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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Larasch

als idealer Lagerplatz erscheinen. Wer jedoch an das Ungeziefer denkt, das in
derartigem seit langem nicht erneuerten Stroh haust, das allnächtlich anderen
Karawanen als Lagerstätte dient, wird nicht nur saubere Betten in einem
leidlichen Hotel, sondern selbst die harte Erde im Freien als Nachtquartier vor¬
ziehen. Mit unseren Leuten, die später auf einem großen Kahn den Fluß
passiert hatten, trafen wir bei einer Wanderung in der Stadt zusammen. Auch
sie vermieden vorsichtig den Fondak und zogen es vor, auf einem großen Platze
vor dem Westtor unmittelbar unter den Zinnen der alten Festung das Zelt
aufzuschlagen.

Larasch gewährt besonders bei der Ankunft von Norden einen außerordentlich
malerischen Anblick mit seinen weißen Häusern, die an einem ins Meer vor¬
springenden Felsen emporklimmen. Besonders interessante Baulichkeiten treten
nicht hervor, trotzdem dort lange die europäischen Gesandtschaften ihren Sitz
hatten, bevor sie nach Tanger übersiedelten. Doch macht die ganze Stadt mit
ihrer mittelalterlichen Befestigung einen außerordentlich malerischen Eindruck,
der an den manches mittelalterlichen Bergnestes in Deutschland erinnert. Wie
bei allen orientalischen Städten ist der Eindruck, den die Stadt aus der Nähe
macht, wesentlich ungünstiger. Überaus enge, holperige, bergauf und bergab
führende Straßen, die eher an alte Durchgänge und Winkel als an euro¬
päische Straßen erinnern, drücken ihr einen Stempel von Armseligkeit und
Verkommenheit auf, so ewig schön auch der Blick auf die See und die majestätisch
gegen die Felsen anrollenden Wogen des Atlantischen Ozeans ist.

Doch ist es an sich falsch, an orientalische und wohl an alle in heißeren
Zonen gelegenen Städte unseren Maßstab eines zweckentsprechenden Städte¬
baues anzulegen. Die engen, vielfach gewundenen Gassen und Gäßchen
gestatten der Sonne viel weniger den Zutritt als unsere breiten Straßen und
sind daher dem Klima weit mehr angemessen. Ebensowenig darf man von dem
unansehnlichen Äußern der Häuser und ihren oft spelunkenartigen Eingängen
ohne weiteres auf ein verwahrlostes Innere schließen. Im Gegenteil herrscht
vielfach gerade in den äußerlich so ärmlichen Judenwohnungen ein gediegener
Wohlstand und Komfort, wie auch fast alle Juden über eine saubere und
gediegene Festtagskleidung verfügen. Wir waren nämlich gerade am Vorabend
zweier jüdischer Festtage eingetroffen und hatten nicht nur Gelegenheit, die
Juden in ihrem Festgewand auf der Straße zu beobachten, sondern auch manchen
Blick in ihre Wohnungen zu tun, deren Türen offenstanden, -- wohl auch
deshalb, um mit dem dort herrschenden Wohlstand etwas zu protzen. Überhaupt
scheint es den Juden in Marokko bei weitem nicht so schlecht zu gehen, wie
man allgemein annimmt; sie scheinen durchaus nicht genötigt zu sein, ihren
Reichtum, wie vielfach behauptet wird, zu verbergen. So gehört auch in Larasch
das schon von weitem auffallendste und eleganteste Haus, das sich auffällig aus
dem Gewimmel niedriger Häuser erhebt, einem Juden, der allerdings wohl der
Schützling irgendeiner europäischen Macht sein dürfte. Es steht zwar unmittelbar


Larasch

als idealer Lagerplatz erscheinen. Wer jedoch an das Ungeziefer denkt, das in
derartigem seit langem nicht erneuerten Stroh haust, das allnächtlich anderen
Karawanen als Lagerstätte dient, wird nicht nur saubere Betten in einem
leidlichen Hotel, sondern selbst die harte Erde im Freien als Nachtquartier vor¬
ziehen. Mit unseren Leuten, die später auf einem großen Kahn den Fluß
passiert hatten, trafen wir bei einer Wanderung in der Stadt zusammen. Auch
sie vermieden vorsichtig den Fondak und zogen es vor, auf einem großen Platze
vor dem Westtor unmittelbar unter den Zinnen der alten Festung das Zelt
aufzuschlagen.

Larasch gewährt besonders bei der Ankunft von Norden einen außerordentlich
malerischen Anblick mit seinen weißen Häusern, die an einem ins Meer vor¬
springenden Felsen emporklimmen. Besonders interessante Baulichkeiten treten
nicht hervor, trotzdem dort lange die europäischen Gesandtschaften ihren Sitz
hatten, bevor sie nach Tanger übersiedelten. Doch macht die ganze Stadt mit
ihrer mittelalterlichen Befestigung einen außerordentlich malerischen Eindruck,
der an den manches mittelalterlichen Bergnestes in Deutschland erinnert. Wie
bei allen orientalischen Städten ist der Eindruck, den die Stadt aus der Nähe
macht, wesentlich ungünstiger. Überaus enge, holperige, bergauf und bergab
führende Straßen, die eher an alte Durchgänge und Winkel als an euro¬
päische Straßen erinnern, drücken ihr einen Stempel von Armseligkeit und
Verkommenheit auf, so ewig schön auch der Blick auf die See und die majestätisch
gegen die Felsen anrollenden Wogen des Atlantischen Ozeans ist.

