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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Römisches, Allznrömisches

jetzige Alter der Erstkommunikanten hinaufzusetzen. Die Italiener möchten ganz
frühzeitig das Sakrament anwenden, unter Mißachtung der rechten Empfänglichkeit
der Seele. Bei einer starren Haltung Roms könnte es nun gelingen, die
Deutschen allmählich zu einer anderen Gewohnheit und damit zu anderen
Empfindungen zu erziehen. Wie viele deutsche Katholiken, wie viele Theologen,
wie viele Seelsorger würden wohl darin einen religiösen Fortschritt erblicken?

Der zweite Erlaß, den ich hier erörtern wollte, ist das Rundschreiben an
die französischen Bischöfe vom 25. August gegen den "Sillon". Der "Sillon"
ist um 1900 von Marc Sanguier und einigen Freunden, die damals noch
Studenten waren, gegründet worden. Er sollte die heranwachsende katholische
Generation zu sozialer Tätigkeit im Geiste des Christentums und in demokratischen
Formen erziehen. Den Weisungen Leos des Dreizehnter folgend, stellte sich
der "Sillon" rückhaltlos auf den Boden der Republik. In dieser Versöhnung
der republikanischen mit der christlichen Idee sah er seine politische Aufgabe.
In neuerer Zeit hat der "Sillon" seinen Kreis erweitert und sich interkonfessionell
organisiert. "Katholiken, Protestanten und Freidenker" sollten zu einem "hoch¬
herzigen Wettbewerb auf dem Gebiete der sozialen und bürgerlichen Tugenden"
vereinigt werden. Also der "Sillon" wollte die katholische Abschließung von
der modernen "ungläubigen Welt" durchbrechen und den Versuch einer ganz
neuartigen Vereinigung von Christentum und weltlicher Kultur machen. Die
allgemeine Entwicklung drängt ja darauf hin und nach der Zerstörung des
alten Verhältnisses zwischen Kirche und Gesellschaft in Frankreich war eigentlich
ein solches Unternehmen bitter notwendig. Eine Anzahl Bischöfe bekämpfte
aber den "Sillon", zuerst geheim, dann öffentlich. Erzbischof Mignot von
Albi nahm ihn im Frühjahr d. I. in Schutz. Er schrieb: "Weder billige ich,
noch tadle ich die politischen und wirtschaftlichen Lehren des "Sillon". Das
ist nicht meine Sache. Ich beurteile die Sillonisten nur als Katholiken. Da
aber ist es für mich eine Gewissenspflicht, zu erklären, daß ich die dogmatischen
Irrtümer nicht kenne, deren man sie beschuldigt. Nichts in ihren authentischen
Schriften rechtfertigt das Mißtrauen, mit dem man sie umgibt." Trotzdem
sind am 25. August die "Irrtümer" des "Sillon" verurteilt, die Organisation
ist zerstört worden. Der Gesamtverband muß sich auflösen, die kleinen Vereine
haben sich den Bischöfen zu unterstellen und den Namen "Katholischer Sillon" zu
führen. Römische Prälaten pflegen eben den Bereich des Dogmas weiter aus¬
zudehnen als Bischöfe von der Art des durchaus modernen Mignot. Er hatte
sich in einem Schreiben an den Kardinal Andrieu gegen die "Aufsaugung der
bürgerlichen Gesellschaft in die kirchliche Gesellschaft" gewehrt. In der "Sillon"-
Enzyklika werden Grundsätze aufgestellt, die eine solche Aufsaugung zum Programm
machen.

Diese Grundsätze gehen uns in Deutschland sehr nahe an, wenn wir auch
über das Schicksal des "Sillon" kein zuverlässiges Urteil haben. "Und wenn
ihre Lehren." so sagt die Enzyklika von den Sillonisten, "auch vom Irrtume


Römisches, Allznrömisches

jetzige Alter der Erstkommunikanten hinaufzusetzen. Die Italiener möchten ganz
frühzeitig das Sakrament anwenden, unter Mißachtung der rechten Empfänglichkeit
der Seele. Bei einer starren Haltung Roms könnte es nun gelingen, die
Deutschen allmählich zu einer anderen Gewohnheit und damit zu anderen
Empfindungen zu erziehen. Wie viele deutsche Katholiken, wie viele Theologen,
wie viele Seelsorger würden wohl darin einen religiösen Fortschritt erblicken?

Der zweite Erlaß, den ich hier erörtern wollte, ist das Rundschreiben an
die französischen Bischöfe vom 25. August gegen den „Sillon". Der „Sillon"
ist um 1900 von Marc Sanguier und einigen Freunden, die damals noch
Studenten waren, gegründet worden. Er sollte die heranwachsende katholische
Generation zu sozialer Tätigkeit im Geiste des Christentums und in demokratischen
Formen erziehen. Den Weisungen Leos des Dreizehnter folgend, stellte sich
der „Sillon" rückhaltlos auf den Boden der Republik. In dieser Versöhnung
der republikanischen mit der christlichen Idee sah er seine politische Aufgabe.
In neuerer Zeit hat der „Sillon" seinen Kreis erweitert und sich interkonfessionell
organisiert. „Katholiken, Protestanten und Freidenker" sollten zu einem „hoch¬
herzigen Wettbewerb auf dem Gebiete der sozialen und bürgerlichen Tugenden"
vereinigt werden. Also der „Sillon" wollte die katholische Abschließung von
der modernen „ungläubigen Welt" durchbrechen und den Versuch einer ganz
neuartigen Vereinigung von Christentum und weltlicher Kultur machen. Die
allgemeine Entwicklung drängt ja darauf hin und nach der Zerstörung des
alten Verhältnisses zwischen Kirche und Gesellschaft in Frankreich war eigentlich
ein solches Unternehmen bitter notwendig. Eine Anzahl Bischöfe bekämpfte
aber den „Sillon", zuerst geheim, dann öffentlich. Erzbischof Mignot von
Albi nahm ihn im Frühjahr d. I. in Schutz. Er schrieb: „Weder billige ich,
noch tadle ich die politischen und wirtschaftlichen Lehren des „Sillon". Das
ist nicht meine Sache. Ich beurteile die Sillonisten nur als Katholiken. Da
aber ist es für mich eine Gewissenspflicht, zu erklären, daß ich die dogmatischen
Irrtümer nicht kenne, deren man sie beschuldigt. Nichts in ihren authentischen
Schriften rechtfertigt das Mißtrauen, mit dem man sie umgibt." Trotzdem
sind am 25. August die „Irrtümer" des „Sillon" verurteilt, die Organisation
ist zerstört worden. Der Gesamtverband muß sich auflösen, die kleinen Vereine
haben sich den Bischöfen zu unterstellen und den Namen „Katholischer Sillon" zu
führen. Römische Prälaten pflegen eben den Bereich des Dogmas weiter aus¬
zudehnen als Bischöfe von der Art des durchaus modernen Mignot. Er hatte
sich in einem Schreiben an den Kardinal Andrieu gegen die „Aufsaugung der
bürgerlichen Gesellschaft in die kirchliche Gesellschaft" gewehrt. In der „Sillon"-
Enzyklika werden Grundsätze aufgestellt, die eine solche Aufsaugung zum Programm
machen.

Diese Grundsätze gehen uns in Deutschland sehr nahe an, wenn wir auch
über das Schicksal des „Sillon" kein zuverlässiges Urteil haben. „Und wenn
ihre Lehren." so sagt die Enzyklika von den Sillonisten, „auch vom Irrtume


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/570>, abgerufen am 10.06.2024.