Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Was der japanischen Menschheit zugrunde liegt

ins Gedächtnis zurück. Nogis Heer hatte in fünfzehn Monaten einen Rekord
geschlagen, durch den es über die Jahrhunderte Hinanswuchs, und der es
berechtigte, Cäsars zehnter Legion den Gruß der Kameradschaft zu entbieten.
Sieben Monate hatten sie Port Arthur bei der Kehle gehalten, Tag und Nacht
unter Feiler. Sie hatten sechs große Angriffe überlebt, jeder an sich eine gewaltige
Schlacht. Aber sie hatten ihren unschätzbaren Preis auch erreicht, als sie in
forcierten Märschen, in der Totenstille des Winters, dreihundert Meilen durch
gefrorene Ebenen wandernd, nun fünfundzwanzig Tage hindurch in der Schlacht
bei Mukden kämpften, -- nämlich den Sieg. Otus Soldaten konnten auf das
rühmliche Nanschan zurücksehen, den ebenbürtigen Bruder des Balaklava und
Missionar:) Ridge, und dann auf das Schlimmste der Arbeit im Zentrum
der Aceldamcis vou Liaoyang, dem sha und Mukden. Die .Heere von
Nodzu und Kamamura trugen Wunden, ebenso würdig, wenn auch nicht
so berühmt.

Diese Million also -- die Rekruten und die Veteranen -- hatte dann
vier Monate der Erholung in einem balsamischen Klima. Sie warteten im
lächelnden Schein des Marabu-Sommers auf die letzte Anstrengung und auf
noch größere Vorbereitungen zu einem erfolgreichen Kampfe. Die Heeresfront
erstreckte sich von Ende zu Ende auf hundertachtzig Meilen. Von Kamamurcis
Aalu-Männern, die in den Bergen des Ostens verborgen lagen, bis zu Nogis
Kavallerie, die um die Ecke der Gobiwüste patrouillierte, lagen in tüchtiger
Anordnung sechshundertfünfzigtausend fechtende Männer, im täglichen Drill
geübte Athleten, die gespannt auf das Kommando warteten, um die größte
Anstrengung ihres Lebens zu machen. Hinter ihnen, dreihundert Meilen von
Dalnu, dem Hauptgeschütz, waren dreihundertfünfzigtausend Nichtkämpfer und
vilen die Räder des Fortschritts.

Plötzlich, fast ohne vorhergehende Nachricht, kam Frieden. Erst in der
Woche vor der Unterzeichnung des Vertrages wußte der größere Teil der Armee,
daß Unterhandlungen gepflogen wurden. Sie glaubten, der lange Aufenthalt
erfolge aus einem strategischen Grnnde, daß die Rekrutenanzahl vergrößert
werden und daß man die Regenzeit abwarten müsse. Sie wurden ohne Er¬
klärung zurückgehalten, kehrten heim, und erst als sie Japan erreichten, erfuhren
sie, daß der Boden, den sie um so schrecklichen Preis erworben hatten, nicht
ihr eigener werden sollte.

Diese Million Menschen, die fest auf beständigen Sieg vertrauten -- der
noch nicht entschieden war --, brauchten Krieg. Wenn sie die ganze Lage
betrachteten, fanden sie, daß sie einen glänzenden und kühnen Kampf durch-
fochteu hatten, wie die moderne Geschichte nicht seinesgleichen kennt, und daß
sie sich zur Belohnung eine halbe felsige Insel gesichert, die sie nicht brauchten.
Port Arthur, das sie zweimal mit übermenschlicher Anstrengung genommen,
blieb immer noch außerhalb ihres Besitzes. Von ihrer Arbeit abgerufen, wurden
sie unbefriedigt auf den Pfad des Friedens geschickt.