Doch ist es an sich falsch, an orientalische und wohl an alle in heißeren
Zonen gelegenen Städte unseren Maßstab eines zweckentsprechenden Städte¬
baues anzulegen. Die engen, vielfach gewundenen Gassen und Gäßchen
gestatten der Sonne viel weniger den Zutritt als unsere breiten Straßen und
sind daher dem Klima weit mehr angemessen. Ebensowenig darf man von dem
unansehnlichen Äußern der Häuser und ihren oft spelunkenartigen Eingängen
ohne weiteres auf ein verwahrlostes Innere schließen. Im Gegenteil herrscht
vielfach gerade in den äußerlich so ärmlichen Judenwohnungen ein gediegener
Wohlstand und Komfort, wie auch fast alle Juden über eine saubere und
gediegene Festtagskleidung verfügen. Wir waren nämlich gerade am Vorabend
zweier jüdischer Festtage eingetroffen und hatten nicht nur Gelegenheit, die
Juden in ihrem Festgewand auf der Straße zu beobachten, sondern auch manchen
Blick in ihre Wohnungen zu tun, deren Türen offenstanden, — wohl auch
deshalb, um mit dem dort herrschenden Wohlstand etwas zu protzen. Überhaupt
scheint es den Juden in Marokko bei weitem nicht so schlecht zu gehen, wie
man allgemein annimmt; sie scheinen durchaus nicht genötigt zu sein, ihren
Reichtum, wie vielfach behauptet wird, zu verbergen. So gehört auch in Larasch
das schon von weitem auffallendste und eleganteste Haus, das sich auffällig aus
dem Gewimmel niedriger Häuser erhebt, einem Juden, der allerdings wohl der
Schützling irgendeiner europäischen Macht sein dürfte. Es steht zwar unmittelbar


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[0170] Larasch als idealer Lagerplatz erscheinen. Wer jedoch an das Ungeziefer denkt, das in derartigem seit langem nicht erneuerten Stroh haust, das allnächtlich anderen Karawanen als Lagerstätte dient, wird nicht nur saubere Betten in einem leidlichen Hotel, sondern selbst die harte Erde im Freien als Nachtquartier vor¬ ziehen. Mit unseren Leuten, die später auf einem großen Kahn den Fluß passiert hatten, trafen wir bei einer Wanderung in der Stadt zusammen. Auch sie vermieden vorsichtig den Fondak und zogen es vor, auf einem großen Platze vor dem Westtor unmittelbar unter den Zinnen der alten Festung das Zelt aufzuschlagen. Larasch gewährt besonders bei der Ankunft von Norden einen außerordentlich malerischen Anblick mit seinen weißen Häusern, die an einem ins Meer vor¬ springenden Felsen emporklimmen. Besonders interessante Baulichkeiten treten nicht hervor, trotzdem dort lange die europäischen Gesandtschaften ihren Sitz hatten, bevor sie nach Tanger übersiedelten. Doch macht die ganze Stadt mit ihrer mittelalterlichen Befestigung einen außerordentlich malerischen Eindruck, der an den manches mittelalterlichen Bergnestes in Deutschland erinnert. Wie bei allen orientalischen Städten ist der Eindruck, den die Stadt aus der Nähe macht, wesentlich ungünstiger. Überaus enge, holperige, bergauf und bergab führende Straßen, die eher an alte Durchgänge und Winkel als an euro¬ päische Straßen erinnern, drücken ihr einen Stempel von Armseligkeit und Verkommenheit auf, so ewig schön auch der Blick auf die See und die majestätisch gegen die Felsen anrollenden Wogen des Atlantischen Ozeans ist. Doch ist es an sich falsch, an orientalische und wohl an alle in heißeren Zonen gelegenen Städte unseren Maßstab eines zweckentsprechenden Städte¬ baues anzulegen. Die engen, vielfach gewundenen Gassen und Gäßchen gestatten der Sonne viel weniger den Zutritt als unsere breiten Straßen und sind daher dem Klima weit mehr angemessen. Ebensowenig darf man von dem unansehnlichen Äußern der Häuser und ihren oft spelunkenartigen Eingängen ohne weiteres auf ein verwahrlostes Innere schließen. Im Gegenteil herrscht vielfach gerade in den äußerlich so ärmlichen Judenwohnungen ein gediegener Wohlstand und Komfort, wie auch fast alle Juden über eine saubere und gediegene Festtagskleidung verfügen. Wir waren nämlich gerade am Vorabend zweier jüdischer Festtage eingetroffen und hatten nicht nur Gelegenheit, die Juden in ihrem Festgewand auf der Straße zu beobachten, sondern auch manchen Blick in ihre Wohnungen zu tun, deren Türen offenstanden, — wohl auch deshalb, um mit dem dort herrschenden Wohlstand etwas zu protzen. Überhaupt scheint es den Juden in Marokko bei weitem nicht so schlecht zu gehen, wie man allgemein annimmt; sie scheinen durchaus nicht genötigt zu sein, ihren Reichtum, wie vielfach behauptet wird, zu verbergen. So gehört auch in Larasch das schon von weitem auffallendste und eleganteste Haus, das sich auffällig aus dem Gewimmel niedriger Häuser erhebt, einem Juden, der allerdings wohl der Schützling irgendeiner europäischen Macht sein dürfte. Es steht zwar unmittelbar

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/170>, abgerufen am 10.06.2024.