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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Die neuen Forschungsinstitute

ein vollgültiger Ersatz für ihn da sein wird? Dürfen wir hoffen, daß in einem
bestimmten Fache fortdauernd oder auch nur in jeder Generation Genies ent¬
stehen? Ob die Nachfolger von Helmholtz die Physikalisch-technische Reichsanstalt
auf der früheren Höhe gehalten haben, darüber sind die Meinungen sehr geteilt.
Auch das ist zu bedenken, ob nicht mancher große Gelehrte in Anhänglichkeit
an den Lehrberuf lieber an der Universität bleibt, als daß er sich in einem
Forschungsinstitut gewissermaßen auf das Altenteil zurückzieht.

Nach der Rede des Kaisers könnte man vermuten, daß die neuen Institute
als preußische ius Leben treten sollen; doch werden dem Vernehmen nach Reichs¬
institute geplant. Vielleicht sollen aus den Mitteln der kaiserlichen Gesellschaft
nur die Baukosten bestritten werden, während der Staat die Aufgabe haben
wird, den Bauplatz herzugeben, und das Reich die laufenden Unterhaltungs¬
kosten bezahlt. Auch über die persönliche Stellung, die den Instituts¬
leitern und ihren Assistenten gegeben werden soll, verlautet noch nichts. Es
wird namentlich darauf zu achten fein, daß sie der Regierung gegenüber
dieselbe Unabhängigkeit erhalten wie ein Universitätsprofessor, und daß die
Freiheit der Forschung ihnen verbürgt wird. Ebenso ist noch nicht bekannt
gegeben, wie die geplante enge Fühlung der Forschungsinstitute mit Akademie
und Universität hergestellt werden soll. Nach Zeitungsnachrichten will man
zunächst ein Institut für physikalische Chemie und ein solches für organische und
anorganische Chemie begründen, und zwar in Dahlem bei Berlin. Für das
Chemische Institut sind angeblich von der chemischen Industrie schon Materialien
im Werte von einer Million Mark zur Verfügung gestellt worden. Ein chemisches
Forschungsinstitut, und zwar ein Reichsinstitut, wurde schon vor vier Jahren
geplant. Es sollte damals in der Weise begründet werden, daß Preußen den
Bauplatz zur Verfügung stellte, die chemische Großindustrie die Kosten des Baues
trüge und das Deutsche Reich die Mittel für den Betrieb aufbrächte. An¬
scheinend ist damals das Projekt an dem schlechten Stande der Reichsfinanzen
gescheitert. Gegen den Plan hatten auch in der Fachpresse trotz der vorherrschenden
Hurrastimmung mehrere sehr gewichtige Stimmen Bedenken erhoben, zum Teil
dieselben Bedenken, die eben von mir zum Ausdruck gebracht sind. Besonders
sind in dieser Beziehung die Professoren von Martius und Delbrück sowie der
Geheime Kommerzienrat Dr. Gans in Frankfurt am Main zu erwähnen. Von
diesen Dingen wird ausführlicher erst zu sprechen sein, wenn die Absicht, ein
chemisches Forschungsinstitut zu begründen, festere Gestalt gewonnen hat.

Interessant ist es zu sehen, welches Echo die Mitteilungen des Kaisers in
der Professorenwelt und in der Tagespresse gefunden haben. Man kann sagen,
daß eigentlich jeder etwas andres aus den kaiserlichen Worten herausgelesen
hat, und jeder das, was seinen eigenen Wünschen entspricht. Ein Berliner Blatt
setzt als selbstverständlich voraus, daß die neuen Institute in Berlin gegründet
werden, und sieht im Geiste die Hochburg der Universität umgeben von einem
Kranze detachierter Forts; eine rheinische Zeitung preist dagegen vor allem eine


Die neuen Forschungsinstitute

ein vollgültiger Ersatz für ihn da sein wird? Dürfen wir hoffen, daß in einem
bestimmten Fache fortdauernd oder auch nur in jeder Generation Genies ent¬
stehen? Ob die Nachfolger von Helmholtz die Physikalisch-technische Reichsanstalt
auf der früheren Höhe gehalten haben, darüber sind die Meinungen sehr geteilt.
Auch das ist zu bedenken, ob nicht mancher große Gelehrte in Anhänglichkeit
an den Lehrberuf lieber an der Universität bleibt, als daß er sich in einem
Forschungsinstitut gewissermaßen auf das Altenteil zurückzieht.