Was der japanischen Menschheit zugrunde liegt

ins Gedächtnis zurück. Nogis Heer hatte in fünfzehn Monaten einen Rekord
geschlagen, durch den es über die Jahrhunderte Hinanswuchs, und der es
berechtigte, Cäsars zehnter Legion den Gruß der Kameradschaft zu entbieten.
Sieben Monate hatten sie Port Arthur bei der Kehle gehalten, Tag und Nacht
unter Feiler. Sie hatten sechs große Angriffe überlebt, jeder an sich eine gewaltige
Schlacht. Aber sie hatten ihren unschätzbaren Preis auch erreicht, als sie in
forcierten Märschen, in der Totenstille des Winters, dreihundert Meilen durch
gefrorene Ebenen wandernd, nun fünfundzwanzig Tage hindurch in der Schlacht
bei Mukden kämpften, — nämlich den Sieg. Otus Soldaten konnten auf das
rühmliche Nanschan zurücksehen, den ebenbürtigen Bruder des Balaklava und
Missionar:) Ridge, und dann auf das Schlimmste der Arbeit im Zentrum
der Aceldamcis vou Liaoyang, dem sha und Mukden. Die .Heere von
Nodzu und Kamamura trugen Wunden, ebenso würdig, wenn auch nicht
so berühmt.

Diese Million also — die Rekruten und die Veteranen — hatte dann
vier Monate der Erholung in einem balsamischen Klima. Sie warteten im
lächelnden Schein des Marabu-Sommers auf die letzte Anstrengung und auf
noch größere Vorbereitungen zu einem erfolgreichen Kampfe. Die Heeresfront
erstreckte sich von Ende zu Ende auf hundertachtzig Meilen. Von Kamamurcis
Aalu-Männern, die in den Bergen des Ostens verborgen lagen, bis zu Nogis
Kavallerie, die um die Ecke der Gobiwüste patrouillierte, lagen in tüchtiger
Anordnung sechshundertfünfzigtausend fechtende Männer, im täglichen Drill
geübte Athleten, die gespannt auf das Kommando warteten, um die größte
Anstrengung ihres Lebens zu machen. Hinter ihnen, dreihundert Meilen von
Dalnu, dem Hauptgeschütz, waren dreihundertfünfzigtausend Nichtkämpfer und
vilen die Räder des Fortschritts.

Plötzlich, fast ohne vorhergehende Nachricht, kam Frieden. Erst in der
Woche vor der Unterzeichnung des Vertrages wußte der größere Teil der Armee,
daß Unterhandlungen gepflogen wurden. Sie glaubten, der lange Aufenthalt
erfolge aus einem strategischen Grnnde, daß die Rekrutenanzahl vergrößert
werden und daß man die Regenzeit abwarten müsse. Sie wurden ohne Er¬
klärung zurückgehalten, kehrten heim, und erst als sie Japan erreichten, erfuhren
sie, daß der Boden, den sie um so schrecklichen Preis erworben hatten, nicht
ihr eigener werden sollte.

