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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Postsparkassen

UM eine gewaltige Vermehrung der Spargelegenheit herbeizuführen und dabei
auch das Abholungsverfahren einzurichten. Sie berufen sich zum Nachweise der
Vorzüglichkeit ihres Projektes auf die Ergebnisse in den anderen Kulturstaaten,
welche unstreitig geeignet sind, die ihnen zugrunde liegende Idee im allgemeinen
zu empfehlen. Hierbei wird aber vielfach vergessen, daß in den Ländern, welche
Postsparkassen einrichteten, Voraussetzungen vorhanden sind, welche im Deutschen
Reiche teils überhaupt nicht, teils nur ganz vereinzelt vorliegen.

Wenn diese Voraussetzungen, wie eingangsweise bemerkt, bereits in den
Vereinigten Staaten vorliegen, so treffen sie ganz besonders auf das "Mutter-
und Musterland der Postsparkassen", auf England, zu.

Als Gladstone dort im Jahre 1861 die Postsparkassen einführte, hatte eine
Untersuchung der Privatsparkassen äußerst gravierende grobe Fahrlässigkeit und
Untreue in der Verwaltung festgestellt. Zahlreiche Unterschlagungen und leicht¬
sinnige Spekulationen mit den Spargeldern hatten im Jahre 1858 zu einem
Fehlbetrage der Privatsparkassen von 88 Millionen Mark geführt. Solchen
Mißständen gegenüber mochte, da England Kommunalsparkassen nicht kannte,
die Errichtung von Postsparkassen eine zweckmäßige Neformmaßregel sein. Der
Staat selbst war aber zu einem Eintreten verpflichtet, da der Verlust nicht ohne
seine Mitverantwortlichkeit entstanden war*).

In Belgien war das Sparkassenwesen vor Errichtung der Staatssparkasse
sehr wenig und nicht günstig entwickelt. Gegen das Ende der zwanziger Jahre
entstanden im südlichen Teile des Königreiches der Niederlande Sparkassen,
welche ihre Gelder in Staatspapieren anlegten. Der Ausbruch der Revolution
von 1830, welcher zur Loslösung Belgiens führte, nötigte diese Kassen zur
Einstellung ihrer Zahlungen. Nach dieser Krise, welche das Vertrauen zu den
Sparkassen sehr erschüttert hatte, wurden einige Sparkassen von Jndustrie-
gesellschaften im Interesse ihrer Arbeiter gegründet. Sie treten aber an Umfang
sehr zurück gegen eine Zentralsparkasse, welche die Zocietö Zentrale pour
iavoiiser I'iriäu8tre nationale im Jahre 1882 ins Leben rief. In allen
Städten des Landes, in denen diese Gesellschaft als Kassiererin des Staates
eine Agentur besaß, errichtete sie Sparstellen. Die Gesetzgebung stattete die Unter¬
nehmung mit Stempelfreiheit und anderen Vorrechten aus. Obschon die belgische
Gemeindeordnung von 1836 den Industriestädten die Verpflichtung auferlegte, für
Errichtung von Sparkassen zu sorgen, hatte diese Anregung, wahrscheinlich
infolge des Bestehens der zentralisierten Sparkasse, deren Filialen den Vorzug
der früheren Errichtung und einer festen Kundschaft hatten, nur sehr geringen
Erfolg.

Auch die sich anfänglich gut entwickelnde Zentralsparkasse der LoLietö
Zensrale geriet später durch die Revolution des Jahres 1848 in eine ver¬
zweifelte Lage.



") Siehe zu der Darstellung der tatsächlichen Verhältnisse in den einzelnen Staaten:
Röscher, Post- und Lotalsparknssen in Deutschland, Dresden, von Zahn und Jaensch, 1885.
Postsparkassen

UM eine gewaltige Vermehrung der Spargelegenheit herbeizuführen und dabei
auch das Abholungsverfahren einzurichten. Sie berufen sich zum Nachweise der
Vorzüglichkeit ihres Projektes auf die Ergebnisse in den anderen Kulturstaaten,
welche unstreitig geeignet sind, die ihnen zugrunde liegende Idee im allgemeinen
zu empfehlen. Hierbei wird aber vielfach vergessen, daß in den Ländern, welche
Postsparkassen einrichteten, Voraussetzungen vorhanden sind, welche im Deutschen
Reiche teils überhaupt nicht, teils nur ganz vereinzelt vorliegen.

Wenn diese Voraussetzungen, wie eingangsweise bemerkt, bereits in den
Vereinigten Staaten vorliegen, so treffen sie ganz besonders auf das „Mutter-
und Musterland der Postsparkassen", auf England, zu.

Als Gladstone dort im Jahre 1861 die Postsparkassen einführte, hatte eine
Untersuchung der Privatsparkassen äußerst gravierende grobe Fahrlässigkeit und
Untreue in der Verwaltung festgestellt. Zahlreiche Unterschlagungen und leicht¬
sinnige Spekulationen mit den Spargeldern hatten im Jahre 1858 zu einem
Fehlbetrage der Privatsparkassen von 88 Millionen Mark geführt. Solchen
Mißständen gegenüber mochte, da England Kommunalsparkassen nicht kannte,
die Errichtung von Postsparkassen eine zweckmäßige Neformmaßregel sein. Der
Staat selbst war aber zu einem Eintreten verpflichtet, da der Verlust nicht ohne
seine Mitverantwortlichkeit entstanden war*).

In Belgien war das Sparkassenwesen vor Errichtung der Staatssparkasse
sehr wenig und nicht günstig entwickelt. Gegen das Ende der zwanziger Jahre
entstanden im südlichen Teile des Königreiches der Niederlande Sparkassen,
welche ihre Gelder in Staatspapieren anlegten. Der Ausbruch der Revolution
von 1830, welcher zur Loslösung Belgiens führte, nötigte diese Kassen zur
Einstellung ihrer Zahlungen. Nach dieser Krise, welche das Vertrauen zu den
Sparkassen sehr erschüttert hatte, wurden einige Sparkassen von Jndustrie-
gesellschaften im Interesse ihrer Arbeiter gegründet. Sie treten aber an Umfang
sehr zurück gegen eine Zentralsparkasse, welche die Zocietö Zentrale pour
iavoiiser I'iriäu8tre nationale im Jahre 1882 ins Leben rief. In allen
Städten des Landes, in denen diese Gesellschaft als Kassiererin des Staates
eine Agentur besaß, errichtete sie Sparstellen. Die Gesetzgebung stattete die Unter¬
nehmung mit Stempelfreiheit und anderen Vorrechten aus. Obschon die belgische
Gemeindeordnung von 1836 den Industriestädten die Verpflichtung auferlegte, für
Errichtung von Sparkassen zu sorgen, hatte diese Anregung, wahrscheinlich
infolge des Bestehens der zentralisierten Sparkasse, deren Filialen den Vorzug
der früheren Errichtung und einer festen Kundschaft hatten, nur sehr geringen
Erfolg.

Auch die sich anfänglich gut entwickelnde Zentralsparkasse der LoLietö
Zensrale geriet später durch die Revolution des Jahres 1848 in eine ver¬
zweifelte Lage.



") Siehe zu der Darstellung der tatsächlichen Verhältnisse in den einzelnen Staaten:
Röscher, Post- und Lotalsparknssen in Deutschland, Dresden, von Zahn und Jaensch, 1885.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/33>, abgerufen am 15.05.2024.