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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Rolonialpolitik und Aolonialwirtschaft

Kolonisieren muß man Bedenklichkeiten und Sentimentalität zu Hause lassen
und Tatkraft und frischen Mut immer mitbringen.

Beachtenswert ist in neuerer Zeit die lebhafte Beteiligung der Frau an
den Arbeiten zur Verwirklichung der Besiedlung. Die koloniale Frauen¬
bewegung hat so gar nichts mit der heimischen gemein, denn draußen will die
Frau nicht mehr oder minder utopische "Rechte", sondern sie will sich in ihrem
ureigensten Beruf betätigen, in dem der Gattin und Mutter. Die Frauen
sollen uns auf diesem Gebiet willkommen sein, oder vielmehr: ohne die deutsche
Frau ist eine nationale Besiedlung unmöglich. Sie muß die Gefahr der
Rassenmischung beseitigen, die schon manchem Kolonialvolk den Niedergang
gebracht hat.

Unter Dernburg wurde um das Wohl und Wehe der Eingeborenen mit
einer Leidenschaftlichkeit gestritten, als ob wir die Kolonien in erster Linie der
Schwarzen wegen erworben hätten.

Welche Verwirrung die Dernburgschen Ideen über Eingeborenenpolitik in
den Köpfen angerichtet hat, zeigt die Tatsache, daß man, um Material für ein
besonderes Eingeborenenrecht zu gewinnen, Fragebogen zur Ermittelung der
Rechtsgewohnheiten der verschiedenen Stämme ausgearbeitet hat. Wurde denn,
als man jene Idee ausgeheckt hat, kein Praktiker zugezogen, der den maßgebenden
Stellen gesagt hätte, daß das eine unfruchtbare Danaidenarbeit wäre? Ethno¬
graphisch zweifellos sehr interessant, aber für die praktische Politik ganz unbrauchbar.
Man besetze die Richterstellen draußen nur mit alten Praktikern und lasse recht
ausgiebig den gesunden Menschenverstand walten, das ist, was die Eingeborenen
anbelangt, die beste Kolonialrechtsreform.

Ein gutes Zeichen war es, daß diesmal auf dem Kolouialkongreß die
jahrelang mit so viel Ernst abgehandelte Eingeborenenfrage diesmal so gut
wie unerörtert blieb. Es stand nur ein Vortrag über die Negerseele, jenes
geflügelte Wort Dernbnrgs, ans dem Programm. Nach dem vorwiegend ver¬
gnüglichen Interesse, das alle Welt diesem Vortrag entgegenbrachte, zu schließen,
hält man allgemein die Erörterung darüber nachgerade für humoristisch, zum
mindesten für überflüssig.

Der Referent hat zweifellos sehr interessantes Beobachtungsmaterial bei¬
gebracht und die Frage in durchaus ansprechender Weise behandelt, aber er
geht von einem falschen Standpunkt aus. Wie oben ausgeführt, ist das
Kolonisieren eine Lebensfrage für große Völker. Wir müssen bei der Nutzbar¬
machung der Kolonien also notgedrungen in erster Linie nationalen Egoismus
walten lassen. Dem Neger, soweit er sich unsrer Kultur einfügt und uns ein
brauchbarer Gehilfe ist, soll es gut gehen. Er muß menschenwürdig behandelt
und nach Möglichkeit sozial gehoben werden. Im Lauf der Zeit wird sich ja
dann erweisen, "ob er eine Seele hat", d. h. ob er kulturfähig in unserm
Sinne ist. Jetzt lebt der Neger in primitiver Wirtschaft, er ist wohl auch faul
und braucht unverhältnismäßig große Gebiete zu seiner Existenz. Wir aber


Rolonialpolitik und Aolonialwirtschaft

Kolonisieren muß man Bedenklichkeiten und Sentimentalität zu Hause lassen
und Tatkraft und frischen Mut immer mitbringen.

Beachtenswert ist in neuerer Zeit die lebhafte Beteiligung der Frau an
den Arbeiten zur Verwirklichung der Besiedlung. Die koloniale Frauen¬
bewegung hat so gar nichts mit der heimischen gemein, denn draußen will die
Frau nicht mehr oder minder utopische „Rechte", sondern sie will sich in ihrem
ureigensten Beruf betätigen, in dem der Gattin und Mutter. Die Frauen
sollen uns auf diesem Gebiet willkommen sein, oder vielmehr: ohne die deutsche
Frau ist eine nationale Besiedlung unmöglich. Sie muß die Gefahr der
Rassenmischung beseitigen, die schon manchem Kolonialvolk den Niedergang
gebracht hat.

Unter Dernburg wurde um das Wohl und Wehe der Eingeborenen mit
einer Leidenschaftlichkeit gestritten, als ob wir die Kolonien in erster Linie der
Schwarzen wegen erworben hätten.

Welche Verwirrung die Dernburgschen Ideen über Eingeborenenpolitik in
den Köpfen angerichtet hat, zeigt die Tatsache, daß man, um Material für ein
besonderes Eingeborenenrecht zu gewinnen, Fragebogen zur Ermittelung der
Rechtsgewohnheiten der verschiedenen Stämme ausgearbeitet hat. Wurde denn,
als man jene Idee ausgeheckt hat, kein Praktiker zugezogen, der den maßgebenden
Stellen gesagt hätte, daß das eine unfruchtbare Danaidenarbeit wäre? Ethno¬
graphisch zweifellos sehr interessant, aber für die praktische Politik ganz unbrauchbar.
Man besetze die Richterstellen draußen nur mit alten Praktikern und lasse recht
ausgiebig den gesunden Menschenverstand walten, das ist, was die Eingeborenen
anbelangt, die beste Kolonialrechtsreform.

