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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Roms ZNcichwnsprnche und die Pflichten des Swats

Sickenberger war wegen seiner Lehren bei der Kirchenregierung mißliebig
geworden. Er bat den bayerischen Staat um eine andere Anstellung, aber
der Kultusminister erwiderte ihm, er sei eine "suspekte Persönlichkeit" und
gewährte ihm aus Rücksicht auf das Zentrum, die Bitte nicht, so daß
Sickenberger, von dein Erzbischof verstoßen und von der Regierung seines
Vaterlandes verlassen, sich genötigt gesehen hat, anderwärts sein Brot zu suchen.
Der dritte Konflikt hat in Braunsberg in Preußen stattgefunden. Dort lehrte
am Lyzeum Hosianna der Kirchenhistoriker Koch. Er veröffentlichte eine kirchen-
und dogmengeschichtliche Untersuchung über Cyprian von Karthago und den
römischen Primat. Das Buch erschien in den von Professor Harnack heraus¬
gegebenen "Texten und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur"
in dem bekannten protestantischen Verlage von Hinrichs in Leipzig. Das mochte
an sich schon verdächtig sein. Noch mehr aber war es das Resultat, zu dem
Koch kam, daß man nämlich in Cyprian nicht den Lobredner der Einheit der
Kirche unter dem römischen Bischof finden dürfe, den man bisher in ihm sah.
Das sind wissenschaftliche Überzeugungen, die in protestantischen Kreisen schon
lange gelten; daß aber ein katholischer Priester und Forscher es gewagt hat,
diese Lieblingsthese der römischen Kirche anzugreifen, das war das Unerhörte.
In der Vorrede zu seinem Buche hat es Koch auch ausgesprochen, daß die
Untersuchung für ihn zu einem Bekenntnis geworden sei, durch das er manche,
die ihm lieb gewesen seien, betrüben müsse, aber die höchste Autorität sei doch
das Gewissen. DaS ist ein protestantischer Grundsatz, den er damit ausgesprochen
hat, und deshalb hat er in dem Lehramt der römischen Kirche keinen Platz mehr.

Wenn man jene drei "Fälle" erwägt, so muß man sagen, diese Männer
sind nicht etwa deshalb in Konflikt gekommen, weil sie mit den Grundwahrheiten
des Christentums nicht mehr einverstanden waren. Wäre das der Fall gewesen,
so hätte man es durchaus verstehen können, wenn Rom auf ihre Entfernung
drang. Denn wenn die Kirche in solchen Fällen eingreift, so handelt sie nur
in Wahrung berechtigter Interessen. Das verdient utopistischen Theorien des
Liberalismus immer wieder entgegengehalten zu werden. Wie ich nicht Lehrer
des Staatsrechts sein kann, wenn ich den Staat für unsinnig und unnötig
erkläre, wie ich nicht Handelslehrer sein kann, wenn ich Gewinnprozente des
Kaufmanns für unberechtigt halte, so kann ich auch nicht Lehrer der christlichen
Theologie sein, wenn ich den christlichen Glauben nicht mehr anerkenne. Das
ist einfach und klar. Wenn Rom solche Leute aus seinen Reihen entfernt, so
kann man das durchaus verstehen. Es tut dabei allerdings immer etwas, was
der Protestantismus auch oft genug getan hat und was bei ihm erst durch das
neue Jrrlehrengesetz endgültig beseitigt worden ist: es heftet den Leuten, die
es gehen heißt, einen sittlichen Makel an. Die Ketzer sind für Rom immer
böse Menschen gewesen und werden es immer bleiben. Aber wenn nur die drei
obengenannten Männer religiöse Ketzer wären! Das sind sie nicht! Sie sind
fromme katholische Christen, denen es nicht einfällt, die Glaubenssätze des


Grenzboten IV 1910 69
Roms ZNcichwnsprnche und die Pflichten des Swats

Sickenberger war wegen seiner Lehren bei der Kirchenregierung mißliebig
geworden. Er bat den bayerischen Staat um eine andere Anstellung, aber
der Kultusminister erwiderte ihm, er sei eine „suspekte Persönlichkeit" und
gewährte ihm aus Rücksicht auf das Zentrum, die Bitte nicht, so daß
Sickenberger, von dein Erzbischof verstoßen und von der Regierung seines
Vaterlandes verlassen, sich genötigt gesehen hat, anderwärts sein Brot zu suchen.
Der dritte Konflikt hat in Braunsberg in Preußen stattgefunden. Dort lehrte
am Lyzeum Hosianna der Kirchenhistoriker Koch. Er veröffentlichte eine kirchen-
und dogmengeschichtliche Untersuchung über Cyprian von Karthago und den
römischen Primat. Das Buch erschien in den von Professor Harnack heraus¬
gegebenen „Texten und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur"
in dem bekannten protestantischen Verlage von Hinrichs in Leipzig. Das mochte
an sich schon verdächtig sein. Noch mehr aber war es das Resultat, zu dem
Koch kam, daß man nämlich in Cyprian nicht den Lobredner der Einheit der
Kirche unter dem römischen Bischof finden dürfe, den man bisher in ihm sah.
Das sind wissenschaftliche Überzeugungen, die in protestantischen Kreisen schon
lange gelten; daß aber ein katholischer Priester und Forscher es gewagt hat,
diese Lieblingsthese der römischen Kirche anzugreifen, das war das Unerhörte.
In der Vorrede zu seinem Buche hat es Koch auch ausgesprochen, daß die
Untersuchung für ihn zu einem Bekenntnis geworden sei, durch das er manche,
die ihm lieb gewesen seien, betrüben müsse, aber die höchste Autorität sei doch
das Gewissen. DaS ist ein protestantischer Grundsatz, den er damit ausgesprochen
hat, und deshalb hat er in dem Lehramt der römischen Kirche keinen Platz mehr.

