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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Im Flecken

"Gewiß, in Wahrheit," verbeugten sich die anderen, "so ist es. So ist es
nach dem Alten. So ist es nach der Väter Weise."

"Aber wir wollen wieder von der heutigen Sache reden," sagte Botscharow.
"Was da vorher gesprochen wurde von Schreibern der Post und Polizei und so
weiter, das ist Unsinn. Was gehen uns die Schreiber an! Ich sorge nur . . ,"

"Die Schreiber sind noch schlechter daran als die Lehrer," stritt Utjanow.
"Diese bekommen Pension von der Krone, die Schreiber aber erhalten gar nichts,
wenn sie nicht mehr arbeiten können."

"Eh, Bruder, was du für eine Sucht hast, immer zu widersprechen! Hole
der Teufel die Schreiber! Gott verzeihe mir die Sünde. Ich habe nur mit den
Schulen zu tun, denn ich bin der Ehrenvorsteher, und darum ist es meine Pflicht,
nach Möglichkeit für sie zu sorgen. Nun, und der Lehrer und die Lehrerin sind
doch auch sozusagen ein Stück der Schulen und darum.. ."

"Und das ist das Beste," rief Utjanow, indem er die Finger spreizte und die
die Arme weit vorstreckte. "So ist es, wie Sie sagen. Sie sind der Ehren¬
vorsteher und nicht wir. Es ist Ihre Pflicht zu sorgen und nicht unsere. Was
sollen wir dabei? Sie haben die Pflicht und Sie haben auch die Mittel. Wir
wollen das Ihnen überlassen."

"Wenn der hochverehrte Tit Grigorjewitsch für die Lehrerin etwas tun
wollte -- uns wäre es gewiß recht," fügte ein Kaufmann schüchtern hinzu.

"Ach, ihr Geizhalse!" fuhr der Älteste auf. "Das soll ein Mensch sagen!
Hahahaha! Sie haben nichts dagegen, wenn ich zahle! Seid ihr verrückt geworden?
Nein, Väterchen, so geht es nicht. Wessen Kinder besuchen die Schule? Deine
Tochter ist darin, und deine, und deine, und du hast gar zwei da. Mit euren
Kindern plagt sich die Lehrerin, für eure Kinder hat sie die Gesundheit verloren,
und ich soll zahlen! Das gefällt mir, bei Gott! Hahahaha!"

"Ja, ja," sprach nachdenklich ein alter Graukopf und fuhr sich mit den
Fingern durch den Bart, "wenn man es so recht betrachtet, ist es Wohl eigentlich
eine Angelegenheit des ganzen Fleckens."

"Und der ganze Flecken, das sind wir Handeltreibende," ergänzte Botscharow,
"Das andere arme Volk, was ist davon zu sprechen! Die wenigen Beamten
haben auch nichts übrig. Wir Kaufleute müssen helfen, und da ich der Vor¬
steher bin ... "

"Sie allein haben die Ehre davon, daß Sie der Vorsteher sind", warf
Utjanow ein.

"Eh, Bruder, was du immer dazwischen redest und Kreuz- und Quersprünge
machst und gackerst wie ein gerupfter Hahn! Von der Ehre habe ich noch nicht
viel gemerkt, aber Ärger und Kosten habe ich. Weil ich der Vorsteher bin, kann
ich beurteilen, was nötig ist, und darum . . ."

"Nu," rief Utjanow, "beurteilen kann das jeder von uns. Wir sind auch
keine Fremden."

"Du kannst das beurteilen?" fragte Botscharow, dem die Geduld jetzt ganz riß.

"Warum nicht?"

"Du kannst das beurteilen?" wiederholte Botscharow noch lauter und wurde
dunkelrot. "Du kannst es wohl gar besser beurteilen als ich?"


Im Flecken

„Gewiß, in Wahrheit," verbeugten sich die anderen, „so ist es. So ist es
nach dem Alten. So ist es nach der Väter Weise."

„Aber wir wollen wieder von der heutigen Sache reden," sagte Botscharow.
„Was da vorher gesprochen wurde von Schreibern der Post und Polizei und so
weiter, das ist Unsinn. Was gehen uns die Schreiber an! Ich sorge nur . . ,"

„Die Schreiber sind noch schlechter daran als die Lehrer," stritt Utjanow.
„Diese bekommen Pension von der Krone, die Schreiber aber erhalten gar nichts,
wenn sie nicht mehr arbeiten können."

„Eh, Bruder, was du für eine Sucht hast, immer zu widersprechen! Hole
der Teufel die Schreiber! Gott verzeihe mir die Sünde. Ich habe nur mit den
Schulen zu tun, denn ich bin der Ehrenvorsteher, und darum ist es meine Pflicht,
nach Möglichkeit für sie zu sorgen. Nun, und der Lehrer und die Lehrerin sind
doch auch sozusagen ein Stück der Schulen und darum.. ."

„Und das ist das Beste," rief Utjanow, indem er die Finger spreizte und die
die Arme weit vorstreckte. „So ist es, wie Sie sagen. Sie sind der Ehren¬
vorsteher und nicht wir. Es ist Ihre Pflicht zu sorgen und nicht unsere. Was
sollen wir dabei? Sie haben die Pflicht und Sie haben auch die Mittel. Wir
wollen das Ihnen überlassen."

„Wenn der hochverehrte Tit Grigorjewitsch für die Lehrerin etwas tun
wollte — uns wäre es gewiß recht," fügte ein Kaufmann schüchtern hinzu.

