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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Philipp Gelo Runge und die Romantiker

Kinder der Landschaft. Rose und Lilie werden die stets variierten Symbole
auf seinen Bildern.

Das erste Werk, das diese Sinnbilder enthält, ist der Rahmen zur "Lehr¬
stunde der Nachtigall". Es entstand in dieser Zeit. Sollte nicht auch eben die
Idee, den Rahmen ins Gemälde einzubeziehen, eine Frucht der Berührung
mit dem Romantiker sein? Hatte doch auch Tieck dies Einrahmen, Einschachteln,
dies "Potenzieren der Idee" -- romantisch gesprochen -- als Kunstmittel
angewandt in seinen Märchendramen I Daß das nun ansehende Leitmotiv
der Rungeschen Bilder, die Verbindung der Kindergestalten mit Blumen,
insbesondere die Blumenkinder, Genien aus den Blumenkelchen hervor¬
wachsend, Tieckschen Ursprungs ist, läßt sich nachweisen. Die Stimmung,
aus der diese Symbolik erwächst, ist jenes Sich-eins-Fühlen mit der Natur,
das sich mit leichten Fäden bis auf Goethes Werther zurückverfolgen läßt.
Aus ihr heraus ist es zu verstehen, daß Runge mit Tieck die Landschaft als
ideales Ziel der Malerei erstrebte.

Als ein neues Glück ging zu diesem Freundschafts- und Blumenftühling im
Herzen des jungen Malers noch der Frühling der Liebe auf! Es wird für ihn
eine Zeit, reich an inneren Erlebnissen, an Liebesschmerz und -freud, reich
an künstlerischer Anregung. Die schönste Frucht der Zeit wird die Blumen¬
sinfonie der "Tageszeiten", sein Lebenswerk, dessen Wandlung und Ausgestaltung
von nun an ihn innerlich ganz in Anspruch nimmt, wozu alles andere nur
Übung und Vorbereitung wird. Diese Blätter waren für Runges Zeitgenossen
und Freunde das bedeutendste Dokument seines Schaffens, ein Glaubensbekenntnis
der Romantik überhaupt, unerschöpflich in seinem Inhalt. In ihnen erblickte Tieck,
was er als höchste Kunst stets in sich gefühlt zu haben meinte. Sie regten
Görres zu einer dithyrambischen Paraphrasierung ihrer "Hieroglyphen" an. --
Auch Goethes Beifall fand Runge damit, freilich weniger wohl um des
romantischen Inhalts, als um des dekorativen Wertes dieser "Arabesken"
willen; immerhin, die Berührung mit Goethe war wiedergefunden, und von
nun an blieben beide in steter Verbindung, namentlich seit Runge bald darauf
begann, sich auf dein Gebiete der Farbenlehre praktisch zu betätigen. Die
Zeugnisse dieses Verkehrs sind zum Teil bekannt.

Als Goethe sich für die Tageszeiten bei Runge bedankte, fügte er die
Bitte um "ausgeschnittene Blumen und Kränze" bei. Es war eine früh,
schon als Kind von Runge aus freier Hand mit der Schere geübte und zu
virtuoser Fertigkeit ausgebildete Kunst, Blumensilhouetten aus Papier zu schneiden.
Was sich von Werken dieser Kunst erhalten hat, beweist eine ganz erstaunliche
Gewandtheit und minutiöse Sicherheit, mehr aber noch zeugt es von inniger
Versenkung in den Bau und das Leben der geliebten Blumen, von jener
Kenntnis, die nötig war zu den Wundern ungezwungener Stilisierung in den
Tageszeiten. Wir verstehen, wie Runge das Vertrauen haben konnte, durch
Zimmerdekorationen in dieser Technik sein Brot zu erwerben. Freilich als


Philipp Gelo Runge und die Romantiker

Kinder der Landschaft. Rose und Lilie werden die stets variierten Symbole
auf seinen Bildern.

Das erste Werk, das diese Sinnbilder enthält, ist der Rahmen zur „Lehr¬
stunde der Nachtigall". Es entstand in dieser Zeit. Sollte nicht auch eben die
Idee, den Rahmen ins Gemälde einzubeziehen, eine Frucht der Berührung
mit dem Romantiker sein? Hatte doch auch Tieck dies Einrahmen, Einschachteln,
dies „Potenzieren der Idee" — romantisch gesprochen — als Kunstmittel
angewandt in seinen Märchendramen I Daß das nun ansehende Leitmotiv
der Rungeschen Bilder, die Verbindung der Kindergestalten mit Blumen,
insbesondere die Blumenkinder, Genien aus den Blumenkelchen hervor¬
wachsend, Tieckschen Ursprungs ist, läßt sich nachweisen. Die Stimmung,
aus der diese Symbolik erwächst, ist jenes Sich-eins-Fühlen mit der Natur,
das sich mit leichten Fäden bis auf Goethes Werther zurückverfolgen läßt.
Aus ihr heraus ist es zu verstehen, daß Runge mit Tieck die Landschaft als
ideales Ziel der Malerei erstrebte.

