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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Römisches, Allznrömischcs

frei wären, so wäre es schon eine sehr schwere Verfehlung an der katholischen
Disziplin gewesen, sich hartnäckig der Leitung derjenigen zu entziehen, welche
vom Himmel die Aufgabe erhalten haben, die Personen und die gesellschaftlichen
Gemeinschaften auf den: geraden Wege der Wahrheit und des Guten zu leiten."
Daß der Papst und die Bischöfe die Herde Christi, also die kirchliche Gemein¬
schaft, leiten, habe ich im Katechismus gelernt, und daran glaube ich unverbrüchlich.
Ebenso entschieden lehne ich aber auch die kirchliche Leitung der gesellschaftlichen
Gemeinschaften ab, die keine kirchlichen Zwecke verfolgen. Im "Univers" erläutert
Veuillot dies Dogma rönnscher Prälaten wie folgt: "Vergesset nie, daß das
Bekenntnis des Katholizismus gebieterisch die Unterordnung aller menschlichen
Interessen unter die Interessen Gottes in sich birgt, die Übereinstimmung aller
besonderen Ideen mit der Kirchendoktrin und schließlich die Unterwerfung aller
Gläubigen unter die religiöse Autorität und das auf allen Gebieten, in denen
diese Autorität sich das Recht zuerkennt, einzugreifen." Wer wissen will, was
"Ultramontanismus" ist, der male sich die Konsequenzen solcher Anschauungen
aus! Solange wir deutschen Katholiken nicht unzweideutig erklären, daß uns
solche Gedankengänge durchaus fernliegen, dürfen wir uns nicht wundern, wenn
die Nichtkatholiken an unsere politische Unabhängigkeit von Rom, an unsere
"nationale Zuverlässigkeit" nicht glauben wollen. Zwar ist 190" von Pius
dem Zehnten den deutschen Katholiken bescheinigt worden, daß sie in den
Angelegenheiten, "die nicht die Religion berühren", ganz frei sind. Was sind
das aber für Angelegenheiten? Die "Sillon"-EnziMa sagt: "Da haben wir
also eine von Katholiken gegründete interkonfessionelle Vereinigung, um an der
Zivilisation zu arbeiten, einem echt religiösen Werke; denn es gibt keine wahre
Zivilisation ohne moralische Zivilisation und keine wahre moralische Zivilisation
ohne die wahre Religion." Und die gibt es für den Katholiken nicht ohne
Kirche, also kann sich keine kulturelle Tätigkeit der unmittelbaren und unbedingten
Leitung der Kirche entziehen! Wer wissen will, was "Klerikalismus" ist, der
untersuche die Wurzeln dieser allzu römischen Ansprüche!

Unter Leo dem Dreizehnter hat die Welt derartiges nicht erlebt. Er ließ
den Katholiken genug Bewegungsfreiheit, um der Wirklichkeit und der Entwicklung
Rechnung zu tragen. Er hat sie durch den Satz von den "gleichgeordneten
Gewalten" von der Idee des mittelalterlichen Glaubeusstaates befreit. Es scheint,
als ob die Fortschritte, die er damit ermöglicht hat, schon eine Reaktion hervor¬
gerufen hätten, so bescheiden sie anch waren. Rückwärts wird sich das Rad
freilich nicht mehr drehen lassen. Für den Katholiken sind die Tatsachen nicht
weniger bezwingend als für andere Sterbliche. Römische Erlasse werden höchstens
die Katholiken einer Kirche entfremden, die ihnen der Gegensatz zur modernen
Wirklichkeit als Pflicht auferlegen will. Heute ist die Spannung zwischen Rom
und Katholiken (nicht nur deutschen!) schon bedenklich genug und für den über¬
zeugten Katholiken schmerzlich. Es gibt ja auch in Deutschland noch Leute,
denen der "Ultramontanismus" eines Veuillot im Blute steckt. "Reformen",


