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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Die Organisation des ^cichsvcvsichcningslvescns

infolge der Zwiespältigkeit der Verwaltung. Innerhalb eines Behördenorganismus
könnte ein unmittelbarer Verkehr zwischen der anweisenden und der zahlenden
Stelle eingerichtet werden. Außer durch Wegfall dieser Zwischenstellen würden
sich auch noch durch Vereinfachung des Schriftwechsels mancherlei Ersparnisse
erzielen lassen.

Um dies zu erreichen, braucht man das deutsche Volk nicht mit einem neuen
komplizierten Behördenapparat zu belasten, wie es nach dem Regierungsentwurf
der Fall sein würde. -- Die höheren Beamten der Post sind keine Juristen.
Die großen staatlichen Verkehrsverwaltungen üben weniger Hoheitsrechte des
Staates aus; vielmehr stellen sie sich dar als Unternehmungen, die nach wirt¬
schaftlichen Gesichtspunkten -- zwar nicht nach privatwirtschaftlichen oder kauf¬
männischen, wie man jetzt vielfach zu Unrecht von ihnen verlangt, sondern nach
gemeinwirtschaftlichen -- geleitet werden, und nicht unter dem Gesichtspunkt der
Wahrung der Staatsautorität um jeden Preis. Daher ist auch unter den
Verkehrsbeamten von allen Beamten am wenigsten von dein Geist zu spüren,
der auf jeden gewöhnlichen und nicht beamteten Staatsbürger herabsieht. --
Die Vorbildung der höheren Postbeamten umfaßt u. a. die Grundzüge des
privaten und öffentlichen Rechts. Zudem wird neuerdings ihrer theoretischen
Vorbildung noch mehr Raum gegeben als früher. Mau wird der Ansicht sein
dürfen, daß ein vollständiges juristisches Studium nicht nötig ist für den neuen
Vcrwaltnngszweig. Das große Gesetzeswerk selbst von mehr als stebzehnhnndert
Paragraphen werden die Beamten, wer sie auch sein mögen, auf alle Fälle erst
neu begreifen und handhaben lernen müssen. Selbst die Juristen, welche den
Entwurf der Reichsversicherungsorduung verfaßt haben, lassen neben den
Assessoren der Justiz und inneren Verwaltung ausnahmsweise auch noch andere
Anwärter für die Versicherungsamtmamchellen zu. Das gibt schon zu denken.

Man könnte befürchten, daß die PostVerwaltung durch die neue und große
Aufgabe ihren eigentlichen Pflichten als Verkehrsverwaltung entzogen werden
könnte. Dann hätte man ihr aber auch nicht die bankmäßigen Geschäfte (Post-
anweisungs- und Postscheck- und Überweisungsverkehr), auch nicht die Aufnahme
von Wechselprotesten übertragen dürfen. Diese Dienstzweige hat die Post im
ganzen glatt übernommen, ohne daß auch nur eine Stimme behauptet hätte,
die Verkehrsaufgaben hätten darunter zu leiden gehabt. Wenn etwas den
Postverkehr zu störe" geeignet ist, so ist es das mechanische Geschäft der Renten¬
zahlung, durch das die Schalter zu Anfang des Monats vielfach übermäßig
belastet werden. Hat man dieses unbedenklich der Post übertragen, so braucht
man den störenden Einfluß der mit der Neuteufestsetzung usw. verbundenen
bureaumäßigen Geschäfte erst recht nicht zu fürchten. Die neue Aufgabe liegt sehr
wohl im Rahmen einer großen volkswirtschaftlichen Verwaltung, zu der sich die
Post bei uns und anderswo mit Notwendigkeit immer mehr ausgestaltet. In
den meisten Ländern liegt der Post der Sparkassendienst ob; Deutschland ist
das einzige größere Land Europas ohne Postsparkasse. Belgien und England


Die Organisation des ^cichsvcvsichcningslvescns

infolge der Zwiespältigkeit der Verwaltung. Innerhalb eines Behördenorganismus
könnte ein unmittelbarer Verkehr zwischen der anweisenden und der zahlenden
Stelle eingerichtet werden. Außer durch Wegfall dieser Zwischenstellen würden
sich auch noch durch Vereinfachung des Schriftwechsels mancherlei Ersparnisse
erzielen lassen.

Um dies zu erreichen, braucht man das deutsche Volk nicht mit einem neuen
komplizierten Behördenapparat zu belasten, wie es nach dem Regierungsentwurf
der Fall sein würde. — Die höheren Beamten der Post sind keine Juristen.
Die großen staatlichen Verkehrsverwaltungen üben weniger Hoheitsrechte des
Staates aus; vielmehr stellen sie sich dar als Unternehmungen, die nach wirt¬
schaftlichen Gesichtspunkten — zwar nicht nach privatwirtschaftlichen oder kauf¬
männischen, wie man jetzt vielfach zu Unrecht von ihnen verlangt, sondern nach
gemeinwirtschaftlichen — geleitet werden, und nicht unter dem Gesichtspunkt der
Wahrung der Staatsautorität um jeden Preis. Daher ist auch unter den
Verkehrsbeamten von allen Beamten am wenigsten von dein Geist zu spüren,
der auf jeden gewöhnlichen und nicht beamteten Staatsbürger herabsieht. —
Die Vorbildung der höheren Postbeamten umfaßt u. a. die Grundzüge des
privaten und öffentlichen Rechts. Zudem wird neuerdings ihrer theoretischen
Vorbildung noch mehr Raum gegeben als früher. Mau wird der Ansicht sein
dürfen, daß ein vollständiges juristisches Studium nicht nötig ist für den neuen
Vcrwaltnngszweig. Das große Gesetzeswerk selbst von mehr als stebzehnhnndert
Paragraphen werden die Beamten, wer sie auch sein mögen, auf alle Fälle erst
neu begreifen und handhaben lernen müssen. Selbst die Juristen, welche den
Entwurf der Reichsversicherungsorduung verfaßt haben, lassen neben den
Assessoren der Justiz und inneren Verwaltung ausnahmsweise auch noch andere
Anwärter für die Versicherungsamtmamchellen zu. Das gibt schon zu denken.

