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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Hundert Jahre Berliner Universität

sind), großen Einfluß auf die Rechtsprechung haben, v. Liszt hat auch diesem
Gebiet seinen Eifer gewidmet. Endlich wendet man sich sehr mit Recht auch
der Psychologie der Zeugen und der Aussage zu.

Mit dem positiven Recht und der Geschichte hängt die Nationalökonomie
eng zusammen, deren Aufgaben (wir sehen es an so ausgezeichneten Forschern
wie Wagner und Schmoller) trotz Ad. Smith (1776) und vielen andern, auch
dem Deutschen Fr. List, sich immer vertieft haben. Dies um so mehr, da, wie
Schmoller sagt, die ganze Theorie bis auf I. Se. Mill auf unvollkommener
Analyse des Menschen und einseitig optimistischer naturrechtlicher Weltanschauung
beruht und einer universalen Erfahrung entbehrt. Auch hier wird der Mensch
anders erkannt als durch philosophische Konstruktion. Als Hilfswissenschaft wird
unter andern die Anthropologie benutzt (für die der zähe Sammler Bastian
in Berlin tätig war) und die Statistik, die mit der Zeit einen fast unüberseh¬
baren Stoff aufgehäuft hat.

Sehen wir von einer Reihe berühmter Mathematiker ab, so waren in der
Physik die ersten zwanzig Jahre des neunzehnten Jahrhunderts eine Zeit
erstaunlichster Entdeckungen, obgleich Apparate und Einrichtungen stark zurück¬
standen. Glänzende Leistungen von Berliner Gelehrten sind mit der gesamten
Physik, auch der Franzosen und Engländer, eng verbunden. Kann man das
achtzehnte Jahrhundert vielleicht das der Akustik und zum Teil der Wärmelehre
nennen, so das neunzehnte das der Optik, Elektrizität und Energielchre. Poggen-
dorffs Annalen geben mit ein Bild von der ungeheuren Arbeit. Alle Zweige
wurden gepflegt, die theoretische und Experimentalphysik, die Mechanik, Thermo-
und Hydrodynamik, Elektrizität und elektromagnetische Lichttheorie, Metalloptik,
das Energieprinzip und Strahlungsgesetz, die Erzeugung und Absorption lang¬
weiliger Strahlen, Elektrochemie, Wetterkunde, von Gelehrten wie P. und
G. A. Erman, Magnus, Heimholt). G. Kirchhofs, Planck, Kundt. Warburg,
Rubens, Nernst, Dove, v. Bezold u. a.

Nach Frankreich und Schweden beteiligt sich auch Deutschland, besonders
seit Liebig, an der gewaltigen Entwicklung der Chemie, die zunächst vielfach
den Bedürfnissen des Lebens nachging und sich mit Physik und Technik zu
mannigfachen Arbeiten verband. E. Mitscherlich (f 1863) stellte die fruchtbare
Verbindung zwischen Kristallographie und Chemie her, Lcmdolt machte die Hilfs¬
mittel der Optik chemischen Zwecken dienstbar. A. W. v. Hofmann wirkte bis
1892; seine Anilinfarben sind auch für die Bakterienkunde bedeutsam geworden.
Als Vertreter der physikalischen Chemie sei noch van 't Hoff genannt. Nicht
wenige Chemiker waren zugleich Mineralogen (z. B. Rammelsberg), welchen
Gelehrten die Pflege der Geologie zunächst zufiel. Wie die Erde alles, was
sie aus sich herausgelassen hat, auch geduldig wieder einschluckt, so hat sie
manche sensationellen Seltsamkeiten aufgehoben, die uns viel Geld und Mühe
wert sind. An wie merkwürdigen Tieren hat sie doch einst ihre Mutterfreude
gehabt! Kein zeitgenössischer Dichter hat sie gepriesen, wie der des Hiob den


Hundert Jahre Berliner Universität

sind), großen Einfluß auf die Rechtsprechung haben, v. Liszt hat auch diesem
Gebiet seinen Eifer gewidmet. Endlich wendet man sich sehr mit Recht auch
der Psychologie der Zeugen und der Aussage zu.

Mit dem positiven Recht und der Geschichte hängt die Nationalökonomie
eng zusammen, deren Aufgaben (wir sehen es an so ausgezeichneten Forschern
wie Wagner und Schmoller) trotz Ad. Smith (1776) und vielen andern, auch
dem Deutschen Fr. List, sich immer vertieft haben. Dies um so mehr, da, wie
Schmoller sagt, die ganze Theorie bis auf I. Se. Mill auf unvollkommener
Analyse des Menschen und einseitig optimistischer naturrechtlicher Weltanschauung
beruht und einer universalen Erfahrung entbehrt. Auch hier wird der Mensch
anders erkannt als durch philosophische Konstruktion. Als Hilfswissenschaft wird
unter andern die Anthropologie benutzt (für die der zähe Sammler Bastian
in Berlin tätig war) und die Statistik, die mit der Zeit einen fast unüberseh¬
baren Stoff aufgehäuft hat.

Sehen wir von einer Reihe berühmter Mathematiker ab, so waren in der
Physik die ersten zwanzig Jahre des neunzehnten Jahrhunderts eine Zeit
erstaunlichster Entdeckungen, obgleich Apparate und Einrichtungen stark zurück¬
standen. Glänzende Leistungen von Berliner Gelehrten sind mit der gesamten
Physik, auch der Franzosen und Engländer, eng verbunden. Kann man das
achtzehnte Jahrhundert vielleicht das der Akustik und zum Teil der Wärmelehre
nennen, so das neunzehnte das der Optik, Elektrizität und Energielchre. Poggen-
dorffs Annalen geben mit ein Bild von der ungeheuren Arbeit. Alle Zweige
wurden gepflegt, die theoretische und Experimentalphysik, die Mechanik, Thermo-
und Hydrodynamik, Elektrizität und elektromagnetische Lichttheorie, Metalloptik,
das Energieprinzip und Strahlungsgesetz, die Erzeugung und Absorption lang¬
weiliger Strahlen, Elektrochemie, Wetterkunde, von Gelehrten wie P. und
G. A. Erman, Magnus, Heimholt). G. Kirchhofs, Planck, Kundt. Warburg,
Rubens, Nernst, Dove, v. Bezold u. a.

Nach Frankreich und Schweden beteiligt sich auch Deutschland, besonders
seit Liebig, an der gewaltigen Entwicklung der Chemie, die zunächst vielfach
den Bedürfnissen des Lebens nachging und sich mit Physik und Technik zu
mannigfachen Arbeiten verband. E. Mitscherlich (f 1863) stellte die fruchtbare
Verbindung zwischen Kristallographie und Chemie her, Lcmdolt machte die Hilfs¬
mittel der Optik chemischen Zwecken dienstbar. A. W. v. Hofmann wirkte bis
1892; seine Anilinfarben sind auch für die Bakterienkunde bedeutsam geworden.
Als Vertreter der physikalischen Chemie sei noch van 't Hoff genannt. Nicht
wenige Chemiker waren zugleich Mineralogen (z. B. Rammelsberg), welchen
Gelehrten die Pflege der Geologie zunächst zufiel. Wie die Erde alles, was
sie aus sich herausgelassen hat, auch geduldig wieder einschluckt, so hat sie
manche sensationellen Seltsamkeiten aufgehoben, die uns viel Geld und Mühe
wert sind. An wie merkwürdigen Tieren hat sie doch einst ihre Mutterfreude
gehabt! Kein zeitgenössischer Dichter hat sie gepriesen, wie der des Hiob den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/27>, abgerufen am 16.05.2024.