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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Außerordentliche Professoren

Auffassung zu huldigen, die dem nahe kommt. Sie scheinen wenigstens die
Beseitigung des Extraordinariats als der Durchgangsstufe zum Ordinariat
anbahnen zu wollen.

Als der Vertreter des Kultusministeriums bei Erörterung dieser Frage im
Abgeordnetenhause emphatisch versicherte, das Extraordinariat sei nicht nur
theoretisch, sondern auch praktisch nur eine Durchgangsstufe, hielt man in ein¬
geweihten Kreisen das zunächst uur für eine rhetorische Wendung; denn die
Unrichtigkeit der Behauptung konnte ja keinen Augenblick zweifelhaft sein.
Vielleicht war es aber doch mehr: eine Kanonade, die eine völlige Wendung
maskieren sollte.

Daß außerordentliche Professoren nicht befördert werden, ist nicht etwa eine
Ausnahme, die selbstverständlich oft unvermeidlich ist, sondern eine sehr häufige
Erscheinung. Allerdings steht es damit an den verschiedenen Universitäten ver¬
schieden. Am schlimmsten liegt es in Berlin. Daß ein Berliner Extraordinarius
an eine andere Universität als Ordinarius berufen wird, kommt beinahe nie vor.
Ich entsinne mich aus den letzten fünfundzwanzig Jahren nur eines Falles: der
Germanist Roediger erhielt einen Ruf nach Basel (den er übrigens nicht annahm).
Gewiß wird das nicht der einzige Fall sein; aber äußerst spärlich sind sie sicher.
Der Berliner Extraordinarius hat also im allgemeinen nur die Aussicht, an
der eigenen Hochschule zu avancieren, was nicht ganz selten ist: ich erinnere
mich der Fälle Paulsen, Delbrück, Schiemann in der philosophischen, Seckel
in der juristischen Fakultät (aus früherer Zeit z. B. derer von Kleinere, Gneist,
Hinschius und verschiedener Mediziner). Der Historiker Hintze ward, wenn ich
nicht irre, vom Privatdozenten Ordinarius. -- Berliner Privatdozenten erhalten
auswärtige Ordinariate, wie die Historiker Rachfahl und Werminghoff, der
Mathematiker Landau; auch Berliner Ordinarien gehen an andere Hochschulen:
der Archäolog Robert nach Halle, der Astronom Bauschinger nach Straßburg,
der Theologe Schlatter nach Tübingen zurück. Aber wer in Berlin außerordentlicher
Professor geworden ist, dem winkt nach außerhalb kaum je eine Berufung. --
Ähnlich stand es lange mit Straßburg, doch mit dem Unterschied, daß von dort
längere Zeit überhaupt keine Dozenten berufen wurden, weil ein zu häufiger
Abzug von der jüngsten Hochschule mißfällig bemerkt worden war.

Diese seltsame Erscheinung, daß der Privatdozent entweder Extraordinarius
wird oder Ordinarius, zeigt sich nun aber auch sonst. Auffallend häufig sind in
neuester Zeit Privatdozenten unmittelbar ins Ordinariat befördert worden, so
nach Königsberg neben Rachfahl und Werminghoff der Philosoph Goedeckemeyer.
Ich schlage die letzte Chronik der Universität Berlin auf und finde auf Seite 9
nicht weniger als sechs Fälle: die der Mediziner Stenrer und Kremer, der
"Philosophen" Sieg, Buchner, Roloff, Plate; daneben nur zwei von Extra¬
ordinarien: Ehrlich und Helm. Jeder Verständige wird sich freuen, wenn die
Anciennitätsregeln gelegentlich durchbrochen werden, um besonders tüchtigen
Männern früh zu Amt und Würde zu helfen, und selbstverständlich liegt mir


Außerordentliche Professoren

Auffassung zu huldigen, die dem nahe kommt. Sie scheinen wenigstens die
Beseitigung des Extraordinariats als der Durchgangsstufe zum Ordinariat
anbahnen zu wollen.

Als der Vertreter des Kultusministeriums bei Erörterung dieser Frage im
Abgeordnetenhause emphatisch versicherte, das Extraordinariat sei nicht nur
theoretisch, sondern auch praktisch nur eine Durchgangsstufe, hielt man in ein¬
geweihten Kreisen das zunächst uur für eine rhetorische Wendung; denn die
Unrichtigkeit der Behauptung konnte ja keinen Augenblick zweifelhaft sein.
Vielleicht war es aber doch mehr: eine Kanonade, die eine völlige Wendung
maskieren sollte.

Daß außerordentliche Professoren nicht befördert werden, ist nicht etwa eine
Ausnahme, die selbstverständlich oft unvermeidlich ist, sondern eine sehr häufige
Erscheinung. Allerdings steht es damit an den verschiedenen Universitäten ver¬
schieden. Am schlimmsten liegt es in Berlin. Daß ein Berliner Extraordinarius
an eine andere Universität als Ordinarius berufen wird, kommt beinahe nie vor.
Ich entsinne mich aus den letzten fünfundzwanzig Jahren nur eines Falles: der
Germanist Roediger erhielt einen Ruf nach Basel (den er übrigens nicht annahm).
Gewiß wird das nicht der einzige Fall sein; aber äußerst spärlich sind sie sicher.
Der Berliner Extraordinarius hat also im allgemeinen nur die Aussicht, an
der eigenen Hochschule zu avancieren, was nicht ganz selten ist: ich erinnere
mich der Fälle Paulsen, Delbrück, Schiemann in der philosophischen, Seckel
in der juristischen Fakultät (aus früherer Zeit z. B. derer von Kleinere, Gneist,
Hinschius und verschiedener Mediziner). Der Historiker Hintze ward, wenn ich
nicht irre, vom Privatdozenten Ordinarius. — Berliner Privatdozenten erhalten
auswärtige Ordinariate, wie die Historiker Rachfahl und Werminghoff, der
Mathematiker Landau; auch Berliner Ordinarien gehen an andere Hochschulen:
der Archäolog Robert nach Halle, der Astronom Bauschinger nach Straßburg,
der Theologe Schlatter nach Tübingen zurück. Aber wer in Berlin außerordentlicher
Professor geworden ist, dem winkt nach außerhalb kaum je eine Berufung. —
Ähnlich stand es lange mit Straßburg, doch mit dem Unterschied, daß von dort
längere Zeit überhaupt keine Dozenten berufen wurden, weil ein zu häufiger
Abzug von der jüngsten Hochschule mißfällig bemerkt worden war.

