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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Juristen >nit Laie" in der preußischen Verwaltung

beispielsweise ein voll gerütteltes Maß juristischer Kenntnisse, die grade heut¬
zutage in unserm Rechtsstaat für jeden Verwaltungsbeamten unentbehrlich sind,
und dann die früher geschilderte, nur in der juristischen Tätigkeit zu erwerbende
Fähigkeit des praktischen Denkens. Sie kann weder durch sogenannten gesunden
Menschenverstand, noch, wie Minister von Delbrück am Beispiel des Grafen
Arnim-Boizenburg, des bekannten Staatsmanns, gezeigt hat, durch gründliche
allgemeine Bildung, weiten Gesichtskreis, große Lebhaftigkeit des Geists oder
Vielseitigkeit der Interessen, also die hervorragendsten Eigenschaften ans geistigem
Gebiet, die ein Mann haben kann, ersetzt oder auch nur entbehrlich gemacht
werden. --

Wie sich das Stümpertnm der Juristen und Laien in der Verwaltung
betätigt, läßt sich nur schwer mit Worten erschöpfend klar machen. Juristen
zeigen beispielsweise infolge der früher erwähnten Mängel oft große Bedenklichkeit.
Aber es gibt anch nicht wenige, die sich dadurch als Stümper erweisen, daß
sie umgekehrt kühn über wirklich begründete rechtliche und sachliche Bedenken
hinweggehn und mit der Sicherheit des Halbkenners die schwierigsten Fragen
im Handunidrehen entscheiden. Nach einem bekannten Wort Goethes ist es
eben ein wesentlicher Zug des Dilettanten, daß er die Schwierigkeiten nicht zu
erkennen pflegt, die in einer Sache liegen. Ich muß gestehn, daß mir tüftelnde
Kleinigkeitskrämer immer noch lieber sind, als solche genialen Leute. Laien
zeigen häufig Abhängigkeit von andern, namentlich von ihren Gehilfen. Auch
fehlt ihnen häufig das Staatsbewußtsein, da dieses nicht angeboren ist, sondern
erst durch planmäßige Erziehung im Staatsdienst mühsam erworben werden
muß. Ferner ist fürs Stümpertnm bezeichnend ein vertrauensseliger Optimismus,
der ins Gelag hinein hofft, ohne zu wissen, warum, und daher nichts gemein
hat mit den: echten Optimismus, ohne den keine schöpferische Tat gedacht werden
kann, weil dieser nur der Ausdruck der begründeten Überzeugung ist, daß alles
geschehen ist, was nach menschlichem Ermessen zum Gedeihen eines Unternehmens
nötig schien. Endlich möchte ich darauf hinweisen, daß Stümpertnm und
Bnreankratismus und Formalismus innerlich nähe verwandt sind. Der Beweis
im Großen hierfür ist England. Lothar Bucher nennt einmal England das
gelobte Land des Dilettantismus. Nun, es ist auch das gelobte Land des
Bureaukratismus und eines selbst für den schlimmsten preußisch-deutschen
Bureaukraten unerhörten Formelkrams. Wer mir nicht glaubt, der lese nur einmal
den Artikel von Plate über Munizipalsozicüismns und städtisches Anleihewesen
(Schmollers Jahrbücher 190K Heft 3 S. 287), er wird mir dann recht geben.
Die Erklärung hierfür liegt nahe. Wer sein Tätigkeitsgebiet nicht gründlich
und von einer höhern Warte aus kennen gelernt hat und zudem nicht das
nötige Fachmissen besitzt, wird sich an Nebensächliches und Unwesentliches
klammern. --

Es würde sehr wertvoll für die Erkenntnis der preußischen Verwaltungs¬
geschichte sein, das Eindringen der Juristen und Laien in unsre Verwaltung


Juristen >nit Laie» in der preußischen Verwaltung

beispielsweise ein voll gerütteltes Maß juristischer Kenntnisse, die grade heut¬
zutage in unserm Rechtsstaat für jeden Verwaltungsbeamten unentbehrlich sind,
und dann die früher geschilderte, nur in der juristischen Tätigkeit zu erwerbende
Fähigkeit des praktischen Denkens. Sie kann weder durch sogenannten gesunden
Menschenverstand, noch, wie Minister von Delbrück am Beispiel des Grafen
Arnim-Boizenburg, des bekannten Staatsmanns, gezeigt hat, durch gründliche
allgemeine Bildung, weiten Gesichtskreis, große Lebhaftigkeit des Geists oder
Vielseitigkeit der Interessen, also die hervorragendsten Eigenschaften ans geistigem
Gebiet, die ein Mann haben kann, ersetzt oder auch nur entbehrlich gemacht
werden. —

Wie sich das Stümpertnm der Juristen und Laien in der Verwaltung
betätigt, läßt sich nur schwer mit Worten erschöpfend klar machen. Juristen
zeigen beispielsweise infolge der früher erwähnten Mängel oft große Bedenklichkeit.
Aber es gibt anch nicht wenige, die sich dadurch als Stümper erweisen, daß
sie umgekehrt kühn über wirklich begründete rechtliche und sachliche Bedenken
hinweggehn und mit der Sicherheit des Halbkenners die schwierigsten Fragen
im Handunidrehen entscheiden. Nach einem bekannten Wort Goethes ist es
eben ein wesentlicher Zug des Dilettanten, daß er die Schwierigkeiten nicht zu
erkennen pflegt, die in einer Sache liegen. Ich muß gestehn, daß mir tüftelnde
Kleinigkeitskrämer immer noch lieber sind, als solche genialen Leute. Laien
zeigen häufig Abhängigkeit von andern, namentlich von ihren Gehilfen. Auch
fehlt ihnen häufig das Staatsbewußtsein, da dieses nicht angeboren ist, sondern
erst durch planmäßige Erziehung im Staatsdienst mühsam erworben werden
muß. Ferner ist fürs Stümpertnm bezeichnend ein vertrauensseliger Optimismus,
der ins Gelag hinein hofft, ohne zu wissen, warum, und daher nichts gemein
hat mit den: echten Optimismus, ohne den keine schöpferische Tat gedacht werden
kann, weil dieser nur der Ausdruck der begründeten Überzeugung ist, daß alles
geschehen ist, was nach menschlichem Ermessen zum Gedeihen eines Unternehmens
nötig schien. Endlich möchte ich darauf hinweisen, daß Stümpertnm und
Bnreankratismus und Formalismus innerlich nähe verwandt sind. Der Beweis
im Großen hierfür ist England. Lothar Bucher nennt einmal England das
gelobte Land des Dilettantismus. Nun, es ist auch das gelobte Land des
Bureaukratismus und eines selbst für den schlimmsten preußisch-deutschen
Bureaukraten unerhörten Formelkrams. Wer mir nicht glaubt, der lese nur einmal
den Artikel von Plate über Munizipalsozicüismns und städtisches Anleihewesen
(Schmollers Jahrbücher 190K Heft 3 S. 287), er wird mir dann recht geben.
Die Erklärung hierfür liegt nahe. Wer sein Tätigkeitsgebiet nicht gründlich
und von einer höhern Warte aus kennen gelernt hat und zudem nicht das
nötige Fachmissen besitzt, wird sich an Nebensächliches und Unwesentliches
klammern. —

Es würde sehr wertvoll für die Erkenntnis der preußischen Verwaltungs¬
geschichte sein, das Eindringen der Juristen und Laien in unsre Verwaltung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/420>, abgerufen am 31.05.2024.