„Ach, ihr Geizhalse!" fuhr der Älteste auf. „Das soll ein Mensch sagen!
Hahahaha! Sie haben nichts dagegen, wenn ich zahle! Seid ihr verrückt geworden?
Nein, Väterchen, so geht es nicht. Wessen Kinder besuchen die Schule? Deine
Tochter ist darin, und deine, und deine, und du hast gar zwei da. Mit euren
Kindern plagt sich die Lehrerin, für eure Kinder hat sie die Gesundheit verloren,
und ich soll zahlen! Das gefällt mir, bei Gott! Hahahaha!"

„Ja, ja," sprach nachdenklich ein alter Graukopf und fuhr sich mit den
Fingern durch den Bart, „wenn man es so recht betrachtet, ist es Wohl eigentlich
eine Angelegenheit des ganzen Fleckens."

„Und der ganze Flecken, das sind wir Handeltreibende," ergänzte Botscharow,
„Das andere arme Volk, was ist davon zu sprechen! Die wenigen Beamten
haben auch nichts übrig. Wir Kaufleute müssen helfen, und da ich der Vor¬
steher bin ... "

„Sie allein haben die Ehre davon, daß Sie der Vorsteher sind", warf
Utjanow ein.

„Eh, Bruder, was du immer dazwischen redest und Kreuz- und Quersprünge
machst und gackerst wie ein gerupfter Hahn! Von der Ehre habe ich noch nicht
viel gemerkt, aber Ärger und Kosten habe ich. Weil ich der Vorsteher bin, kann
ich beurteilen, was nötig ist, und darum . . ."

„Nu," rief Utjanow, „beurteilen kann das jeder von uns. Wir sind auch
keine Fremden."

„Du kannst das beurteilen?" fragte Botscharow, dem die Geduld jetzt ganz riß.

„Warum nicht?"

„Du kannst das beurteilen?" wiederholte Botscharow noch lauter und wurde
dunkelrot. „Du kannst es wohl gar besser beurteilen als ich?"


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[0142] Im Flecken „Gewiß, in Wahrheit," verbeugten sich die anderen, „so ist es. So ist es nach dem Alten. So ist es nach der Väter Weise." „Aber wir wollen wieder von der heutigen Sache reden," sagte Botscharow. „Was da vorher gesprochen wurde von Schreibern der Post und Polizei und so weiter, das ist Unsinn. Was gehen uns die Schreiber an! Ich sorge nur . . ," „Die Schreiber sind noch schlechter daran als die Lehrer," stritt Utjanow. „Diese bekommen Pension von der Krone, die Schreiber aber erhalten gar nichts, wenn sie nicht mehr arbeiten können." „Eh, Bruder, was du für eine Sucht hast, immer zu widersprechen! Hole der Teufel die Schreiber! Gott verzeihe mir die Sünde. Ich habe nur mit den Schulen zu tun, denn ich bin der Ehrenvorsteher, und darum ist es meine Pflicht, nach Möglichkeit für sie zu sorgen. Nun, und der Lehrer und die Lehrerin sind doch auch sozusagen ein Stück der Schulen und darum.. ." „Und das ist das Beste," rief Utjanow, indem er die Finger spreizte und die die Arme weit vorstreckte. „So ist es, wie Sie sagen. Sie sind der Ehren¬ vorsteher und nicht wir. Es ist Ihre Pflicht zu sorgen und nicht unsere. Was sollen wir dabei? Sie haben die Pflicht und Sie haben auch die Mittel. Wir wollen das Ihnen überlassen." „Wenn der hochverehrte Tit Grigorjewitsch für die Lehrerin etwas tun wollte — uns wäre es gewiß recht," fügte ein Kaufmann schüchtern hinzu. „Ach, ihr Geizhalse!" fuhr der Älteste auf. „Das soll ein Mensch sagen! Hahahaha! Sie haben nichts dagegen, wenn ich zahle! Seid ihr verrückt geworden? Nein, Väterchen, so geht es nicht. Wessen Kinder besuchen die Schule? Deine Tochter ist darin, und deine, und deine, und du hast gar zwei da. Mit euren Kindern plagt sich die Lehrerin, für eure Kinder hat sie die Gesundheit verloren, und ich soll zahlen! Das gefällt mir, bei Gott! Hahahaha!" „Ja, ja," sprach nachdenklich ein alter Graukopf und fuhr sich mit den Fingern durch den Bart, „wenn man es so recht betrachtet, ist es Wohl eigentlich eine Angelegenheit des ganzen Fleckens." „Und der ganze Flecken, das sind wir Handeltreibende," ergänzte Botscharow, „Das andere arme Volk, was ist davon zu sprechen! Die wenigen Beamten haben auch nichts übrig. Wir Kaufleute müssen helfen, und da ich der Vor¬ steher bin ... " „Sie allein haben die Ehre davon, daß Sie der Vorsteher sind", warf Utjanow ein. „Eh, Bruder, was du immer dazwischen redest und Kreuz- und Quersprünge machst und gackerst wie ein gerupfter Hahn! Von der Ehre habe ich noch nicht viel gemerkt, aber Ärger und Kosten habe ich. Weil ich der Vorsteher bin, kann ich beurteilen, was nötig ist, und darum . . ." „Nu," rief Utjanow, „beurteilen kann das jeder von uns. Wir sind auch keine Fremden." „Du kannst das beurteilen?" fragte Botscharow, dem die Geduld jetzt ganz riß. „Warum nicht?" „Du kannst das beurteilen?" wiederholte Botscharow noch lauter und wurde dunkelrot. „Du kannst es wohl gar besser beurteilen als ich?"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/142>, abgerufen am 29.05.2024.