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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Larasch

Reitpeitsche schnappten. In glühendster Sonnenhitze ritten wir um 11^ Uhr
weiter, da uns unser Führer versichert hatte, wir könnten in zwei Stunden
in Larasch sein. Jedes Gespräch verstummte. Bleierne Langeweile lastete auf
unserer Karawane. Kaum, daß ein dicht vor uns ausbrechender, sich in dem
dürren Unterholz mit rasender Schnelligkeit verbreitender Waldbrand unsere
Aufmerksamkeit auch nur vorübergehend fesselte. Nur hin und wieder drang
von dem Meer, dem wir uns allmählich näherten, ein kühler Lufthauch zu uns.
Er weckte Sehnsucht nach dein nassen, uns noch unsichtbaren Element, während
sich unser Weg endlos zwischen den sonnenverbrannten, mit Gestrüpp und Dornen
bedeckten Hügeln dahinzog. Aus den zwei Stunden waren längst vier und
mehr geworden, ohne daß wir Larasch auch nur zu sehen bekommen hätten.
Endlich tauchte aus der Ferne der blaue Ozean auf, und bald erblickten wir am
Rande der Brandung Larasch. Seine weißen Häuser grüßten vom anderen Ufer
des Flusses L'Kuh herüber. Noch immer zog sich der Weg endlos dahin. Zunächst
durch ein großes Dorf, dann wieder über Hügel, dnrch Dorngestrüpp, über
Sanddünen und schließlich über einen Fluß bis zum User des Lukkos.

Aber kein Kahn, keine Fähre stieß ab, um uns zu holen. Wir
lagen auf dem Bauch am Strande und schauten dem Spiel des Ozeans
zu, blickten hinüber nach den weißen Häusern von Larasch, der zinnen¬
gekrönten Stadtmauer, von der in der Nähe des Hafentors drei von
ihren Lafetten gefallene Kanonen aus portugiesischer Zeit gar finster zu
uns herüberschauten, und auf die malerisch sich aufbauende Kasbcch. Schließlich
tritt unser Schutzsoldat Kalb Abd Siam in Funktion und ruft nach dem
Fährmann. "Später," tönt es zurück, "die Flut strömt zu stark in den Fluß
hinein." Es kann also Abend werden. Schließlich taucht in einem kleinen Boot
ein Europäer bei uns auf und entpuppt sich als der Besitzer des spanischen
Hotels in Larasch. Wir überlassen die Tiere und das Gepäck den Treibern
und folgen ihm in seinem Boot zum Hotel, wo wir bald nach einem kurzen
Marsch durch enge holprige Gassen und Durchgänge bei Tee und Kognak den
fast verlorenen Lebensmut wiederfinden. Und es ist schön hier oben auf dem
Söller des unmittelbar an und teilweise auf der Stadtmauer aufgebauten Hotels,
zu dein das Brausen der Brandung heraufdringt. Hier kann der Blick in die
Weite schweifen, westwärts zum Ozean zu dem heute angekommenen Dampfer von
Tanger, geradeaus auf den durch die böse Barre vom Meer getrennten Binnen¬
hafen, und weiter ostwärts zu den drei friedlichen alten portugiesischen Kanonen
und drei alten Arabern, die ihr Haschischpfeifchen rauchend unter einem einfachen
Sonnendach dicht daneben hocken. Wir blieben die Nacht im Hotel, während
wir ursprünglich beabsichtigt hatten, in unserem Zelt zu schlafen; wir bedauerten
es auch uicht, nachdem wir den Fondak, die arabische Herberge, in der die
Karawanen übernachten, gesehen hatten. Der ganze Boden des Hofes war
wohl handhoch mit Stroh und Streu bedeckt. Dem Araber, der gewöhnt
ist, auf einer dünnen Decke auf dem Boden zu schlafen, mag das vielleicht


Larasch

Reitpeitsche schnappten. In glühendster Sonnenhitze ritten wir um 11^ Uhr
weiter, da uns unser Führer versichert hatte, wir könnten in zwei Stunden
in Larasch sein. Jedes Gespräch verstummte. Bleierne Langeweile lastete auf
unserer Karawane. Kaum, daß ein dicht vor uns ausbrechender, sich in dem
dürren Unterholz mit rasender Schnelligkeit verbreitender Waldbrand unsere
Aufmerksamkeit auch nur vorübergehend fesselte. Nur hin und wieder drang
von dem Meer, dem wir uns allmählich näherten, ein kühler Lufthauch zu uns.
Er weckte Sehnsucht nach dein nassen, uns noch unsichtbaren Element, während
sich unser Weg endlos zwischen den sonnenverbrannten, mit Gestrüpp und Dornen
bedeckten Hügeln dahinzog. Aus den zwei Stunden waren längst vier und
mehr geworden, ohne daß wir Larasch auch nur zu sehen bekommen hätten.
Endlich tauchte aus der Ferne der blaue Ozean auf, und bald erblickten wir am
Rande der Brandung Larasch. Seine weißen Häuser grüßten vom anderen Ufer
des Flusses L'Kuh herüber. Noch immer zog sich der Weg endlos dahin. Zunächst
durch ein großes Dorf, dann wieder über Hügel, dnrch Dorngestrüpp, über
Sanddünen und schließlich über einen Fluß bis zum User des Lukkos.

