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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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!pas der jaMiischen Menschheit zugrunde liegt

brechlicheS Wesen, das sich vor jedem möglichen Abenteurer verbeugt: aber
erhebe man nur einen Finger gegen einen Japaner, und wenn er nicht auf der
Stelle Harakiri macht, wird es ein Gefecht geben, das so lange dauern wird,
bis einer von beiden ungeheuerlich durchgeblnut ist.

Da wir all dies fühlten, so nahmen wir mit scharfer Aufmerksamkeit, als
wir die Mandschurei nach glücklichem achtzehumonatigen Dienst in der Armee
verließen, Zeichen einer veränderten Haltung unter den Truppen wahr.

Wir kamen nun zu der Etappestation Tieling und speisten am darauf¬
folgenden Tage zusammen mit Generalleutnant Oshima, dem berühmtesten der
Divisionskommandeure, einem fechtenden Samurai, entzündet an den schönsten
Traditionen alter Tage, einen:, der wundervoll den Weg von Bogen und Pfeil
zu elf Zoll Haubitzen überbrückt hatte. Aus einer langen und intimen Unter¬
haltung, die ich mit dem alten Manne dort am Ende des Krieges hatte, ist mir noch
folgendes erinnerlich: "Wir kämpfen nicht um Eroberung. Als ich ein Knabe
war, lernte ich verteidigen. Den ersten Tag meiner Lektionen brachte der Lehrer
nicht mit dem Schwert zu, sondern er schärfte mir ein, daß ich gelehrt würde,
die Waffen zu gebrauchen, nicht um zu töten, sondern um meineEhre zu verteidigen."

Kurz nachher fanden wir Kodama, den Obersten des Stabes, welcher in
Tokio starb, nachdem er dem Namen nach das geworden, was er während des
ganzen Krieges in Wirklichkeit gewesen war, der oberste Befehlshaber. Es war
in Mulden, und der flinke, kleine General lebte in der einzigen sauberen
Baracke dieser faulen alten Stadt. Zum ersten und zum letzten Male während
unserer Bekanntschaft war Kodama ohne diese Straffheit, die ihn sonst aus¬
zeichnete. Zum ersten Male seit vielen Jahren, sagte er uns, wäre er erschlafft.
Der Krieg war vorüber. Es gab keine Unruhe mehr; wenigstens für den
Augenblick. Was er sagte, kann ich mich nicht mehr genau erinnern. Es war
der Ausdruck des Glaubens an die Zukunft, des Wunsches der Japaner,
Frieden zu haben. Jedoch von besonderer Bedeutung war, was er verschwieg,
was gleichsam hinter seinen Worten lauerte. Er hatte nicht gesagt, daß er
mit den Bedingungen des Friedens zufrieden war. Aber am nächsten Tage,
als wir nach Newchwang kamen, wo wir endlich die japanische Linie verlassen
und in dem Privatzüge abfahren sollten, welchen Kodama zu unserer Ver¬
fügung gestellt hatte, passierten wir acht Züge, beladen mit Soldaten und deren
Zubehör, die in die Front geeilt waren. Der Frieden war vor einer Woche
erklärt worden, aber die Kriegsmaschine war so kräftig im Gange, daß
sie jetzt noch nicht gehalten hatte. Und hier, an der Weicheustation, während
einer jener rekrutenbeladenen Züge vorwärts kam und wir uns die frischen
Burschen aus den Reisfeldern anschauten, welche dachten, daß es weiter, in
eine noch größere Schlacht als Mukden ginge, gewahrten wir die erste unver¬
kennbare Uneinigkeit. Die Nachrichten waren schon die Linie heruntergekommen
-- die Meldungen, daß der Krieg vorüber sei, und daß Japan keine Ent¬
schädigung bekommen habe.


Grenzboten IV 1910 5-1
!pas der jaMiischen Menschheit zugrunde liegt

brechlicheS Wesen, das sich vor jedem möglichen Abenteurer verbeugt: aber
erhebe man nur einen Finger gegen einen Japaner, und wenn er nicht auf der
Stelle Harakiri macht, wird es ein Gefecht geben, das so lange dauern wird,
bis einer von beiden ungeheuerlich durchgeblnut ist.

Da wir all dies fühlten, so nahmen wir mit scharfer Aufmerksamkeit, als
wir die Mandschurei nach glücklichem achtzehumonatigen Dienst in der Armee
verließen, Zeichen einer veränderten Haltung unter den Truppen wahr.

Wir kamen nun zu der Etappestation Tieling und speisten am darauf¬
folgenden Tage zusammen mit Generalleutnant Oshima, dem berühmtesten der
Divisionskommandeure, einem fechtenden Samurai, entzündet an den schönsten
Traditionen alter Tage, einen:, der wundervoll den Weg von Bogen und Pfeil
zu elf Zoll Haubitzen überbrückt hatte. Aus einer langen und intimen Unter¬
haltung, die ich mit dem alten Manne dort am Ende des Krieges hatte, ist mir noch
folgendes erinnerlich: „Wir kämpfen nicht um Eroberung. Als ich ein Knabe
war, lernte ich verteidigen. Den ersten Tag meiner Lektionen brachte der Lehrer
nicht mit dem Schwert zu, sondern er schärfte mir ein, daß ich gelehrt würde,
die Waffen zu gebrauchen, nicht um zu töten, sondern um meineEhre zu verteidigen."

Kurz nachher fanden wir Kodama, den Obersten des Stabes, welcher in
Tokio starb, nachdem er dem Namen nach das geworden, was er während des
ganzen Krieges in Wirklichkeit gewesen war, der oberste Befehlshaber. Es war
in Mulden, und der flinke, kleine General lebte in der einzigen sauberen
Baracke dieser faulen alten Stadt. Zum ersten und zum letzten Male während
unserer Bekanntschaft war Kodama ohne diese Straffheit, die ihn sonst aus¬
zeichnete. Zum ersten Male seit vielen Jahren, sagte er uns, wäre er erschlafft.
Der Krieg war vorüber. Es gab keine Unruhe mehr; wenigstens für den
Augenblick. Was er sagte, kann ich mich nicht mehr genau erinnern. Es war
der Ausdruck des Glaubens an die Zukunft, des Wunsches der Japaner,
Frieden zu haben. Jedoch von besonderer Bedeutung war, was er verschwieg,
was gleichsam hinter seinen Worten lauerte. Er hatte nicht gesagt, daß er
mit den Bedingungen des Friedens zufrieden war. Aber am nächsten Tage,
als wir nach Newchwang kamen, wo wir endlich die japanische Linie verlassen
und in dem Privatzüge abfahren sollten, welchen Kodama zu unserer Ver¬
fügung gestellt hatte, passierten wir acht Züge, beladen mit Soldaten und deren
Zubehör, die in die Front geeilt waren. Der Frieden war vor einer Woche
erklärt worden, aber die Kriegsmaschine war so kräftig im Gange, daß
sie jetzt noch nicht gehalten hatte. Und hier, an der Weicheustation, während
einer jener rekrutenbeladenen Züge vorwärts kam und wir uns die frischen
Burschen aus den Reisfeldern anschauten, welche dachten, daß es weiter, in
eine noch größere Schlacht als Mukden ginge, gewahrten wir die erste unver¬
kennbare Uneinigkeit. Die Nachrichten waren schon die Linie heruntergekommen
— die Meldungen, daß der Krieg vorüber sei, und daß Japan keine Ent¬
schädigung bekommen habe.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/437>, abgerufen am 05.06.2024.