Wenn man jene drei „Fälle" erwägt, so muß man sagen, diese Männer
sind nicht etwa deshalb in Konflikt gekommen, weil sie mit den Grundwahrheiten
des Christentums nicht mehr einverstanden waren. Wäre das der Fall gewesen,
so hätte man es durchaus verstehen können, wenn Rom auf ihre Entfernung
drang. Denn wenn die Kirche in solchen Fällen eingreift, so handelt sie nur
in Wahrung berechtigter Interessen. Das verdient utopistischen Theorien des
Liberalismus immer wieder entgegengehalten zu werden. Wie ich nicht Lehrer
des Staatsrechts sein kann, wenn ich den Staat für unsinnig und unnötig
erkläre, wie ich nicht Handelslehrer sein kann, wenn ich Gewinnprozente des
Kaufmanns für unberechtigt halte, so kann ich auch nicht Lehrer der christlichen
Theologie sein, wenn ich den christlichen Glauben nicht mehr anerkenne. Das
ist einfach und klar. Wenn Rom solche Leute aus seinen Reihen entfernt, so
kann man das durchaus verstehen. Es tut dabei allerdings immer etwas, was
der Protestantismus auch oft genug getan hat und was bei ihm erst durch das
neue Jrrlehrengesetz endgültig beseitigt worden ist: es heftet den Leuten, die
es gehen heißt, einen sittlichen Makel an. Die Ketzer sind für Rom immer
böse Menschen gewesen und werden es immer bleiben. Aber wenn nur die drei
obengenannten Männer religiöse Ketzer wären! Das sind sie nicht! Sie sind
fromme katholische Christen, denen es nicht einfällt, die Glaubenssätze des


Grenzboten IV 1910 69
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[0477] Roms ZNcichwnsprnche und die Pflichten des Swats Sickenberger war wegen seiner Lehren bei der Kirchenregierung mißliebig geworden. Er bat den bayerischen Staat um eine andere Anstellung, aber der Kultusminister erwiderte ihm, er sei eine „suspekte Persönlichkeit" und gewährte ihm aus Rücksicht auf das Zentrum, die Bitte nicht, so daß Sickenberger, von dein Erzbischof verstoßen und von der Regierung seines Vaterlandes verlassen, sich genötigt gesehen hat, anderwärts sein Brot zu suchen. Der dritte Konflikt hat in Braunsberg in Preußen stattgefunden. Dort lehrte am Lyzeum Hosianna der Kirchenhistoriker Koch. Er veröffentlichte eine kirchen- und dogmengeschichtliche Untersuchung über Cyprian von Karthago und den römischen Primat. Das Buch erschien in den von Professor Harnack heraus¬ gegebenen „Texten und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur" in dem bekannten protestantischen Verlage von Hinrichs in Leipzig. Das mochte an sich schon verdächtig sein. Noch mehr aber war es das Resultat, zu dem Koch kam, daß man nämlich in Cyprian nicht den Lobredner der Einheit der Kirche unter dem römischen Bischof finden dürfe, den man bisher in ihm sah. Das sind wissenschaftliche Überzeugungen, die in protestantischen Kreisen schon lange gelten; daß aber ein katholischer Priester und Forscher es gewagt hat, diese Lieblingsthese der römischen Kirche anzugreifen, das war das Unerhörte. In der Vorrede zu seinem Buche hat es Koch auch ausgesprochen, daß die Untersuchung für ihn zu einem Bekenntnis geworden sei, durch das er manche, die ihm lieb gewesen seien, betrüben müsse, aber die höchste Autorität sei doch das Gewissen. DaS ist ein protestantischer Grundsatz, den er damit ausgesprochen hat, und deshalb hat er in dem Lehramt der römischen Kirche keinen Platz mehr. Wenn man jene drei „Fälle" erwägt, so muß man sagen, diese Männer sind nicht etwa deshalb in Konflikt gekommen, weil sie mit den Grundwahrheiten des Christentums nicht mehr einverstanden waren. Wäre das der Fall gewesen, so hätte man es durchaus verstehen können, wenn Rom auf ihre Entfernung drang. Denn wenn die Kirche in solchen Fällen eingreift, so handelt sie nur in Wahrung berechtigter Interessen. Das verdient utopistischen Theorien des Liberalismus immer wieder entgegengehalten zu werden. Wie ich nicht Lehrer des Staatsrechts sein kann, wenn ich den Staat für unsinnig und unnötig erkläre, wie ich nicht Handelslehrer sein kann, wenn ich Gewinnprozente des Kaufmanns für unberechtigt halte, so kann ich auch nicht Lehrer der christlichen Theologie sein, wenn ich den christlichen Glauben nicht mehr anerkenne. Das ist einfach und klar. Wenn Rom solche Leute aus seinen Reihen entfernt, so kann man das durchaus verstehen. Es tut dabei allerdings immer etwas, was der Protestantismus auch oft genug getan hat und was bei ihm erst durch das neue Jrrlehrengesetz endgültig beseitigt worden ist: es heftet den Leuten, die es gehen heißt, einen sittlichen Makel an. Die Ketzer sind für Rom immer böse Menschen gewesen und werden es immer bleiben. Aber wenn nur die drei obengenannten Männer religiöse Ketzer wären! Das sind sie nicht! Sie sind fromme katholische Christen, denen es nicht einfällt, die Glaubenssätze des Grenzboten IV 1910 69

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/477>, abgerufen am 29.05.2024.