Ein gutes Zeichen war es, daß diesmal auf dem Kolouialkongreß die
jahrelang mit so viel Ernst abgehandelte Eingeborenenfrage diesmal so gut
wie unerörtert blieb. Es stand nur ein Vortrag über die Negerseele, jenes
geflügelte Wort Dernbnrgs, ans dem Programm. Nach dem vorwiegend ver¬
gnüglichen Interesse, das alle Welt diesem Vortrag entgegenbrachte, zu schließen,
hält man allgemein die Erörterung darüber nachgerade für humoristisch, zum
mindesten für überflüssig.

Der Referent hat zweifellos sehr interessantes Beobachtungsmaterial bei¬
gebracht und die Frage in durchaus ansprechender Weise behandelt, aber er
geht von einem falschen Standpunkt aus. Wie oben ausgeführt, ist das
Kolonisieren eine Lebensfrage für große Völker. Wir müssen bei der Nutzbar¬
machung der Kolonien also notgedrungen in erster Linie nationalen Egoismus
walten lassen. Dem Neger, soweit er sich unsrer Kultur einfügt und uns ein
brauchbarer Gehilfe ist, soll es gut gehen. Er muß menschenwürdig behandelt
und nach Möglichkeit sozial gehoben werden. Im Lauf der Zeit wird sich ja
dann erweisen, „ob er eine Seele hat", d. h. ob er kulturfähig in unserm
Sinne ist. Jetzt lebt der Neger in primitiver Wirtschaft, er ist wohl auch faul
und braucht unverhältnismäßig große Gebiete zu seiner Existenz. Wir aber


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[0516] Rolonialpolitik und Aolonialwirtschaft Kolonisieren muß man Bedenklichkeiten und Sentimentalität zu Hause lassen und Tatkraft und frischen Mut immer mitbringen. Beachtenswert ist in neuerer Zeit die lebhafte Beteiligung der Frau an den Arbeiten zur Verwirklichung der Besiedlung. Die koloniale Frauen¬ bewegung hat so gar nichts mit der heimischen gemein, denn draußen will die Frau nicht mehr oder minder utopische „Rechte", sondern sie will sich in ihrem ureigensten Beruf betätigen, in dem der Gattin und Mutter. Die Frauen sollen uns auf diesem Gebiet willkommen sein, oder vielmehr: ohne die deutsche Frau ist eine nationale Besiedlung unmöglich. Sie muß die Gefahr der Rassenmischung beseitigen, die schon manchem Kolonialvolk den Niedergang gebracht hat. Unter Dernburg wurde um das Wohl und Wehe der Eingeborenen mit einer Leidenschaftlichkeit gestritten, als ob wir die Kolonien in erster Linie der Schwarzen wegen erworben hätten. Welche Verwirrung die Dernburgschen Ideen über Eingeborenenpolitik in den Köpfen angerichtet hat, zeigt die Tatsache, daß man, um Material für ein besonderes Eingeborenenrecht zu gewinnen, Fragebogen zur Ermittelung der Rechtsgewohnheiten der verschiedenen Stämme ausgearbeitet hat. Wurde denn, als man jene Idee ausgeheckt hat, kein Praktiker zugezogen, der den maßgebenden Stellen gesagt hätte, daß das eine unfruchtbare Danaidenarbeit wäre? Ethno¬ graphisch zweifellos sehr interessant, aber für die praktische Politik ganz unbrauchbar. Man besetze die Richterstellen draußen nur mit alten Praktikern und lasse recht ausgiebig den gesunden Menschenverstand walten, das ist, was die Eingeborenen anbelangt, die beste Kolonialrechtsreform. Ein gutes Zeichen war es, daß diesmal auf dem Kolouialkongreß die jahrelang mit so viel Ernst abgehandelte Eingeborenenfrage diesmal so gut wie unerörtert blieb. Es stand nur ein Vortrag über die Negerseele, jenes geflügelte Wort Dernbnrgs, ans dem Programm. Nach dem vorwiegend ver¬ gnüglichen Interesse, das alle Welt diesem Vortrag entgegenbrachte, zu schließen, hält man allgemein die Erörterung darüber nachgerade für humoristisch, zum mindesten für überflüssig. Der Referent hat zweifellos sehr interessantes Beobachtungsmaterial bei¬ gebracht und die Frage in durchaus ansprechender Weise behandelt, aber er geht von einem falschen Standpunkt aus. Wie oben ausgeführt, ist das Kolonisieren eine Lebensfrage für große Völker. Wir müssen bei der Nutzbar¬ machung der Kolonien also notgedrungen in erster Linie nationalen Egoismus walten lassen. Dem Neger, soweit er sich unsrer Kultur einfügt und uns ein brauchbarer Gehilfe ist, soll es gut gehen. Er muß menschenwürdig behandelt und nach Möglichkeit sozial gehoben werden. Im Lauf der Zeit wird sich ja dann erweisen, „ob er eine Seele hat", d. h. ob er kulturfähig in unserm Sinne ist. Jetzt lebt der Neger in primitiver Wirtschaft, er ist wohl auch faul und braucht unverhältnismäßig große Gebiete zu seiner Existenz. Wir aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/516>, abgerufen am 31.05.2024.