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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Ist die Anstellung von Reich-Postbeamten noch zeitgemäß?

liegt, erwerben die von den Landesverwaltungcn angestellten Beamten die
Staatsangehörigkeit in dem betreffenden Staate. Allerdings nicht in Baden,
denn die badische Regierung macht den im Z 9 des Jndigenatsgcsetzes erwähnten
Vorbehalt, und sie hat in der Zweiten Kammer wiederholt erklärt, sie sei stets
der Ansicht gewesen, daß hier unter badischen Landesangehörigen nur solche zu
verstehen seien, die die badische Staatsangehörigkeit durch Abstammung, nicht
durch Aufnahme oder Naturalisation erworben haben. Die Staatsangehörigkeit
spielt übrigens nur dann eine Rolle, wenn es sich um die Besetzung von
Stellen handelt, die vertragsgemäß den Landeskindern vorbehalten sind; denn
diese rücken vielfach früher in diese Stellen ein als ihre Kollegen von gleichem
Dienstalter in anderen Teilen des Neichspostgebiets, vornehmlich in Preußen.

Die Allerhöchste Verordnung vom 29. Juni 1871 (R. G. Bl. 303),
die inhaltlich mit der vom 3. Dezember 1867 übereinstimmt und die Form des
Diensteides auf den Kaiser festsetzt, bezeichnet die Beamten, deren Anstellung
vom Kaiser ausgeht, als "unmittelbare" Neichsbeamte. Im Gegensatz dazu hat
sich für die übrigen Beamten die Bezeichnung mittelbare Reichsbeamte ein¬
gebürgert. Viel Worte, Tinte und Druckerschwärze sind über diesen Unterschied
gerade im Hinblick auf die Post- und Telegraphenbeamten schon verschwendet
worden, kein Kommentar des Reichs- oder Beamtenrechts läßt ihn unerörtert.
Die meisten halten sich an den Wortlallt der Verfassung und behaupten, dle
sogenannten mittelbaren Neichsbeamten seien, weil von den Landesherren ernannt,
in erster Linie Landesbeamte. Diesen Standpunkt vertritt namentlich Laband,
der aber selbst für die mittelbaren Reichsbeamten die Bezeichnung "Landes¬
herrliche Neichsbeamte" vorschlägt. Diese ganzen Erörterungen sind, was die
Post- und Telegraphenbeamten angeht, vollständig müßig, denn sachlich besteht
gar kein Unterschied zwischen den unmittelbaren und den mittelbaren Reichs¬
beamten. Wenn ein Teil der Beamten nun einmal mittelbar sein soll, so sind
sie eher mittelbare Landesbeamte als mittelbare Neichsbeamte. denn ihr Ver¬
hältnis zum Reich ist viel unmittelbarer als das zu der Landesregierung; ist
doch diese, obwohl sie den Beamten angestellt und seinen Eid erhalten hat,
nicht einmal in der Lage, den Beamten in ihrem Lande zu halten und seine
Versetzung in das Gebiet eines anderen Bundesstaates zu verhindern. wenn die
Reichspostverwaltung diese Versetzung im Interesse des Dienstes verfügt!
Laband beruft sich zur Begründung des von ihm vertretenen Standpunktes
darauf, daß dieser 1868 vom Präsidenten des Neichskanzlemmts bei der
Beratung des Beamtengesetzes im Norddeutschen Reichstag ausdrücklich anerkannt
worden sei; er führt ferner einen Erlaß des preußischen Ministers des Innern
aus dem Jahre 1869. ein Urteil des Kammergerichts aus demselben Jahre,
eine Entscheidung des Disziplinarhoss von 1874 und ein Erkenntnis des Reichs¬
gerichts aus 1880 ins Feld. Das letzte, diese Frage berührende Urteil des
Reichsgerichts ist nach dem Kommentar zum Reichsbeamtengesetz von Pereis
und Dr. Spilling 1882 ergangen. Daß diese jüngste Entscheidung bald dreißig


