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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vom Adel in der Armee und vom Adel überhaupt

in Deutschland. Die Landesherren hatten ihn zunächst aus den Grund¬
herren und Heerführern zu ihren Gehilfen herabgedrückt. Mochte sich auch
im weiteren Verlaufe der kleinstaatliche Adel vielfach im Hofdienste erschöpfen,
so liegt das große Verdienst der Hohenzollern in der Erziehung des Adels zu
militärischen und bürgerlichen Staatsdienern. Insoweit hat der Adel unzweifelhaft
die Berechtigung, einen wesentlichen Teil des Aufschwunges unseres Vaterlandes
für sich in Anspruch zu nehmen.

Eine im Laufe der Jahrhunderte zu nutzbarer Reife gebrachte Erscheinung
ist sonder Zweifel eine Naturnotwendigkeit, die nicht ohne schwere Schädigung
der Gesamtheit zu beseitigen wäre. Allein die Parteibrille kann daher das
Bedürfnis nach einem bevorzugten Stande für die Zukunft Deutschlands in
Abrede stellen. Freilich müssen die durch die sich stets ändernde Stellung
des Adels sich auch stets wandelnden Aufgaben immer von neuem erkannt werden.
Wer dem Adel noch weiterhin die Schutzbinde privilegierter Vorrechte um den
Leib legen wollte, würde den Ganghebel der Staatsmaschine auf rückwärts stellen
und bezeugte lediglich das Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit. Die Bedeutung
des Adels liegt nicht mehr in einer Sonderstellung, sondern in einer vor¬
bildlichen Stellung: er hat auf dem Boden der allgemeinen Gleichheit überall
den zur Nachahmung anspornender Rekord der Tüchtigkeit aufzustellen.

Das heutige Dasein setzt sich aus drei Äußerungen des Lebens zusammen:
aus dem beruflichen, dem öffentlichen und dem häuslichen Leben.
In allen drei Äußerungen soll der Adel vorbildlich wirken. Welche Aufgaben
harren also des Adels im einzelnen?

Im beruflichen Leben ist das vermorschte Gemäuer der Vorurteile bis
auf den letzten Stein niederzureißen. Jeder Beruf ohne Ausnahme bis herunter
zur schlichtesten Handarbeit ist adlich. Warum gilt von den erwerbenden
Tätigkeiten fast nur die Landwirtschaft für "standesgemäß", wo jetzt jeder Landwirt
Kaufmann sein muß? Es klingt beschämend für das Menschengeschlecht, aber
selbst ein seine Bedeutung auf sittlicher und geistiger Grundlage suchender Stand
kann seinen Einfluß nur mittels der Macht der Wohlhabenheit zur praktischen
Geltung bringen. Der Adel darf sich daher durch die führenden Größen in
Handel und Gewerbe auf dem Geldmarkt nicht aus dem Felde schlagen lassen.
Der Adel ist schon jetzt nicht mehr zur Hingabe der Tausende für Wohlfahrts¬
zwecke imstande, durch die sich reiche Kapitalisten hervortun. Über kurz oder
lang muß die Folge sein, daß er in der allgemeinen Einschätzung an die zweite
Stelle rückt. Warum kann in den: praktisch nüchternen England ein Lord bei
Tage ein Gasthaus oder ein Weingeschäft leiten und sich am Abend in der
auserlesensten Gesellschaft bewegen? Weiter muß sodann der Irrglaube mit
Stumpf und Stiel ausgerottet werden, als ob die Bevorzugung des Adels zu
seinem Nutzen und Frommen diene. Der Adel hat so viele Imponderabilien
vor dem jungeu Bürgertum voraus, daß sich die tüchtigen Persönlichkeiten mit
Leichtigkeit Bahn brechen. Die schützende Hand kommt daher nur der Unfähigkeit


vom Adel in der Armee und vom Adel überhaupt

in Deutschland. Die Landesherren hatten ihn zunächst aus den Grund¬
herren und Heerführern zu ihren Gehilfen herabgedrückt. Mochte sich auch
im weiteren Verlaufe der kleinstaatliche Adel vielfach im Hofdienste erschöpfen,
so liegt das große Verdienst der Hohenzollern in der Erziehung des Adels zu
militärischen und bürgerlichen Staatsdienern. Insoweit hat der Adel unzweifelhaft
die Berechtigung, einen wesentlichen Teil des Aufschwunges unseres Vaterlandes
für sich in Anspruch zu nehmen.

Eine im Laufe der Jahrhunderte zu nutzbarer Reife gebrachte Erscheinung
ist sonder Zweifel eine Naturnotwendigkeit, die nicht ohne schwere Schädigung
der Gesamtheit zu beseitigen wäre. Allein die Parteibrille kann daher das
Bedürfnis nach einem bevorzugten Stande für die Zukunft Deutschlands in
Abrede stellen. Freilich müssen die durch die sich stets ändernde Stellung
des Adels sich auch stets wandelnden Aufgaben immer von neuem erkannt werden.
Wer dem Adel noch weiterhin die Schutzbinde privilegierter Vorrechte um den
Leib legen wollte, würde den Ganghebel der Staatsmaschine auf rückwärts stellen
und bezeugte lediglich das Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit. Die Bedeutung
des Adels liegt nicht mehr in einer Sonderstellung, sondern in einer vor¬
bildlichen Stellung: er hat auf dem Boden der allgemeinen Gleichheit überall
den zur Nachahmung anspornender Rekord der Tüchtigkeit aufzustellen.