Nach der Rede des Kaisers könnte man vermuten, daß die neuen Institute
als preußische ius Leben treten sollen; doch werden dem Vernehmen nach Reichs¬
institute geplant. Vielleicht sollen aus den Mitteln der kaiserlichen Gesellschaft
nur die Baukosten bestritten werden, während der Staat die Aufgabe haben
wird, den Bauplatz herzugeben, und das Reich die laufenden Unterhaltungs¬
kosten bezahlt. Auch über die persönliche Stellung, die den Instituts¬
leitern und ihren Assistenten gegeben werden soll, verlautet noch nichts. Es
wird namentlich darauf zu achten fein, daß sie der Regierung gegenüber
dieselbe Unabhängigkeit erhalten wie ein Universitätsprofessor, und daß die
Freiheit der Forschung ihnen verbürgt wird. Ebenso ist noch nicht bekannt
gegeben, wie die geplante enge Fühlung der Forschungsinstitute mit Akademie
und Universität hergestellt werden soll. Nach Zeitungsnachrichten will man
zunächst ein Institut für physikalische Chemie und ein solches für organische und
anorganische Chemie begründen, und zwar in Dahlem bei Berlin. Für das
Chemische Institut sind angeblich von der chemischen Industrie schon Materialien
im Werte von einer Million Mark zur Verfügung gestellt worden. Ein chemisches
Forschungsinstitut, und zwar ein Reichsinstitut, wurde schon vor vier Jahren
geplant. Es sollte damals in der Weise begründet werden, daß Preußen den
Bauplatz zur Verfügung stellte, die chemische Großindustrie die Kosten des Baues
trüge und das Deutsche Reich die Mittel für den Betrieb aufbrächte. An¬
scheinend ist damals das Projekt an dem schlechten Stande der Reichsfinanzen
gescheitert. Gegen den Plan hatten auch in der Fachpresse trotz der vorherrschenden
Hurrastimmung mehrere sehr gewichtige Stimmen Bedenken erhoben, zum Teil
dieselben Bedenken, die eben von mir zum Ausdruck gebracht sind. Besonders
sind in dieser Beziehung die Professoren von Martius und Delbrück sowie der
Geheime Kommerzienrat Dr. Gans in Frankfurt am Main zu erwähnen. Von
diesen Dingen wird ausführlicher erst zu sprechen sein, wenn die Absicht, ein
chemisches Forschungsinstitut zu begründen, festere Gestalt gewonnen hat.

Interessant ist es zu sehen, welches Echo die Mitteilungen des Kaisers in
der Professorenwelt und in der Tagespresse gefunden haben. Man kann sagen,
daß eigentlich jeder etwas andres aus den kaiserlichen Worten herausgelesen
hat, und jeder das, was seinen eigenen Wünschen entspricht. Ein Berliner Blatt
setzt als selbstverständlich voraus, daß die neuen Institute in Berlin gegründet
werden, und sieht im Geiste die Hochburg der Universität umgeben von einem
Kranze detachierter Forts; eine rheinische Zeitung preist dagegen vor allem eine


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[0355] Die neuen Forschungsinstitute ein vollgültiger Ersatz für ihn da sein wird? Dürfen wir hoffen, daß in einem bestimmten Fache fortdauernd oder auch nur in jeder Generation Genies ent¬ stehen? Ob die Nachfolger von Helmholtz die Physikalisch-technische Reichsanstalt auf der früheren Höhe gehalten haben, darüber sind die Meinungen sehr geteilt. Auch das ist zu bedenken, ob nicht mancher große Gelehrte in Anhänglichkeit an den Lehrberuf lieber an der Universität bleibt, als daß er sich in einem Forschungsinstitut gewissermaßen auf das Altenteil zurückzieht. Nach der Rede des Kaisers könnte man vermuten, daß die neuen Institute als preußische ius Leben treten sollen; doch werden dem Vernehmen nach Reichs¬ institute geplant. Vielleicht sollen aus den Mitteln der kaiserlichen Gesellschaft nur die Baukosten bestritten werden, während der Staat die Aufgabe haben wird, den Bauplatz herzugeben, und das Reich die laufenden Unterhaltungs¬ kosten bezahlt. Auch über die persönliche Stellung, die den Instituts¬ leitern und ihren Assistenten gegeben werden soll, verlautet noch nichts. Es wird namentlich darauf zu achten fein, daß sie der Regierung gegenüber dieselbe Unabhängigkeit erhalten wie ein Universitätsprofessor, und daß die Freiheit der Forschung ihnen verbürgt wird. Ebenso ist noch nicht bekannt gegeben, wie die geplante enge Fühlung der Forschungsinstitute mit Akademie und Universität hergestellt werden soll. Nach Zeitungsnachrichten will man zunächst ein Institut für physikalische Chemie und ein solches für organische und anorganische Chemie begründen, und zwar in Dahlem bei Berlin. Für das Chemische Institut sind angeblich von der chemischen Industrie schon Materialien im Werte von einer Million Mark zur Verfügung gestellt worden. Ein chemisches Forschungsinstitut, und zwar ein Reichsinstitut, wurde schon vor vier Jahren geplant. Es sollte damals in der Weise begründet werden, daß Preußen den Bauplatz zur Verfügung stellte, die chemische Großindustrie die Kosten des Baues trüge und das Deutsche Reich die Mittel für den Betrieb aufbrächte. An¬ scheinend ist damals das Projekt an dem schlechten Stande der Reichsfinanzen gescheitert. Gegen den Plan hatten auch in der Fachpresse trotz der vorherrschenden Hurrastimmung mehrere sehr gewichtige Stimmen Bedenken erhoben, zum Teil dieselben Bedenken, die eben von mir zum Ausdruck gebracht sind. Besonders sind in dieser Beziehung die Professoren von Martius und Delbrück sowie der Geheime Kommerzienrat Dr. Gans in Frankfurt am Main zu erwähnen. Von diesen Dingen wird ausführlicher erst zu sprechen sein, wenn die Absicht, ein chemisches Forschungsinstitut zu begründen, festere Gestalt gewonnen hat. Interessant ist es zu sehen, welches Echo die Mitteilungen des Kaisers in der Professorenwelt und in der Tagespresse gefunden haben. Man kann sagen, daß eigentlich jeder etwas andres aus den kaiserlichen Worten herausgelesen hat, und jeder das, was seinen eigenen Wünschen entspricht. Ein Berliner Blatt setzt als selbstverständlich voraus, daß die neuen Institute in Berlin gegründet werden, und sieht im Geiste die Hochburg der Universität umgeben von einem Kranze detachierter Forts; eine rheinische Zeitung preist dagegen vor allem eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/355>, abgerufen am 17.06.2024.