Ist die Anstellung von Reich-Postbeamten noch zeitgemäß?

liegt, erwerben die von den Landesverwaltungcn angestellten Beamten die
Staatsangehörigkeit in dem betreffenden Staate. Allerdings nicht in Baden,
denn die badische Regierung macht den im Z 9 des Jndigenatsgcsetzes erwähnten
Vorbehalt, und sie hat in der Zweiten Kammer wiederholt erklärt, sie sei stets
der Ansicht gewesen, daß hier unter badischen Landesangehörigen nur solche zu
verstehen seien, die die badische Staatsangehörigkeit durch Abstammung, nicht
durch Aufnahme oder Naturalisation erworben haben. Die Staatsangehörigkeit
spielt übrigens nur dann eine Rolle, wenn es sich um die Besetzung von
Stellen handelt, die vertragsgemäß den Landeskindern vorbehalten sind; denn
diese rücken vielfach früher in diese Stellen ein als ihre Kollegen von gleichem
Dienstalter in anderen Teilen des Neichspostgebiets, vornehmlich in Preußen.

Die Allerhöchste Verordnung vom 29. Juni 1871 (R. G. Bl. 303),
die inhaltlich mit der vom 3. Dezember 1867 übereinstimmt und die Form des
Diensteides auf den Kaiser festsetzt, bezeichnet die Beamten, deren Anstellung
vom Kaiser ausgeht, als „unmittelbare" Neichsbeamte. Im Gegensatz dazu hat
sich für die übrigen Beamten die Bezeichnung mittelbare Reichsbeamte ein¬
gebürgert. Viel Worte, Tinte und Druckerschwärze sind über diesen Unterschied
gerade im Hinblick auf die Post- und Telegraphenbeamten schon verschwendet
worden, kein Kommentar des Reichs- oder Beamtenrechts läßt ihn unerörtert.
Die meisten halten sich an den Wortlallt der Verfassung und behaupten, dle
sogenannten mittelbaren Neichsbeamten seien, weil von den Landesherren ernannt,
in erster Linie Landesbeamte. Diesen Standpunkt vertritt namentlich Laband,
der aber selbst für die mittelbaren Reichsbeamten die Bezeichnung „Landes¬
herrliche Neichsbeamte" vorschlägt. Diese ganzen Erörterungen sind, was die
Post- und Telegraphenbeamten angeht, vollständig müßig, denn sachlich besteht
gar kein Unterschied zwischen den unmittelbaren und den mittelbaren Reichs¬
beamten. Wenn ein Teil der Beamten nun einmal mittelbar sein soll, so sind
sie eher mittelbare Landesbeamte als mittelbare Neichsbeamte. denn ihr Ver¬
hältnis zum Reich ist viel unmittelbarer als das zu der Landesregierung; ist
doch diese, obwohl sie den Beamten angestellt und seinen Eid erhalten hat,
nicht einmal in der Lage, den Beamten in ihrem Lande zu halten und seine
Versetzung in das Gebiet eines anderen Bundesstaates zu verhindern. wenn die
Reichspostverwaltung diese Versetzung im Interesse des Dienstes verfügt!
Laband beruft sich zur Begründung des von ihm vertretenen Standpunktes
darauf, daß dieser 1868 vom Präsidenten des Neichskanzlemmts bei der
Beratung des Beamtengesetzes im Norddeutschen Reichstag ausdrücklich anerkannt
worden sei; er führt ferner einen Erlaß des preußischen Ministers des Innern
aus dem Jahre 1869. ein Urteil des Kammergerichts aus demselben Jahre,
eine Entscheidung des Disziplinarhoss von 1874 und ein Erkenntnis des Reichs¬
gerichts aus 1880 ins Feld. Das letzte, diese Frage berührende Urteil des
Reichsgerichts ist nach dem Kommentar zum Reichsbeamtengesetz von Pereis
und Dr. Spilling 1882 ergangen. Daß diese jüngste Entscheidung bald dreißig


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/443>, abgerufen am 10.06.2024.