Diese Million Menschen, die fest auf beständigen Sieg vertrauten — der
noch nicht entschieden war —, brauchten Krieg. Wenn sie die ganze Lage
betrachteten, fanden sie, daß sie einen glänzenden und kühnen Kampf durch-
fochteu hatten, wie die moderne Geschichte nicht seinesgleichen kennt, und daß
sie sich zur Belohnung eine halbe felsige Insel gesichert, die sie nicht brauchten.
Port Arthur, das sie zweimal mit übermenschlicher Anstrengung genommen,
blieb immer noch außerhalb ihres Besitzes. Von ihrer Arbeit abgerufen, wurden
sie unbefriedigt auf den Pfad des Friedens geschickt.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0435" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317386"/>
          <fw type="header" place="top"> Was der japanischen Menschheit zugrunde liegt</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1967" prev="#ID_1966"> ins Gedächtnis zurück. Nogis Heer hatte in fünfzehn Monaten einen Rekord<lb/>
geschlagen, durch den es über die Jahrhunderte Hinanswuchs, und der es<lb/>
berechtigte, Cäsars zehnter Legion den Gruß der Kameradschaft zu entbieten.<lb/>
Sieben Monate hatten sie Port Arthur bei der Kehle gehalten, Tag und Nacht<lb/>
unter Feiler. Sie hatten sechs große Angriffe überlebt, jeder an sich eine gewaltige<lb/>
Schlacht. Aber sie hatten ihren unschätzbaren Preis auch erreicht, als sie in<lb/>
forcierten Märschen, in der Totenstille des Winters, dreihundert Meilen durch<lb/>
gefrorene Ebenen wandernd, nun fünfundzwanzig Tage hindurch in der Schlacht<lb/>
bei Mukden kämpften, &#x2014; nämlich den Sieg. Otus Soldaten konnten auf das<lb/>
rühmliche Nanschan zurücksehen, den ebenbürtigen Bruder des Balaklava und<lb/>
Missionar:) Ridge, und dann auf das Schlimmste der Arbeit im Zentrum<lb/>
der Aceldamcis vou Liaoyang, dem sha und Mukden. Die .Heere von<lb/>
Nodzu und Kamamura trugen Wunden, ebenso würdig, wenn auch nicht<lb/>
so berühmt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1968"> Diese Million also &#x2014; die Rekruten und die Veteranen &#x2014; hatte dann<lb/>
vier Monate der Erholung in einem balsamischen Klima. Sie warteten im<lb/>
lächelnden Schein des Marabu-Sommers auf die letzte Anstrengung und auf<lb/>
noch größere Vorbereitungen zu einem erfolgreichen Kampfe. Die Heeresfront<lb/>
erstreckte sich von Ende zu Ende auf hundertachtzig Meilen. Von Kamamurcis<lb/>
Aalu-Männern, die in den Bergen des Ostens verborgen lagen, bis zu Nogis<lb/>
Kavallerie, die um die Ecke der Gobiwüste patrouillierte, lagen in tüchtiger<lb/>
Anordnung sechshundertfünfzigtausend fechtende Männer, im täglichen Drill<lb/>
geübte Athleten, die gespannt auf das Kommando warteten, um die größte<lb/>
Anstrengung ihres Lebens zu machen. Hinter ihnen, dreihundert Meilen von<lb/>
Dalnu, dem Hauptgeschütz, waren dreihundertfünfzigtausend Nichtkämpfer und<lb/>
vilen die Räder des Fortschritts.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1969"> Plötzlich, fast ohne vorhergehende Nachricht, kam Frieden. Erst in der<lb/>
Woche vor der Unterzeichnung des Vertrages wußte der größere Teil der Armee,<lb/>
daß Unterhandlungen gepflogen wurden. Sie glaubten, der lange Aufenthalt<lb/>
erfolge aus einem strategischen Grnnde, daß die Rekrutenanzahl vergrößert<lb/>
werden und daß man die Regenzeit abwarten müsse. Sie wurden ohne Er¬<lb/>
klärung zurückgehalten, kehrten heim, und erst als sie Japan erreichten, erfuhren<lb/>
sie, daß der Boden, den sie um so schrecklichen Preis erworben hatten, nicht<lb/>
ihr eigener werden sollte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1970"> Diese Million Menschen, die fest auf beständigen Sieg vertrauten &#x2014; der<lb/>