Aber kein Kahn, keine Fähre stieß ab, um uns zu holen. Wir
lagen auf dem Bauch am Strande und schauten dem Spiel des Ozeans
zu, blickten hinüber nach den weißen Häusern von Larasch, der zinnen¬
gekrönten Stadtmauer, von der in der Nähe des Hafentors drei von
ihren Lafetten gefallene Kanonen aus portugiesischer Zeit gar finster zu
uns herüberschauten, und auf die malerisch sich aufbauende Kasbcch. Schließlich
tritt unser Schutzsoldat Kalb Abd Siam in Funktion und ruft nach dem
Fährmann. „Später," tönt es zurück, „die Flut strömt zu stark in den Fluß
hinein." Es kann also Abend werden. Schließlich taucht in einem kleinen Boot
ein Europäer bei uns auf und entpuppt sich als der Besitzer des spanischen
Hotels in Larasch. Wir überlassen die Tiere und das Gepäck den Treibern
und folgen ihm in seinem Boot zum Hotel, wo wir bald nach einem kurzen
Marsch durch enge holprige Gassen und Durchgänge bei Tee und Kognak den
fast verlorenen Lebensmut wiederfinden. Und es ist schön hier oben auf dem
Söller des unmittelbar an und teilweise auf der Stadtmauer aufgebauten Hotels,
zu dein das Brausen der Brandung heraufdringt. Hier kann der Blick in die
Weite schweifen, westwärts zum Ozean zu dem heute angekommenen Dampfer von
Tanger, geradeaus auf den durch die böse Barre vom Meer getrennten Binnen¬
hafen, und weiter ostwärts zu den drei friedlichen alten portugiesischen Kanonen
und drei alten Arabern, die ihr Haschischpfeifchen rauchend unter einem einfachen
Sonnendach dicht daneben hocken. Wir blieben die Nacht im Hotel, während
wir ursprünglich beabsichtigt hatten, in unserem Zelt zu schlafen; wir bedauerten
es auch uicht, nachdem wir den Fondak, die arabische Herberge, in der die
Karawanen übernachten, gesehen hatten. Der ganze Boden des Hofes war
wohl handhoch mit Stroh und Streu bedeckt. Dem Araber, der gewöhnt
ist, auf einer dünnen Decke auf dem Boden zu schlafen, mag das vielleicht


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[0169] Larasch Reitpeitsche schnappten. In glühendster Sonnenhitze ritten wir um 11^ Uhr weiter, da uns unser Führer versichert hatte, wir könnten in zwei Stunden in Larasch sein. Jedes Gespräch verstummte. Bleierne Langeweile lastete auf unserer Karawane. Kaum, daß ein dicht vor uns ausbrechender, sich in dem dürren Unterholz mit rasender Schnelligkeit verbreitender Waldbrand unsere Aufmerksamkeit auch nur vorübergehend fesselte. Nur hin und wieder drang von dem Meer, dem wir uns allmählich näherten, ein kühler Lufthauch zu uns. Er weckte Sehnsucht nach dein nassen, uns noch unsichtbaren Element, während sich unser Weg endlos zwischen den sonnenverbrannten, mit Gestrüpp und Dornen bedeckten Hügeln dahinzog. Aus den zwei Stunden waren längst vier und mehr geworden, ohne daß wir Larasch auch nur zu sehen bekommen hätten. Endlich tauchte aus der Ferne der blaue Ozean auf, und bald erblickten wir am Rande der Brandung Larasch. Seine weißen Häuser grüßten vom anderen Ufer des Flusses L'Kuh herüber. Noch immer zog sich der Weg endlos dahin. Zunächst durch ein großes Dorf, dann wieder über Hügel, dnrch Dorngestrüpp, über Sanddünen und schließlich über einen Fluß bis zum User des Lukkos. Aber kein Kahn, keine Fähre stieß ab, um uns zu holen. Wir lagen auf dem Bauch am Strande und schauten dem Spiel des Ozeans zu, blickten hinüber nach den weißen Häusern von Larasch, der zinnen¬ gekrönten Stadtmauer, von der in der Nähe des Hafentors drei von ihren Lafetten gefallene Kanonen aus portugiesischer Zeit gar finster zu uns herüberschauten, und auf die malerisch sich aufbauende Kasbcch. Schließlich tritt unser Schutzsoldat Kalb Abd Siam in Funktion und ruft nach dem Fährmann. „Später," tönt es zurück, „die Flut strömt zu stark in den Fluß hinein." Es kann also Abend werden. Schließlich taucht in einem kleinen Boot ein Europäer bei uns auf und entpuppt sich als der Besitzer des spanischen Hotels in Larasch. Wir überlassen die Tiere und das Gepäck den Treibern und folgen ihm in seinem Boot zum Hotel, wo wir bald nach einem kurzen Marsch durch enge holprige Gassen und Durchgänge bei Tee und Kognak den fast verlorenen Lebensmut wiederfinden. Und es ist schön hier oben auf dem Söller des unmittelbar an und teilweise auf der Stadtmauer aufgebauten Hotels, zu dein das Brausen der Brandung heraufdringt. Hier kann der Blick in die Weite schweifen, westwärts zum Ozean zu dem heute angekommenen Dampfer von Tanger, geradeaus auf den durch die böse Barre vom Meer getrennten Binnen¬ hafen, und weiter ostwärts zu den drei friedlichen alten portugiesischen Kanonen und drei alten Arabern, die ihr Haschischpfeifchen rauchend unter einem einfachen Sonnendach dicht daneben hocken. Wir blieben die Nacht im Hotel, während wir ursprünglich beabsichtigt hatten, in unserem Zelt zu schlafen; wir bedauerten es auch uicht, nachdem wir den Fondak, die arabische Herberge, in der die Karawanen übernachten, gesehen hatten. Der ganze Boden des Hofes war wohl handhoch mit Stroh und Streu bedeckt. Dem Araber, der gewöhnt ist, auf einer dünnen Decke auf dem Boden zu schlafen, mag das vielleicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/169>, abgerufen am 15.05.2024.