Als ein neues Glück ging zu diesem Freundschafts- und Blumenftühling im
Herzen des jungen Malers noch der Frühling der Liebe auf! Es wird für ihn
eine Zeit, reich an inneren Erlebnissen, an Liebesschmerz und -freud, reich
an künstlerischer Anregung. Die schönste Frucht der Zeit wird die Blumen¬
sinfonie der „Tageszeiten", sein Lebenswerk, dessen Wandlung und Ausgestaltung
von nun an ihn innerlich ganz in Anspruch nimmt, wozu alles andere nur
Übung und Vorbereitung wird. Diese Blätter waren für Runges Zeitgenossen
und Freunde das bedeutendste Dokument seines Schaffens, ein Glaubensbekenntnis
der Romantik überhaupt, unerschöpflich in seinem Inhalt. In ihnen erblickte Tieck,
was er als höchste Kunst stets in sich gefühlt zu haben meinte. Sie regten
Görres zu einer dithyrambischen Paraphrasierung ihrer „Hieroglyphen" an. —
Auch Goethes Beifall fand Runge damit, freilich weniger wohl um des
romantischen Inhalts, als um des dekorativen Wertes dieser „Arabesken"
willen; immerhin, die Berührung mit Goethe war wiedergefunden, und von
nun an blieben beide in steter Verbindung, namentlich seit Runge bald darauf
begann, sich auf dein Gebiete der Farbenlehre praktisch zu betätigen. Die
Zeugnisse dieses Verkehrs sind zum Teil bekannt.

Als Goethe sich für die Tageszeiten bei Runge bedankte, fügte er die
Bitte um „ausgeschnittene Blumen und Kränze" bei. Es war eine früh,
schon als Kind von Runge aus freier Hand mit der Schere geübte und zu
virtuoser Fertigkeit ausgebildete Kunst, Blumensilhouetten aus Papier zu schneiden.
Was sich von Werken dieser Kunst erhalten hat, beweist eine ganz erstaunliche
Gewandtheit und minutiöse Sicherheit, mehr aber noch zeugt es von inniger
Versenkung in den Bau und das Leben der geliebten Blumen, von jener
Kenntnis, die nötig war zu den Wundern ungezwungener Stilisierung in den
Tageszeiten. Wir verstehen, wie Runge das Vertrauen haben konnte, durch
Zimmerdekorationen in dieser Technik sein Brot zu erwerben. Freilich als


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[0522] Philipp Gelo Runge und die Romantiker Kinder der Landschaft. Rose und Lilie werden die stets variierten Symbole auf seinen Bildern. Das erste Werk, das diese Sinnbilder enthält, ist der Rahmen zur „Lehr¬ stunde der Nachtigall". Es entstand in dieser Zeit. Sollte nicht auch eben die Idee, den Rahmen ins Gemälde einzubeziehen, eine Frucht der Berührung mit dem Romantiker sein? Hatte doch auch Tieck dies Einrahmen, Einschachteln, dies „Potenzieren der Idee" — romantisch gesprochen — als Kunstmittel angewandt in seinen Märchendramen I Daß das nun ansehende Leitmotiv der Rungeschen Bilder, die Verbindung der Kindergestalten mit Blumen, insbesondere die Blumenkinder, Genien aus den Blumenkelchen hervor¬ wachsend, Tieckschen Ursprungs ist, läßt sich nachweisen. Die Stimmung, aus der diese Symbolik erwächst, ist jenes Sich-eins-Fühlen mit der Natur, das sich mit leichten Fäden bis auf Goethes Werther zurückverfolgen läßt. Aus ihr heraus ist es zu verstehen, daß Runge mit Tieck die Landschaft als ideales Ziel der Malerei erstrebte. Als ein neues Glück ging zu diesem Freundschafts- und Blumenftühling im Herzen des jungen Malers noch der Frühling der Liebe auf! Es wird für ihn eine Zeit, reich an inneren Erlebnissen, an Liebesschmerz und -freud, reich an künstlerischer Anregung. Die schönste Frucht der Zeit wird die Blumen¬ sinfonie der „Tageszeiten", sein Lebenswerk, dessen Wandlung und Ausgestaltung von nun an ihn innerlich ganz in Anspruch nimmt, wozu alles andere nur Übung und Vorbereitung wird. Diese Blätter waren für Runges Zeitgenossen und Freunde das bedeutendste Dokument seines Schaffens, ein Glaubensbekenntnis der Romantik überhaupt, unerschöpflich in seinem Inhalt. In ihnen erblickte Tieck, was er als höchste Kunst stets in sich gefühlt zu haben meinte. Sie regten Görres zu einer dithyrambischen Paraphrasierung ihrer „Hieroglyphen" an. — Auch Goethes Beifall fand Runge damit, freilich weniger wohl um des romantischen Inhalts, als um des dekorativen Wertes dieser „Arabesken" willen; immerhin, die Berührung mit Goethe war wiedergefunden, und von nun an blieben beide in steter Verbindung, namentlich seit Runge bald darauf begann, sich auf dein Gebiete der Farbenlehre praktisch zu betätigen. Die Zeugnisse dieses Verkehrs sind zum Teil bekannt. Als Goethe sich für die Tageszeiten bei Runge bedankte, fügte er die Bitte um „ausgeschnittene Blumen und Kränze" bei. Es war eine früh, schon als Kind von Runge aus freier Hand mit der Schere geübte und zu virtuoser Fertigkeit ausgebildete Kunst, Blumensilhouetten aus Papier zu schneiden. Was sich von Werken dieser Kunst erhalten hat, beweist eine ganz erstaunliche Gewandtheit und minutiöse Sicherheit, mehr aber noch zeugt es von inniger Versenkung in den Bau und das Leben der geliebten Blumen, von jener Kenntnis, die nötig war zu den Wundern ungezwungener Stilisierung in den Tageszeiten. Wir verstehen, wie Runge das Vertrauen haben konnte, durch Zimmerdekorationen in dieser Technik sein Brot zu erwerben. Freilich als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/522>, abgerufen am 31.05.2024.