Römisches, Allznrömischcs

frei wären, so wäre es schon eine sehr schwere Verfehlung an der katholischen
Disziplin gewesen, sich hartnäckig der Leitung derjenigen zu entziehen, welche
vom Himmel die Aufgabe erhalten haben, die Personen und die gesellschaftlichen
Gemeinschaften auf den: geraden Wege der Wahrheit und des Guten zu leiten."
Daß der Papst und die Bischöfe die Herde Christi, also die kirchliche Gemein¬
schaft, leiten, habe ich im Katechismus gelernt, und daran glaube ich unverbrüchlich.
Ebenso entschieden lehne ich aber auch die kirchliche Leitung der gesellschaftlichen
Gemeinschaften ab, die keine kirchlichen Zwecke verfolgen. Im „Univers" erläutert
Veuillot dies Dogma rönnscher Prälaten wie folgt: „Vergesset nie, daß das
Bekenntnis des Katholizismus gebieterisch die Unterordnung aller menschlichen
Interessen unter die Interessen Gottes in sich birgt, die Übereinstimmung aller
besonderen Ideen mit der Kirchendoktrin und schließlich die Unterwerfung aller
Gläubigen unter die religiöse Autorität und das auf allen Gebieten, in denen
diese Autorität sich das Recht zuerkennt, einzugreifen." Wer wissen will, was
„Ultramontanismus" ist, der male sich die Konsequenzen solcher Anschauungen
aus! Solange wir deutschen Katholiken nicht unzweideutig erklären, daß uns
solche Gedankengänge durchaus fernliegen, dürfen wir uns nicht wundern, wenn
die Nichtkatholiken an unsere politische Unabhängigkeit von Rom, an unsere
„nationale Zuverlässigkeit" nicht glauben wollen. Zwar ist 190« von Pius
dem Zehnten den deutschen Katholiken bescheinigt worden, daß sie in den
Angelegenheiten, „die nicht die Religion berühren", ganz frei sind. Was sind
das aber für Angelegenheiten? Die „Sillon"-EnziMa sagt: „Da haben wir
also eine von Katholiken gegründete interkonfessionelle Vereinigung, um an der
Zivilisation zu arbeiten, einem echt religiösen Werke; denn es gibt keine wahre
Zivilisation ohne moralische Zivilisation und keine wahre moralische Zivilisation
ohne die wahre Religion." Und die gibt es für den Katholiken nicht ohne
Kirche, also kann sich keine kulturelle Tätigkeit der unmittelbaren und unbedingten
Leitung der Kirche entziehen! Wer wissen will, was „Klerikalismus" ist, der
untersuche die Wurzeln dieser allzu römischen Ansprüche!

Unter Leo dem Dreizehnter hat die Welt derartiges nicht erlebt. Er ließ
den Katholiken genug Bewegungsfreiheit, um der Wirklichkeit und der Entwicklung
Rechnung zu tragen. Er hat sie durch den Satz von den „gleichgeordneten
Gewalten" von der Idee des mittelalterlichen Glaubeusstaates befreit. Es scheint,
als ob die Fortschritte, die er damit ermöglicht hat, schon eine Reaktion hervor¬
gerufen hätten, so bescheiden sie anch waren. Rückwärts wird sich das Rad
freilich nicht mehr drehen lassen. Für den Katholiken sind die Tatsachen nicht
weniger bezwingend als für andere Sterbliche. Römische Erlasse werden höchstens
die Katholiken einer Kirche entfremden, die ihnen der Gegensatz zur modernen
Wirklichkeit als Pflicht auferlegen will. Heute ist die Spannung zwischen Rom
und Katholiken (nicht nur deutschen!) schon bedenklich genug und für den über¬
zeugten Katholiken schmerzlich. Es gibt ja auch in Deutschland noch Leute,
denen der „Ultramontanismus" eines Veuillot im Blute steckt. „Reformen",


