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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Zum hundertjährigen Geburtstag Fritz Reuters

wenn sie grünen und blühen soll. Verliert sie die Fühlung mit der Sprache
des Volks, so schrumpft sie zu etwas Abstraktem, dem grauen Etwas ein, von dem
die Poesie sich schaudernd abwendet. Man braucht ja nur die alten Bauern¬
sprüche durchzusehen, um zu wissen, wo die Sprache sich am besten Kraft und
Erdgeruch holt. Man mag über die Ausdrucksweise des Bauern denken, wie
man nur immer will, eins wird man ihr niemals nachsagen können: daß sie
nämlich blutleer sei. Der Sinn für farbensatte Bilder ist vielleicht keinem
Stand so eigentümlich wie dein Bauernstand, aus welchen: Grunde sich denn
auch die Künstler stets zu den Bauern hingezogen fühlten, auch wenn die
"gebildeten" blutleeren Stadtmenschen sich entsetzt das Taschentuch unter die
Nase hielten. Man verstehe mich recht: es soll hier kein demagogischer Bauern¬
kultus getrieben werden. Vielmehr soll ausdrücklich eingeräumt werden, daß
selbstverständlich die Sprache des wirklich gebildeten Mannes über derjenigen
des Bauern steht. Die deutsche Kultur wäre ja ein sonderbares Ding, wenn
sie die deutsche Sprache ruinierte. Bei alledem aber bleibt die Tatsache bestehen,
daß der Bauer Bilder hat, um die ihn gelegentlich Shakespeare beneiden könnte.
Seine an sich unvollkommene Sprache übertrifft in diesem wesentlichen Punkt
die Sprache des Gebildeten. Auf den ersten Blick scheint das ja ein unlös¬
barer Widerspruch zu sein und mancher ist darum vielleicht geneigt, den Bilder¬
reichtum des Bauern einfach für einen ehrwürdigen Aberglauben zu halten.
Glücklicherweise aber löst sich bei näherem Hinsehen der Widerspruch in Ver¬
nunft auf. Der Bilderreichtum des Bauern läßt sich als eine psychologische
Notwendigkeit nachweisen, die mit der sonstigen Unvollkommenheit seiner Sprache
ursachlich zusammenhängt, und damit sind wir dann gegen den Vorwurf einer
kopflosen Bauernverehrung so gut gedeckt, wie man in einer ästhetischen Unter¬
suchung überhaupt nur gedeckt sein kann.

Der gebildete Mensch steht unter dem Einfluß des Buches. Er hat
aus dem Buch gelernt, einen langen Gedankengang in klaren Worten vor¬
zutragen. Er wird sich daher, wenn er überzeugen will, auf die durchsichtige
Helligkeit seiner Darstellung verlassen. Er traut (und in diesem Zusammenhang
mit Recht) der Logik mehr als der Phantasie. Ganz anders aber liegt die
Sache beim Bauern. Ihm geht das Wort nicht leicht vom Mund und die
übersichtliche Darstellung ist nun schon ganz und gar nicht seine Sache. Auf
die durchsichtige Klarheit seiner Rede kann er sich nicht verlassen und darum
greift er nach einen: anderen Mittel, um zu überzeugen. Kann ihm der
Zusammenhang nicht dienen, so muß es das einzelne Wort. Dem einzelnen
Wort muß er eine so sinnfällige Kraft und Fülle verleihen, daß der Hörer die
Richtigkeit der Sache sozusagen mit Händen greift. Umgekehrt wie der Städter
verläßt er sich auf die Phantasie und spricht zur Phantasie. Die lange logische
Entwicklung erfordert eine Gewandtheit im Satzbau, die er nicht besitzt. Er
muß durch Anschaulichkeit beweisen, und wir brauchen uns daher nicht zu wundern,
daß seine Sprache mit anschaulichen Bildern getränkt ist. In diesem einen


Zum hundertjährigen Geburtstag Fritz Reuters

wenn sie grünen und blühen soll. Verliert sie die Fühlung mit der Sprache
des Volks, so schrumpft sie zu etwas Abstraktem, dem grauen Etwas ein, von dem
die Poesie sich schaudernd abwendet. Man braucht ja nur die alten Bauern¬
sprüche durchzusehen, um zu wissen, wo die Sprache sich am besten Kraft und
Erdgeruch holt. Man mag über die Ausdrucksweise des Bauern denken, wie
man nur immer will, eins wird man ihr niemals nachsagen können: daß sie
nämlich blutleer sei. Der Sinn für farbensatte Bilder ist vielleicht keinem
Stand so eigentümlich wie dein Bauernstand, aus welchen: Grunde sich denn
auch die Künstler stets zu den Bauern hingezogen fühlten, auch wenn die
„gebildeten" blutleeren Stadtmenschen sich entsetzt das Taschentuch unter die
Nase hielten. Man verstehe mich recht: es soll hier kein demagogischer Bauern¬
kultus getrieben werden. Vielmehr soll ausdrücklich eingeräumt werden, daß
selbstverständlich die Sprache des wirklich gebildeten Mannes über derjenigen
des Bauern steht. Die deutsche Kultur wäre ja ein sonderbares Ding, wenn
sie die deutsche Sprache ruinierte. Bei alledem aber bleibt die Tatsache bestehen,
daß der Bauer Bilder hat, um die ihn gelegentlich Shakespeare beneiden könnte.
Seine an sich unvollkommene Sprache übertrifft in diesem wesentlichen Punkt
die Sprache des Gebildeten. Auf den ersten Blick scheint das ja ein unlös¬
barer Widerspruch zu sein und mancher ist darum vielleicht geneigt, den Bilder¬
reichtum des Bauern einfach für einen ehrwürdigen Aberglauben zu halten.
Glücklicherweise aber löst sich bei näherem Hinsehen der Widerspruch in Ver¬
nunft auf. Der Bilderreichtum des Bauern läßt sich als eine psychologische
Notwendigkeit nachweisen, die mit der sonstigen Unvollkommenheit seiner Sprache
ursachlich zusammenhängt, und damit sind wir dann gegen den Vorwurf einer
kopflosen Bauernverehrung so gut gedeckt, wie man in einer ästhetischen Unter¬
suchung überhaupt nur gedeckt sein kann.

