Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Völker des Alten Testaments

sandhaltigem rotbraunen Ton hergestellt, sehr dickwandig und mit einem hell¬
gelben Überzug versehen, auf dem mit kräftigem Rot eine derbe lineare Orna-
mentation aufgemalt ist.

Um das Jahr 2000 geschah das Eindringen der Semiten in Palästina, deren
Kultur für die Folgezeit dem Lande seinen Charakter gab. Aus ihrer alten
Heimat brachten die neuen Bewohner bereits eine gewisse Kultur mit nach
Palästina, die sich unter dem wechselnden Einfluß von Babylonien und Ägypten
während des zweiten vorchristlichen Jahrtausends zu einer achtungswerten Höhe
entwickelte. An mehreren Stellen haben sich bei den Ausgrabungen zwei Perioden
unterscheiden lassen, eine noch einfache, mehr von Babylon beeinflußte Kultur,
die man wohl als die der Amoriter bezeichnet, und eine höhere der Kananiter,
die mehr von Ägypten abhängig ist und etwa mit dem Eindringen der Hebräer
ihren Höhepunkt erreicht.

Von den ältesten Bewohnern, die noch der Steinzeit angehören, unter¬
scheiden sich die Amoriter zunächst dadurch, daß sie ihre Toten nicht mehr ver¬
brennen, sondern bestatten, und zwar in der Stadt selbst, vielfach unter den
Häusern und Straßen, zum Teil auch in den bereits erwähnten Höhlen, die
als Wohnungen nicht mehr benutzt wurden. Auch das Krematorium von Gezer
ist in dieser Periode als Grab benutzt worden. An den Wänden hat man
niedrige Bänke eingebaut und darauf die Leichen lang ausgestreckt hingelegt.
Die Skelette beweisen, daß damals eine größere, stärker gebaute Rasse im Lande
herrschte, mit deutlich prominentem Nasenbein und von länglichem Gesichtsschnitt.

Ähnliche Bestallungen fanden sich in anderen Höhlen, meist mit reichen
Beigaben, unter denen auch die Wegzehrung nicht fehlt. In einem Falle lag
auf einer Schüssel ein Hammelbraten mit einer bronzenen Speerspitze zum Zer¬
teilen, und oben darüber war eine zweite Schüssel gestülpt, um den Braten
warm zu halten. Für die Datierung der einzelnen Gräber waren die ägyptischen
Funde von großem Wert: Skarabäen der zwölften und dreizehnten Dynastie
(2000 bis 1700 v. Chr.), Alabastergefäße, Schiefersteine, Gold- und Silber¬
schmuck, Armringe, Perlen usw.

Am wichtigsten von allen zu Tage geförderten Gegenständen jener
frühen Epoche sind zwölf zum Teil ganz erhaltene Briefe in Keilschrift auf
Tontafeln, die in Thaanach aus Tageslicht kamen. Der Adressat der Briefe
ist immer derselbe, ein gewisser Jschtarwaschur, und man vermutet wohl mit
Recht, daß sie aus dem Archiv des Kommandanten der Festung stammen.
Ursprünglich waren die Tontafeln in einem dickwandigen Tonkasten sorgfältig
aufbewahrt, der in den untersten Gemächern der Zitadelle in einer Wandnische
stand oder gar eingemauert war. Bei der Zerstörung der Burg ist das Archiv
jedoch trotz seines sicheren Versteckes gefunden worden, denn sämtliche Briefe
befanden sich nicht mehr in dem Kasten, sondern lagen in den? Raum umher¬
gestreut. Die Schrift ist die babylonische, und die Eigennamen tragen semitisch¬
asiatischen Charakter; trotzdem stammen die Briefe aus der Kanzlei der ägyp-


Grenzboten IV 1910 70
Die Völker des Alten Testaments

sandhaltigem rotbraunen Ton hergestellt, sehr dickwandig und mit einem hell¬
gelben Überzug versehen, auf dem mit kräftigem Rot eine derbe lineare Orna-
mentation aufgemalt ist.