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[0571] Römisches, Allznrömischcs frei wären, so wäre es schon eine sehr schwere Verfehlung an der katholischen Disziplin gewesen, sich hartnäckig der Leitung derjenigen zu entziehen, welche vom Himmel die Aufgabe erhalten haben, die Personen und die gesellschaftlichen Gemeinschaften auf den: geraden Wege der Wahrheit und des Guten zu leiten." Daß der Papst und die Bischöfe die Herde Christi, also die kirchliche Gemein¬ schaft, leiten, habe ich im Katechismus gelernt, und daran glaube ich unverbrüchlich. Ebenso entschieden lehne ich aber auch die kirchliche Leitung der gesellschaftlichen Gemeinschaften ab, die keine kirchlichen Zwecke verfolgen. Im „Univers" erläutert Veuillot dies Dogma rönnscher Prälaten wie folgt: „Vergesset nie, daß das Bekenntnis des Katholizismus gebieterisch die Unterordnung aller menschlichen Interessen unter die Interessen Gottes in sich birgt, die Übereinstimmung aller besonderen Ideen mit der Kirchendoktrin und schließlich die Unterwerfung aller Gläubigen unter die religiöse Autorität und das auf allen Gebieten, in denen diese Autorität sich das Recht zuerkennt, einzugreifen." Wer wissen will, was „Ultramontanismus" ist, der male sich die Konsequenzen solcher Anschauungen aus! Solange wir deutschen Katholiken nicht unzweideutig erklären, daß uns solche Gedankengänge durchaus fernliegen, dürfen wir uns nicht wundern, wenn die Nichtkatholiken an unsere politische Unabhängigkeit von Rom, an unsere „nationale Zuverlässigkeit" nicht glauben wollen. Zwar ist 190« von Pius dem Zehnten den deutschen Katholiken bescheinigt worden, daß sie in den Angelegenheiten, „die nicht die Religion berühren", ganz frei sind. Was sind das aber für Angelegenheiten? Die „Sillon"-EnziMa sagt: „Da haben wir also eine von Katholiken gegründete interkonfessionelle Vereinigung, um an der Zivilisation zu arbeiten, einem echt religiösen Werke; denn es gibt keine wahre Zivilisation ohne moralische Zivilisation und keine wahre moralische Zivilisation ohne die wahre Religion." Und die gibt es für den Katholiken nicht ohne Kirche, also kann sich keine kulturelle Tätigkeit der unmittelbaren und unbedingten Leitung der Kirche entziehen! Wer wissen will, was „Klerikalismus" ist, der untersuche die Wurzeln dieser allzu römischen Ansprüche! Unter Leo dem Dreizehnter hat die Welt derartiges nicht erlebt. Er ließ den Katholiken genug Bewegungsfreiheit, um der Wirklichkeit und der Entwicklung Rechnung zu tragen. Er hat sie durch den Satz von den „gleichgeordneten Gewalten" von der Idee des mittelalterlichen Glaubeusstaates befreit. Es scheint, als ob die Fortschritte, die er damit ermöglicht hat, schon eine Reaktion hervor¬ gerufen hätten, so bescheiden sie anch waren. Rückwärts wird sich das Rad freilich nicht mehr drehen lassen. Für den Katholiken sind die Tatsachen nicht weniger bezwingend als für andere Sterbliche. Römische Erlasse werden höchstens die Katholiken einer Kirche entfremden, die ihnen der Gegensatz zur modernen Wirklichkeit als Pflicht auferlegen will. Heute ist die Spannung zwischen Rom und Katholiken (nicht nur deutschen!) schon bedenklich genug und für den über¬ zeugten Katholiken schmerzlich. Es gibt ja auch in Deutschland noch Leute, denen der „Ultramontanismus" eines Veuillot im Blute steckt. „Reformen",

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/571>, abgerufen am 19.05.2024.