Der gebildete Mensch steht unter dem Einfluß des Buches. Er hat
aus dem Buch gelernt, einen langen Gedankengang in klaren Worten vor¬
zutragen. Er wird sich daher, wenn er überzeugen will, auf die durchsichtige
Helligkeit seiner Darstellung verlassen. Er traut (und in diesem Zusammenhang
mit Recht) der Logik mehr als der Phantasie. Ganz anders aber liegt die
Sache beim Bauern. Ihm geht das Wort nicht leicht vom Mund und die
übersichtliche Darstellung ist nun schon ganz und gar nicht seine Sache. Auf
die durchsichtige Klarheit seiner Rede kann er sich nicht verlassen und darum
greift er nach einen: anderen Mittel, um zu überzeugen. Kann ihm der
Zusammenhang nicht dienen, so muß es das einzelne Wort. Dem einzelnen
Wort muß er eine so sinnfällige Kraft und Fülle verleihen, daß der Hörer die
Richtigkeit der Sache sozusagen mit Händen greift. Umgekehrt wie der Städter
verläßt er sich auf die Phantasie und spricht zur Phantasie. Die lange logische
Entwicklung erfordert eine Gewandtheit im Satzbau, die er nicht besitzt. Er
muß durch Anschaulichkeit beweisen, und wir brauchen uns daher nicht zu wundern,
daß seine Sprache mit anschaulichen Bildern getränkt ist. In diesem einen


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[0278] Zum hundertjährigen Geburtstag Fritz Reuters wenn sie grünen und blühen soll. Verliert sie die Fühlung mit der Sprache des Volks, so schrumpft sie zu etwas Abstraktem, dem grauen Etwas ein, von dem die Poesie sich schaudernd abwendet. Man braucht ja nur die alten Bauern¬ sprüche durchzusehen, um zu wissen, wo die Sprache sich am besten Kraft und Erdgeruch holt. Man mag über die Ausdrucksweise des Bauern denken, wie man nur immer will, eins wird man ihr niemals nachsagen können: daß sie nämlich blutleer sei. Der Sinn für farbensatte Bilder ist vielleicht keinem Stand so eigentümlich wie dein Bauernstand, aus welchen: Grunde sich denn auch die Künstler stets zu den Bauern hingezogen fühlten, auch wenn die „gebildeten" blutleeren Stadtmenschen sich entsetzt das Taschentuch unter die Nase hielten. Man verstehe mich recht: es soll hier kein demagogischer Bauern¬ kultus getrieben werden. Vielmehr soll ausdrücklich eingeräumt werden, daß selbstverständlich die Sprache des wirklich gebildeten Mannes über derjenigen des Bauern steht. Die deutsche Kultur wäre ja ein sonderbares Ding, wenn sie die deutsche Sprache ruinierte. Bei alledem aber bleibt die Tatsache bestehen, daß der Bauer Bilder hat, um die ihn gelegentlich Shakespeare beneiden könnte. Seine an sich unvollkommene Sprache übertrifft in diesem wesentlichen Punkt die Sprache des Gebildeten. Auf den ersten Blick scheint das ja ein unlös¬ barer Widerspruch zu sein und mancher ist darum vielleicht geneigt, den Bilder¬ reichtum des Bauern einfach für einen ehrwürdigen Aberglauben zu halten. Glücklicherweise aber löst sich bei näherem Hinsehen der Widerspruch in Ver¬ nunft auf. Der Bilderreichtum des Bauern läßt sich als eine psychologische Notwendigkeit nachweisen, die mit der sonstigen Unvollkommenheit seiner Sprache ursachlich zusammenhängt, und damit sind wir dann gegen den Vorwurf einer kopflosen Bauernverehrung so gut gedeckt, wie man in einer ästhetischen Unter¬ suchung überhaupt nur gedeckt sein kann. Der gebildete Mensch steht unter dem Einfluß des Buches. Er hat aus dem Buch gelernt, einen langen Gedankengang in klaren Worten vor¬ zutragen. Er wird sich daher, wenn er überzeugen will, auf die durchsichtige Helligkeit seiner Darstellung verlassen. Er traut (und in diesem Zusammenhang mit Recht) der Logik mehr als der Phantasie. Ganz anders aber liegt die Sache beim Bauern. Ihm geht das Wort nicht leicht vom Mund und die übersichtliche Darstellung ist nun schon ganz und gar nicht seine Sache. Auf die durchsichtige Klarheit seiner Rede kann er sich nicht verlassen und darum greift er nach einen: anderen Mittel, um zu überzeugen. Kann ihm der Zusammenhang nicht dienen, so muß es das einzelne Wort. Dem einzelnen Wort muß er eine so sinnfällige Kraft und Fülle verleihen, daß der Hörer die Richtigkeit der Sache sozusagen mit Händen greift. Umgekehrt wie der Städter verläßt er sich auf die Phantasie und spricht zur Phantasie. Die lange logische Entwicklung erfordert eine Gewandtheit im Satzbau, die er nicht besitzt. Er muß durch Anschaulichkeit beweisen, und wir brauchen uns daher nicht zu wundern, daß seine Sprache mit anschaulichen Bildern getränkt ist. In diesem einen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/278>, abgerufen am 31.05.2024.