Um das Jahr 2000 geschah das Eindringen der Semiten in Palästina, deren
Kultur für die Folgezeit dem Lande seinen Charakter gab. Aus ihrer alten
Heimat brachten die neuen Bewohner bereits eine gewisse Kultur mit nach
Palästina, die sich unter dem wechselnden Einfluß von Babylonien und Ägypten
während des zweiten vorchristlichen Jahrtausends zu einer achtungswerten Höhe
entwickelte. An mehreren Stellen haben sich bei den Ausgrabungen zwei Perioden
unterscheiden lassen, eine noch einfache, mehr von Babylon beeinflußte Kultur,
die man wohl als die der Amoriter bezeichnet, und eine höhere der Kananiter,
die mehr von Ägypten abhängig ist und etwa mit dem Eindringen der Hebräer
ihren Höhepunkt erreicht.

Von den ältesten Bewohnern, die noch der Steinzeit angehören, unter¬
scheiden sich die Amoriter zunächst dadurch, daß sie ihre Toten nicht mehr ver¬
brennen, sondern bestatten, und zwar in der Stadt selbst, vielfach unter den
Häusern und Straßen, zum Teil auch in den bereits erwähnten Höhlen, die
als Wohnungen nicht mehr benutzt wurden. Auch das Krematorium von Gezer
ist in dieser Periode als Grab benutzt worden. An den Wänden hat man
niedrige Bänke eingebaut und darauf die Leichen lang ausgestreckt hingelegt.
Die Skelette beweisen, daß damals eine größere, stärker gebaute Rasse im Lande
herrschte, mit deutlich prominentem Nasenbein und von länglichem Gesichtsschnitt.

Ähnliche Bestallungen fanden sich in anderen Höhlen, meist mit reichen
Beigaben, unter denen auch die Wegzehrung nicht fehlt. In einem Falle lag
auf einer Schüssel ein Hammelbraten mit einer bronzenen Speerspitze zum Zer¬
teilen, und oben darüber war eine zweite Schüssel gestülpt, um den Braten
warm zu halten. Für die Datierung der einzelnen Gräber waren die ägyptischen
Funde von großem Wert: Skarabäen der zwölften und dreizehnten Dynastie
(2000 bis 1700 v. Chr.), Alabastergefäße, Schiefersteine, Gold- und Silber¬
schmuck, Armringe, Perlen usw.

Am wichtigsten von allen zu Tage geförderten Gegenständen jener
frühen Epoche sind zwölf zum Teil ganz erhaltene Briefe in Keilschrift auf
Tontafeln, die in Thaanach aus Tageslicht kamen. Der Adressat der Briefe
ist immer derselbe, ein gewisser Jschtarwaschur, und man vermutet wohl mit
Recht, daß sie aus dem Archiv des Kommandanten der Festung stammen.
Ursprünglich waren die Tontafeln in einem dickwandigen Tonkasten sorgfältig
aufbewahrt, der in den untersten Gemächern der Zitadelle in einer Wandnische
stand oder gar eingemauert war. Bei der Zerstörung der Burg ist das Archiv
jedoch trotz seines sicheren Versteckes gefunden worden, denn sämtliche Briefe
befanden sich nicht mehr in dem Kasten, sondern lagen in den? Raum umher¬
gestreut. Die Schrift ist die babylonische, und die Eigennamen tragen semitisch¬
asiatischen Charakter; trotzdem stammen die Briefe aus der Kanzlei der ägyp-


