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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Ist die Anstellung von Reichspostbeamten noch zeitgemäß?

Jahre alt wird, ist sicher kein Zufall, es beweist vielwehr, daß derartige Fragen
heutzutage ihre praktische Bedeutung verloren haben und vor den Gerichten
nicht mehr ausgetragen zu werden brauchen; es läßt den Schluß zu, daß die
hier in Rede stehenden Bestimmungen des Artikels 50 der Reichsverfassung,
auch wenn sie nicht wie die Artikel 51 und 75 ausdrücklich als Übergangs¬
bestimmungen bezeichnet sind, am letzten Ende doch nur Übergangsbestimmungen
sein sollten, die der allseitig als notwendig erkannten baldigen Verschmelzung
der zahlreichen Einzelverwaltungen die Wege ebnen sollten und die ver¬
abredet und zugestanden wurden, weil damals wichtigere Fragen zur
Lösung drängten. Aber bereits 1871 wurde durch ein neues Reglement
über die Einstellung von Anwärtern in den Postdienst der Grund gelegt für
eine größere Gleichmäßigkeit der Beamtenverhältnisse,- und wie die einheitliche
Entwicklung des Post- und Telegraphenverkehrs längst alle Landesgrenzen ver¬
wischt hat, so besteht auch, wie schou erwähnt, längst kein tatsächlicher und
materiell rechtlicher Unterschied mehr zwischen den unmittelbaren und den mittel¬
baren Neichsbeamten, die zusammen den einheitlich geschlossenen Beamtenkörper
der Reichspost- und -telegraphenverwaltung bilden. Dieser Auffassung redet
namentlich der Kommentar von Perels und Spilling das Wort. Wie darin
besonders betont wird, haben auch die von den Landesregierungen angestellten
Beamten lediglich den dienstlichen Anordnungen der vorgesetzten Reichsbehörden
zu folgen; Reichsbehörden setzen die Bedingungen fest, unter denen die Annahme.
Ausbildung und Beförderung erfolgt, Reichsbehörden bestimmen, wie und wo
die Beamten verwendet werden und welche Einkünfte sie während ihrer
Beschäftigung aus Neichsmitteln beziehen, Reichsbehörden allein steht die
Disziplinargewalt über die Beamten zu, Reichsbehörden setzen schließlich auf
Grund von Reichsgesetzen das Ruhegehalt und die Hinterbliebenenbezüge fest;
kurz alle Pflichten und Rechte, die für den Beamten mit seinem Amt verbunden
sind, regeln sich von Reichs wegen.

Demgegenüber ist die Frage wohl berechtigt, ob die Anstellung des größeren
Teils der Reichspost- und -telegraphenbeamten im Namen und durch die
Regierungen der genannten Bundesstaaten den Verhältnissen, wie sie sich im
Laufe der Jahrzehnte herausgebildet haben, noch entspricht, und ob es nicht an
der Zeit wäre, daß die sechs Staaten ihr Anstellungsrecht aufgeben und es im
Vertragswege derjenigen Stelle übertragen, der es eigentlich zukommt, nämlich
dem Präsidium des Bundes, dem Kaiser. Wie wenig tatsächliche Bedeutung
diesen: Recht innewohnt und welche Weiterungen es verursacht, ist oben aus¬
geführt worden. So wenig Oldenburg und Anhalt etwas von ihrer Selb¬
ständigkeit eingebüßt haben, als sie schon zu Beginn der Bundespost auf die
Anstellung des Personals verzichteten, so wenig brauchen das die "betreffenden"
Staaten zu befürchten, und wenn ein Beamter schwört, daß er dem Deutschen
Kaiser treu und gehorsam sein und die Reichsverfassung sowie die Gesetze des
Reichs beobachten wolle, so enthält dieser Schwur doch wohl unbestritten das


Ist die Anstellung von Reichspostbeamten noch zeitgemäß?

Jahre alt wird, ist sicher kein Zufall, es beweist vielwehr, daß derartige Fragen
heutzutage ihre praktische Bedeutung verloren haben und vor den Gerichten
nicht mehr ausgetragen zu werden brauchen; es läßt den Schluß zu, daß die
hier in Rede stehenden Bestimmungen des Artikels 50 der Reichsverfassung,
auch wenn sie nicht wie die Artikel 51 und 75 ausdrücklich als Übergangs¬
bestimmungen bezeichnet sind, am letzten Ende doch nur Übergangsbestimmungen
sein sollten, die der allseitig als notwendig erkannten baldigen Verschmelzung
der zahlreichen Einzelverwaltungen die Wege ebnen sollten und die ver¬
abredet und zugestanden wurden, weil damals wichtigere Fragen zur
Lösung drängten. Aber bereits 1871 wurde durch ein neues Reglement
über die Einstellung von Anwärtern in den Postdienst der Grund gelegt für
eine größere Gleichmäßigkeit der Beamtenverhältnisse,- und wie die einheitliche
Entwicklung des Post- und Telegraphenverkehrs längst alle Landesgrenzen ver¬
wischt hat, so besteht auch, wie schou erwähnt, längst kein tatsächlicher und
materiell rechtlicher Unterschied mehr zwischen den unmittelbaren und den mittel¬
baren Neichsbeamten, die zusammen den einheitlich geschlossenen Beamtenkörper
der Reichspost- und -telegraphenverwaltung bilden. Dieser Auffassung redet
namentlich der Kommentar von Perels und Spilling das Wort. Wie darin
besonders betont wird, haben auch die von den Landesregierungen angestellten
Beamten lediglich den dienstlichen Anordnungen der vorgesetzten Reichsbehörden
zu folgen; Reichsbehörden setzen die Bedingungen fest, unter denen die Annahme.
Ausbildung und Beförderung erfolgt, Reichsbehörden bestimmen, wie und wo
die Beamten verwendet werden und welche Einkünfte sie während ihrer
Beschäftigung aus Neichsmitteln beziehen, Reichsbehörden allein steht die
Disziplinargewalt über die Beamten zu, Reichsbehörden setzen schließlich auf
Grund von Reichsgesetzen das Ruhegehalt und die Hinterbliebenenbezüge fest;
kurz alle Pflichten und Rechte, die für den Beamten mit seinem Amt verbunden
sind, regeln sich von Reichs wegen.

Demgegenüber ist die Frage wohl berechtigt, ob die Anstellung des größeren
Teils der Reichspost- und -telegraphenbeamten im Namen und durch die
Regierungen der genannten Bundesstaaten den Verhältnissen, wie sie sich im
Laufe der Jahrzehnte herausgebildet haben, noch entspricht, und ob es nicht an
der Zeit wäre, daß die sechs Staaten ihr Anstellungsrecht aufgeben und es im
Vertragswege derjenigen Stelle übertragen, der es eigentlich zukommt, nämlich
dem Präsidium des Bundes, dem Kaiser. Wie wenig tatsächliche Bedeutung
diesen: Recht innewohnt und welche Weiterungen es verursacht, ist oben aus¬
geführt worden. So wenig Oldenburg und Anhalt etwas von ihrer Selb¬
ständigkeit eingebüßt haben, als sie schon zu Beginn der Bundespost auf die
Anstellung des Personals verzichteten, so wenig brauchen das die „betreffenden"
Staaten zu befürchten, und wenn ein Beamter schwört, daß er dem Deutschen
Kaiser treu und gehorsam sein und die Reichsverfassung sowie die Gesetze des
Reichs beobachten wolle, so enthält dieser Schwur doch wohl unbestritten das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/444>, abgerufen am 19.05.2024.