Das heutige Dasein setzt sich aus drei Äußerungen des Lebens zusammen:
aus dem beruflichen, dem öffentlichen und dem häuslichen Leben.
In allen drei Äußerungen soll der Adel vorbildlich wirken. Welche Aufgaben
harren also des Adels im einzelnen?

Im beruflichen Leben ist das vermorschte Gemäuer der Vorurteile bis
auf den letzten Stein niederzureißen. Jeder Beruf ohne Ausnahme bis herunter
zur schlichtesten Handarbeit ist adlich. Warum gilt von den erwerbenden
Tätigkeiten fast nur die Landwirtschaft für „standesgemäß", wo jetzt jeder Landwirt
Kaufmann sein muß? Es klingt beschämend für das Menschengeschlecht, aber
selbst ein seine Bedeutung auf sittlicher und geistiger Grundlage suchender Stand
kann seinen Einfluß nur mittels der Macht der Wohlhabenheit zur praktischen
Geltung bringen. Der Adel darf sich daher durch die führenden Größen in
Handel und Gewerbe auf dem Geldmarkt nicht aus dem Felde schlagen lassen.
Der Adel ist schon jetzt nicht mehr zur Hingabe der Tausende für Wohlfahrts¬
zwecke imstande, durch die sich reiche Kapitalisten hervortun. Über kurz oder
lang muß die Folge sein, daß er in der allgemeinen Einschätzung an die zweite
Stelle rückt. Warum kann in den: praktisch nüchternen England ein Lord bei
Tage ein Gasthaus oder ein Weingeschäft leiten und sich am Abend in der
auserlesensten Gesellschaft bewegen? Weiter muß sodann der Irrglaube mit
Stumpf und Stiel ausgerottet werden, als ob die Bevorzugung des Adels zu
seinem Nutzen und Frommen diene. Der Adel hat so viele Imponderabilien
vor dem jungeu Bürgertum voraus, daß sich die tüchtigen Persönlichkeiten mit
Leichtigkeit Bahn brechen. Die schützende Hand kommt daher nur der Unfähigkeit


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[0423] vom Adel in der Armee und vom Adel überhaupt in Deutschland. Die Landesherren hatten ihn zunächst aus den Grund¬ herren und Heerführern zu ihren Gehilfen herabgedrückt. Mochte sich auch im weiteren Verlaufe der kleinstaatliche Adel vielfach im Hofdienste erschöpfen, so liegt das große Verdienst der Hohenzollern in der Erziehung des Adels zu militärischen und bürgerlichen Staatsdienern. Insoweit hat der Adel unzweifelhaft die Berechtigung, einen wesentlichen Teil des Aufschwunges unseres Vaterlandes für sich in Anspruch zu nehmen. Eine im Laufe der Jahrhunderte zu nutzbarer Reife gebrachte Erscheinung ist sonder Zweifel eine Naturnotwendigkeit, die nicht ohne schwere Schädigung der Gesamtheit zu beseitigen wäre. Allein die Parteibrille kann daher das Bedürfnis nach einem bevorzugten Stande für die Zukunft Deutschlands in Abrede stellen. Freilich müssen die durch die sich stets ändernde Stellung des Adels sich auch stets wandelnden Aufgaben immer von neuem erkannt werden. Wer dem Adel noch weiterhin die Schutzbinde privilegierter Vorrechte um den Leib legen wollte, würde den Ganghebel der Staatsmaschine auf rückwärts stellen und bezeugte lediglich das Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit. Die Bedeutung des Adels liegt nicht mehr in einer Sonderstellung, sondern in einer vor¬ bildlichen Stellung: er hat auf dem Boden der allgemeinen Gleichheit überall den zur Nachahmung anspornender Rekord der Tüchtigkeit aufzustellen. Das heutige Dasein setzt sich aus drei Äußerungen des Lebens zusammen: aus dem beruflichen, dem öffentlichen und dem häuslichen Leben. In allen drei Äußerungen soll der Adel vorbildlich wirken. Welche Aufgaben harren also des Adels im einzelnen? Im beruflichen Leben ist das vermorschte Gemäuer der Vorurteile bis auf den letzten Stein niederzureißen. Jeder Beruf ohne Ausnahme bis herunter zur schlichtesten Handarbeit ist adlich. Warum gilt von den erwerbenden Tätigkeiten fast nur die Landwirtschaft für „standesgemäß", wo jetzt jeder Landwirt Kaufmann sein muß? Es klingt beschämend für das Menschengeschlecht, aber selbst ein seine Bedeutung auf sittlicher und geistiger Grundlage suchender Stand kann seinen Einfluß nur mittels der Macht der Wohlhabenheit zur praktischen Geltung bringen. Der Adel darf sich daher durch die führenden Größen in Handel und Gewerbe auf dem Geldmarkt nicht aus dem Felde schlagen lassen. Der Adel ist schon jetzt nicht mehr zur Hingabe der Tausende für Wohlfahrts¬ zwecke imstande, durch die sich reiche Kapitalisten hervortun. Über kurz oder lang muß die Folge sein, daß er in der allgemeinen Einschätzung an die zweite Stelle rückt. Warum kann in den: praktisch nüchternen England ein Lord bei Tage ein Gasthaus oder ein Weingeschäft leiten und sich am Abend in der auserlesensten Gesellschaft bewegen? Weiter muß sodann der Irrglaube mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden, als ob die Bevorzugung des Adels zu seinem Nutzen und Frommen diene. Der Adel hat so viele Imponderabilien vor dem jungeu Bürgertum voraus, daß sich die tüchtigen Persönlichkeiten mit Leichtigkeit Bahn brechen. Die schützende Hand kommt daher nur der Unfähigkeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/423>, abgerufen am 17.06.2024.