Grenzboten IV 1910 70
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0565" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317516"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Völker des Alten Testaments</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2710" prev="#ID_2709"> sandhaltigem rotbraunen Ton hergestellt, sehr dickwandig und mit einem hell¬<lb/>
gelben Überzug versehen, auf dem mit kräftigem Rot eine derbe lineare Orna-<lb/>
mentation aufgemalt ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2711"> Um das Jahr 2000 geschah das Eindringen der Semiten in Palästina, deren<lb/>
Kultur für die Folgezeit dem Lande seinen Charakter gab. Aus ihrer alten<lb/>
Heimat brachten die neuen Bewohner bereits eine gewisse Kultur mit nach<lb/>
Palästina, die sich unter dem wechselnden Einfluß von Babylonien und Ägypten<lb/>
während des zweiten vorchristlichen Jahrtausends zu einer achtungswerten Höhe<lb/>
entwickelte. An mehreren Stellen haben sich bei den Ausgrabungen zwei Perioden<lb/>
unterscheiden lassen, eine noch einfache, mehr von Babylon beeinflußte Kultur,<lb/>
die man wohl als die der Amoriter bezeichnet, und eine höhere der Kananiter,<lb/>
die mehr von Ägypten abhängig ist und etwa mit dem Eindringen der Hebräer<lb/>
ihren Höhepunkt erreicht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2712"> Von den ältesten Bewohnern, die noch der Steinzeit angehören, unter¬<lb/>
scheiden sich die Amoriter zunächst dadurch, daß sie ihre Toten nicht mehr ver¬<lb/>
brennen, sondern bestatten, und zwar in der Stadt selbst, vielfach unter den<lb/>
Häusern und Straßen, zum Teil auch in den bereits erwähnten Höhlen, die<lb/>
als Wohnungen nicht mehr benutzt wurden. Auch das Krematorium von Gezer<lb/>
ist in dieser Periode als Grab benutzt worden. An den Wänden hat man<lb/>
niedrige Bänke eingebaut und darauf die Leichen lang ausgestreckt hingelegt.<lb/>
Die Skelette beweisen, daß damals eine größere, stärker gebaute Rasse im Lande<lb/>
herrschte, mit deutlich prominentem Nasenbein und von länglichem Gesichtsschnitt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2713"> Ähnliche Bestallungen fanden sich in anderen Höhlen, meist mit reichen<lb/>
Beigaben, unter denen auch die Wegzehrung nicht fehlt. In einem Falle lag<lb/>
auf einer Schüssel ein Hammelbraten mit einer bronzenen Speerspitze zum Zer¬<lb/>
teilen, und oben darüber war eine zweite Schüssel gestülpt, um den Braten<lb/>
warm zu halten. Für die Datierung der einzelnen Gräber waren die ägyptischen<lb/>
Funde von großem Wert: Skarabäen der zwölften und dreizehnten Dynastie<lb/>
(2000 bis 1700 v. Chr.), Alabastergefäße, Schiefersteine, Gold- und Silber¬<lb/>
schmuck, Armringe, Perlen usw.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2714" next="#ID_2715"> Am wichtigsten von allen zu Tage geförderten Gegenständen jener<lb/>
frühen Epoche sind zwölf zum Teil ganz erhaltene Briefe in Keilschrift auf<lb/>
Tontafeln, die in Thaanach aus Tageslicht kamen. Der Adressat der Briefe<lb/>
ist immer derselbe, ein gewisser Jschtarwaschur, und man vermutet wohl mit<lb/>
Recht, daß sie aus dem Archiv des Kommandanten der Festung stammen.<lb/>
Ursprünglich waren die Tontafeln in einem dickwandigen Tonkasten sorgfältig<lb/>
aufbewahrt, der in den untersten Gemächern der Zitadelle in einer Wandnische<lb/>
stand oder gar eingemauert war. Bei der Zerstörung der Burg ist das Archiv<lb/>
jedoch trotz seines sicheren Versteckes gefunden worden, denn sämtliche Briefe<lb/>