noch nicht entschieden war &#x2014;, brauchten Krieg. Wenn sie die ganze Lage<lb/>
betrachteten, fanden sie, daß sie einen glänzenden und kühnen Kampf durch-<lb/>
fochteu hatten, wie die moderne Geschichte nicht seinesgleichen kennt, und daß<lb/>
sie sich zur Belohnung eine halbe felsige Insel gesichert, die sie nicht brauchten.<lb/>
Port Arthur, das sie zweimal mit übermenschlicher Anstrengung genommen,<lb/>
blieb immer noch außerhalb ihres Besitzes. Von ihrer Arbeit abgerufen, wurden<lb/>
sie unbefriedigt auf den Pfad des Friedens geschickt.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0435] Was der japanischen Menschheit zugrunde liegt ins Gedächtnis zurück. Nogis Heer hatte in fünfzehn Monaten einen Rekord geschlagen, durch den es über die Jahrhunderte Hinanswuchs, und der es berechtigte, Cäsars zehnter Legion den Gruß der Kameradschaft zu entbieten. Sieben Monate hatten sie Port Arthur bei der Kehle gehalten, Tag und Nacht unter Feiler. Sie hatten sechs große Angriffe überlebt, jeder an sich eine gewaltige Schlacht. Aber sie hatten ihren unschätzbaren Preis auch erreicht, als sie in forcierten Märschen, in der Totenstille des Winters, dreihundert Meilen durch gefrorene Ebenen wandernd, nun fünfundzwanzig Tage hindurch in der Schlacht bei Mukden kämpften, — nämlich den Sieg. Otus Soldaten konnten auf das rühmliche Nanschan zurücksehen, den ebenbürtigen Bruder des Balaklava und Missionar:) Ridge, und dann auf das Schlimmste der Arbeit im Zentrum der Aceldamcis vou Liaoyang, dem sha und Mukden. Die .Heere von Nodzu und Kamamura trugen Wunden, ebenso würdig, wenn auch nicht so berühmt. Diese Million also — die Rekruten und die Veteranen — hatte dann vier Monate der Erholung in einem balsamischen Klima. Sie warteten im lächelnden Schein des Marabu-Sommers auf die letzte Anstrengung und auf noch größere Vorbereitungen zu einem erfolgreichen Kampfe. Die Heeresfront erstreckte sich von Ende zu Ende auf hundertachtzig Meilen. Von Kamamurcis Aalu-Männern, die in den Bergen des Ostens verborgen lagen, bis zu Nogis Kavallerie, die um die Ecke der Gobiwüste patrouillierte, lagen in tüchtiger Anordnung sechshundertfünfzigtausend fechtende Männer, im täglichen Drill geübte Athleten, die gespannt auf das Kommando warteten, um die größte Anstrengung ihres Lebens zu machen. Hinter ihnen, dreihundert Meilen von Dalnu, dem Hauptgeschütz, waren dreihundertfünfzigtausend Nichtkämpfer und vilen die Räder des Fortschritts. Plötzlich, fast ohne vorhergehende Nachricht, kam Frieden. Erst in der Woche vor der Unterzeichnung des Vertrages wußte der größere Teil der Armee, daß Unterhandlungen gepflogen wurden. Sie glaubten, der lange Aufenthalt erfolge aus einem strategischen Grnnde, daß die Rekrutenanzahl vergrößert werden und daß man die Regenzeit abwarten müsse. Sie wurden ohne Er¬ klärung zurückgehalten, kehrten heim, und erst als sie Japan erreichten, erfuhren sie, daß der Boden, den sie um so schrecklichen Preis erworben hatten, nicht ihr eigener werden sollte. Diese Million Menschen, die fest auf beständigen Sieg vertrauten — der noch nicht entschieden war —, brauchten Krieg. Wenn sie die ganze Lage betrachteten, fanden sie, daß sie einen glänzenden und kühnen Kampf durch- fochteu hatten, wie die moderne Geschichte nicht seinesgleichen kennt, und daß sie sich zur Belohnung eine halbe felsige Insel gesichert, die sie nicht brauchten. Port Arthur, das sie zweimal mit übermenschlicher Anstrengung genommen, blieb immer noch außerhalb ihres Besitzes. Von ihrer Arbeit abgerufen, wurden sie unbefriedigt auf den Pfad des Friedens geschickt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/435
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/435>, abgerufen am 15.05.2024.