Man könnte befürchten, daß die PostVerwaltung durch die neue und große
Aufgabe ihren eigentlichen Pflichten als Verkehrsverwaltung entzogen werden
könnte. Dann hätte man ihr aber auch nicht die bankmäßigen Geschäfte (Post-
anweisungs- und Postscheck- und Überweisungsverkehr), auch nicht die Aufnahme
von Wechselprotesten übertragen dürfen. Diese Dienstzweige hat die Post im
ganzen glatt übernommen, ohne daß auch nur eine Stimme behauptet hätte,
die Verkehrsaufgaben hätten darunter zu leiden gehabt. Wenn etwas den
Postverkehr zu störe» geeignet ist, so ist es das mechanische Geschäft der Renten¬
zahlung, durch das die Schalter zu Anfang des Monats vielfach übermäßig
belastet werden. Hat man dieses unbedenklich der Post übertragen, so braucht
man den störenden Einfluß der mit der Neuteufestsetzung usw. verbundenen
bureaumäßigen Geschäfte erst recht nicht zu fürchten. Die neue Aufgabe liegt sehr
wohl im Rahmen einer großen volkswirtschaftlichen Verwaltung, zu der sich die
Post bei uns und anderswo mit Notwendigkeit immer mehr ausgestaltet. In
den meisten Ländern liegt der Post der Sparkassendienst ob; Deutschland ist
das einzige größere Land Europas ohne Postsparkasse. Belgien und England


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[0432] Die Organisation des ^cichsvcvsichcningslvescns infolge der Zwiespältigkeit der Verwaltung. Innerhalb eines Behördenorganismus könnte ein unmittelbarer Verkehr zwischen der anweisenden und der zahlenden Stelle eingerichtet werden. Außer durch Wegfall dieser Zwischenstellen würden sich auch noch durch Vereinfachung des Schriftwechsels mancherlei Ersparnisse erzielen lassen. Um dies zu erreichen, braucht man das deutsche Volk nicht mit einem neuen komplizierten Behördenapparat zu belasten, wie es nach dem Regierungsentwurf der Fall sein würde. — Die höheren Beamten der Post sind keine Juristen. Die großen staatlichen Verkehrsverwaltungen üben weniger Hoheitsrechte des Staates aus; vielmehr stellen sie sich dar als Unternehmungen, die nach wirt¬ schaftlichen Gesichtspunkten — zwar nicht nach privatwirtschaftlichen oder kauf¬ männischen, wie man jetzt vielfach zu Unrecht von ihnen verlangt, sondern nach gemeinwirtschaftlichen — geleitet werden, und nicht unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der Staatsautorität um jeden Preis. Daher ist auch unter den Verkehrsbeamten von allen Beamten am wenigsten von dein Geist zu spüren, der auf jeden gewöhnlichen und nicht beamteten Staatsbürger herabsieht. — Die Vorbildung der höheren Postbeamten umfaßt u. a. die Grundzüge des privaten und öffentlichen Rechts. Zudem wird neuerdings ihrer theoretischen Vorbildung noch mehr Raum gegeben als früher. Mau wird der Ansicht sein dürfen, daß ein vollständiges juristisches Studium nicht nötig ist für den neuen Vcrwaltnngszweig. Das große Gesetzeswerk selbst von mehr als stebzehnhnndert Paragraphen werden die Beamten, wer sie auch sein mögen, auf alle Fälle erst neu begreifen und handhaben lernen müssen. Selbst die Juristen, welche den Entwurf der Reichsversicherungsorduung verfaßt haben, lassen neben den Assessoren der Justiz und inneren Verwaltung ausnahmsweise auch noch andere Anwärter für die Versicherungsamtmamchellen zu. Das gibt schon zu denken. Man könnte befürchten, daß die PostVerwaltung durch die neue und große Aufgabe ihren eigentlichen Pflichten als Verkehrsverwaltung entzogen werden könnte. Dann hätte man ihr aber auch nicht die bankmäßigen Geschäfte (Post- anweisungs- und Postscheck- und Überweisungsverkehr), auch nicht die Aufnahme von Wechselprotesten übertragen dürfen. Diese Dienstzweige hat die Post im ganzen glatt übernommen, ohne daß auch nur eine Stimme behauptet hätte, die Verkehrsaufgaben hätten darunter zu leiden gehabt. Wenn etwas den Postverkehr zu störe» geeignet ist, so ist es das mechanische Geschäft der Renten¬ zahlung, durch das die Schalter zu Anfang des Monats vielfach übermäßig belastet werden. Hat man dieses unbedenklich der Post übertragen, so braucht man den störenden Einfluß der mit der Neuteufestsetzung usw. verbundenen bureaumäßigen Geschäfte erst recht nicht zu fürchten. Die neue Aufgabe liegt sehr wohl im Rahmen einer großen volkswirtschaftlichen Verwaltung, zu der sich die Post bei uns und anderswo mit Notwendigkeit immer mehr ausgestaltet. In den meisten Ländern liegt der Post der Sparkassendienst ob; Deutschland ist das einzige größere Land Europas ohne Postsparkasse. Belgien und England

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/432>, abgerufen am 09.06.2024.