befanden sich nicht mehr in dem Kasten, sondern lagen in den? Raum umher¬<lb/>
gestreut. Die Schrift ist die babylonische, und die Eigennamen tragen semitisch¬<lb/>
asiatischen Charakter; trotzdem stammen die Briefe aus der Kanzlei der ägyp-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1910 70</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0565] Die Völker des Alten Testaments sandhaltigem rotbraunen Ton hergestellt, sehr dickwandig und mit einem hell¬ gelben Überzug versehen, auf dem mit kräftigem Rot eine derbe lineare Orna- mentation aufgemalt ist. Um das Jahr 2000 geschah das Eindringen der Semiten in Palästina, deren Kultur für die Folgezeit dem Lande seinen Charakter gab. Aus ihrer alten Heimat brachten die neuen Bewohner bereits eine gewisse Kultur mit nach Palästina, die sich unter dem wechselnden Einfluß von Babylonien und Ägypten während des zweiten vorchristlichen Jahrtausends zu einer achtungswerten Höhe entwickelte. An mehreren Stellen haben sich bei den Ausgrabungen zwei Perioden unterscheiden lassen, eine noch einfache, mehr von Babylon beeinflußte Kultur, die man wohl als die der Amoriter bezeichnet, und eine höhere der Kananiter, die mehr von Ägypten abhängig ist und etwa mit dem Eindringen der Hebräer ihren Höhepunkt erreicht. Von den ältesten Bewohnern, die noch der Steinzeit angehören, unter¬ scheiden sich die Amoriter zunächst dadurch, daß sie ihre Toten nicht mehr ver¬ brennen, sondern bestatten, und zwar in der Stadt selbst, vielfach unter den Häusern und Straßen, zum Teil auch in den bereits erwähnten Höhlen, die als Wohnungen nicht mehr benutzt wurden. Auch das Krematorium von Gezer ist in dieser Periode als Grab benutzt worden. An den Wänden hat man niedrige Bänke eingebaut und darauf die Leichen lang ausgestreckt hingelegt. Die Skelette beweisen, daß damals eine größere, stärker gebaute Rasse im Lande herrschte, mit deutlich prominentem Nasenbein und von länglichem Gesichtsschnitt. Ähnliche Bestallungen fanden sich in anderen Höhlen, meist mit reichen Beigaben, unter denen auch die Wegzehrung nicht fehlt. In einem Falle lag auf einer Schüssel ein Hammelbraten mit einer bronzenen Speerspitze zum Zer¬ teilen, und oben darüber war eine zweite Schüssel gestülpt, um den Braten warm zu halten. Für die Datierung der einzelnen Gräber waren die ägyptischen Funde von großem Wert: Skarabäen der zwölften und dreizehnten Dynastie (2000 bis 1700 v. Chr.), Alabastergefäße, Schiefersteine, Gold- und Silber¬ schmuck, Armringe, Perlen usw. Am wichtigsten von allen zu Tage geförderten Gegenständen jener frühen Epoche sind zwölf zum Teil ganz erhaltene Briefe in Keilschrift auf Tontafeln, die in Thaanach aus Tageslicht kamen. Der Adressat der Briefe ist immer derselbe, ein gewisser Jschtarwaschur, und man vermutet wohl mit Recht, daß sie aus dem Archiv des Kommandanten der Festung stammen. Ursprünglich waren die Tontafeln in einem dickwandigen Tonkasten sorgfältig aufbewahrt, der in den untersten Gemächern der Zitadelle in einer Wandnische stand oder gar eingemauert war. Bei der Zerstörung der Burg ist das Archiv jedoch trotz seines sicheren Versteckes gefunden worden, denn sämtliche Briefe befanden sich nicht mehr in dem Kasten, sondern lagen in den? Raum umher¬ gestreut. Die Schrift ist die babylonische, und die Eigennamen tragen semitisch¬ asiatischen Charakter; trotzdem stammen die Briefe aus der Kanzlei der ägyp- Grenzboten IV 1910 70

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/565
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/565>, abgerufen am 26.05.2024.