Diese seltsame Erscheinung, daß der Privatdozent entweder Extraordinarius
wird oder Ordinarius, zeigt sich nun aber auch sonst. Auffallend häufig sind in
neuester Zeit Privatdozenten unmittelbar ins Ordinariat befördert worden, so
nach Königsberg neben Rachfahl und Werminghoff der Philosoph Goedeckemeyer.
Ich schlage die letzte Chronik der Universität Berlin auf und finde auf Seite 9
nicht weniger als sechs Fälle: die der Mediziner Stenrer und Kremer, der
„Philosophen" Sieg, Buchner, Roloff, Plate; daneben nur zwei von Extra¬
ordinarien: Ehrlich und Helm. Jeder Verständige wird sich freuen, wenn die
Anciennitätsregeln gelegentlich durchbrochen werden, um besonders tüchtigen
Männern früh zu Amt und Würde zu helfen, und selbstverständlich liegt mir


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[0513] Außerordentliche Professoren Auffassung zu huldigen, die dem nahe kommt. Sie scheinen wenigstens die Beseitigung des Extraordinariats als der Durchgangsstufe zum Ordinariat anbahnen zu wollen. Als der Vertreter des Kultusministeriums bei Erörterung dieser Frage im Abgeordnetenhause emphatisch versicherte, das Extraordinariat sei nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch nur eine Durchgangsstufe, hielt man in ein¬ geweihten Kreisen das zunächst uur für eine rhetorische Wendung; denn die Unrichtigkeit der Behauptung konnte ja keinen Augenblick zweifelhaft sein. Vielleicht war es aber doch mehr: eine Kanonade, die eine völlige Wendung maskieren sollte. Daß außerordentliche Professoren nicht befördert werden, ist nicht etwa eine Ausnahme, die selbstverständlich oft unvermeidlich ist, sondern eine sehr häufige Erscheinung. Allerdings steht es damit an den verschiedenen Universitäten ver¬ schieden. Am schlimmsten liegt es in Berlin. Daß ein Berliner Extraordinarius an eine andere Universität als Ordinarius berufen wird, kommt beinahe nie vor. Ich entsinne mich aus den letzten fünfundzwanzig Jahren nur eines Falles: der Germanist Roediger erhielt einen Ruf nach Basel (den er übrigens nicht annahm). Gewiß wird das nicht der einzige Fall sein; aber äußerst spärlich sind sie sicher. Der Berliner Extraordinarius hat also im allgemeinen nur die Aussicht, an der eigenen Hochschule zu avancieren, was nicht ganz selten ist: ich erinnere mich der Fälle Paulsen, Delbrück, Schiemann in der philosophischen, Seckel in der juristischen Fakultät (aus früherer Zeit z. B. derer von Kleinere, Gneist, Hinschius und verschiedener Mediziner). Der Historiker Hintze ward, wenn ich nicht irre, vom Privatdozenten Ordinarius. — Berliner Privatdozenten erhalten auswärtige Ordinariate, wie die Historiker Rachfahl und Werminghoff, der Mathematiker Landau; auch Berliner Ordinarien gehen an andere Hochschulen: der Archäolog Robert nach Halle, der Astronom Bauschinger nach Straßburg, der Theologe Schlatter nach Tübingen zurück. Aber wer in Berlin außerordentlicher Professor geworden ist, dem winkt nach außerhalb kaum je eine Berufung. — Ähnlich stand es lange mit Straßburg, doch mit dem Unterschied, daß von dort längere Zeit überhaupt keine Dozenten berufen wurden, weil ein zu häufiger Abzug von der jüngsten Hochschule mißfällig bemerkt worden war. Diese seltsame Erscheinung, daß der Privatdozent entweder Extraordinarius wird oder Ordinarius, zeigt sich nun aber auch sonst. Auffallend häufig sind in neuester Zeit Privatdozenten unmittelbar ins Ordinariat befördert worden, so nach Königsberg neben Rachfahl und Werminghoff der Philosoph Goedeckemeyer. Ich schlage die letzte Chronik der Universität Berlin auf und finde auf Seite 9 nicht weniger als sechs Fälle: die der Mediziner Stenrer und Kremer, der „Philosophen" Sieg, Buchner, Roloff, Plate; daneben nur zwei von Extra¬ ordinarien: Ehrlich und Helm. Jeder Verständige wird sich freuen, wenn die Anciennitätsregeln gelegentlich durchbrochen werden, um besonders tüchtigen Männern früh zu Amt und Würde zu helfen, und selbstverständlich liegt mir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/513>, abgerufen am 15.05.2024.