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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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daß keine Privatgesellschaft der alten Welt den neuen Verkehrszweig so glänzend
zu entwickeln verstanden hat wie die deutsche Staatsverwaltung, deren kluges
Vorgehen uns außerdem vor der Notwendigkeit bewahrt hat, die privaten Unter¬
nehmungen mit großen Opfern auszulaufen, wie es heute die meisten anderen
Länder tun müssen, um die Allgemeinheit nicht leiden zu lassen.

Vor dreißig Jahren hatte es noch seine Schwierigkeit, in Berlin eine genügende
Beteiligung für die geplante Stadtfernsprecheinrichtung zu finden. Selbst in den
ersten Handelskreisen versprach man sich keinen Nutzen davon. Als Stephan
endlich mit Mühe und Not vierundneunzig Anmeldungen für den Anfang
zusammengebracht hatte, wußte er wohl, daß manche darunter nur aus Gefälligkeit
oder um seine drängenden Werber loszuwerden, unterschrieben hatten. Es ist
bezeichnend, daß eine große Anzahl der ersten Sprechstellen durch unmittelbare
Leitungen miteinander verbunden werden mußten, weil die Inhaber auf einen
Verkehr mit den übrigen Anschlüssen gar nicht rechneten. Neue Mittel und
Wege vermögen aber nicht nur den vorhandenen Verkehr zu entwickeln, sondern
sogar ein bis dahin nicht empfundenes Verkehrsbedürfnis hervorzurufen. Ein
Jahr später. Ende 1882, bestanden im Reichspostgebiet bereits 21 Ortsnetze
mit 3721 Sprechstellen, und Ende 1909 zählten wir 851319 Sprechstellen,
d. h. auf je 71 Einwohner eine Stelle.

Auf diese Entwicklung des deutschen Fernsprechwesens ist der Gebühren¬
tarif von bestimmenden Einfluß gewesen. Abgesehen von den skandinavischen
Ländern und der Schweiz hat Deutschland von Anfang an die niedrigsten
Anschlußgebühren erhoben: In: Jahre 1886 kostete ein Anschluß in Berlin
150 Mark, in Wien 300 Mark, in London 400 Mark, in Paris 480 Mark.

Die erste Form der Gebührenerhebung war die für alle Teilnehmer gleich¬
mäßig bemessene Pauschvergütung. Sie war für den Anfang, da Erfahrungen
über die Benutzung des neuen Verkehrsmittels fehlten, die gegebene und hat
auch jetzt noch den Vorteil außerordentlicher Einfachheit und Bequemlichkeit
sowohl für die Behörde als auch für das Publikum. Die Behörde kann im
voraus genau übersehen, welche Einnahmen aus dem Fernsprechverkehr aufkommen
werden; die Teilnehmer zahlen ihre feste Pauschgebühr und können dafür so oft
und so viel sprechen, als sie Zeit und Lust haben. Dieser Einheitstarif behielt
seinen unbestrittenen Vorzug so lange, als die Benutzungsmöglichkeiten des Fern¬
sprechers keine allzu großen Unterschiede in den verschiedenen Netzen aufwiesen.
Der Fernsprecher war anfangs nur als Verkehrsmittel der Mittel- und Großstädte
gedacht; er sollte dazu verwendet werden, die Unbequemlichkeiten in dem täglichen
Hin und Her, die den Bewohnern einer weitausgedehnter Stadt aus den großen
Entfernungen erwachsen, aufzuheben. Als er aber auch unsere Kleinstädte und
das Land zu erobern begann, erwies sich der vorzugsweise für Gegenden mit
hochentwickelter Industrie und wichtigen Handels- und Verkehrsplätzen berechnete
Tarif als ungerecht und der allgemeinen Ausbreitung des für das gesamte
wirtschaftliche Leben unentbehrlichen Fernsprechers feindlich. Der Nutzen des


Die deutsche Fernsprcchgebichrcnordnmig

daß keine Privatgesellschaft der alten Welt den neuen Verkehrszweig so glänzend
zu entwickeln verstanden hat wie die deutsche Staatsverwaltung, deren kluges
Vorgehen uns außerdem vor der Notwendigkeit bewahrt hat, die privaten Unter¬
nehmungen mit großen Opfern auszulaufen, wie es heute die meisten anderen
Länder tun müssen, um die Allgemeinheit nicht leiden zu lassen.

Vor dreißig Jahren hatte es noch seine Schwierigkeit, in Berlin eine genügende
Beteiligung für die geplante Stadtfernsprecheinrichtung zu finden. Selbst in den
ersten Handelskreisen versprach man sich keinen Nutzen davon. Als Stephan
endlich mit Mühe und Not vierundneunzig Anmeldungen für den Anfang
zusammengebracht hatte, wußte er wohl, daß manche darunter nur aus Gefälligkeit
oder um seine drängenden Werber loszuwerden, unterschrieben hatten. Es ist
bezeichnend, daß eine große Anzahl der ersten Sprechstellen durch unmittelbare
Leitungen miteinander verbunden werden mußten, weil die Inhaber auf einen
Verkehr mit den übrigen Anschlüssen gar nicht rechneten. Neue Mittel und
Wege vermögen aber nicht nur den vorhandenen Verkehr zu entwickeln, sondern
sogar ein bis dahin nicht empfundenes Verkehrsbedürfnis hervorzurufen. Ein
Jahr später. Ende 1882, bestanden im Reichspostgebiet bereits 21 Ortsnetze
mit 3721 Sprechstellen, und Ende 1909 zählten wir 851319 Sprechstellen,
d. h. auf je 71 Einwohner eine Stelle.

Auf diese Entwicklung des deutschen Fernsprechwesens ist der Gebühren¬
tarif von bestimmenden Einfluß gewesen. Abgesehen von den skandinavischen
Ländern und der Schweiz hat Deutschland von Anfang an die niedrigsten
Anschlußgebühren erhoben: In: Jahre 1886 kostete ein Anschluß in Berlin
150 Mark, in Wien 300 Mark, in London 400 Mark, in Paris 480 Mark.

Die erste Form der Gebührenerhebung war die für alle Teilnehmer gleich¬
mäßig bemessene Pauschvergütung. Sie war für den Anfang, da Erfahrungen
über die Benutzung des neuen Verkehrsmittels fehlten, die gegebene und hat
auch jetzt noch den Vorteil außerordentlicher Einfachheit und Bequemlichkeit
sowohl für die Behörde als auch für das Publikum. Die Behörde kann im
voraus genau übersehen, welche Einnahmen aus dem Fernsprechverkehr aufkommen
werden; die Teilnehmer zahlen ihre feste Pauschgebühr und können dafür so oft
und so viel sprechen, als sie Zeit und Lust haben. Dieser Einheitstarif behielt
seinen unbestrittenen Vorzug so lange, als die Benutzungsmöglichkeiten des Fern¬
sprechers keine allzu großen Unterschiede in den verschiedenen Netzen aufwiesen.
Der Fernsprecher war anfangs nur als Verkehrsmittel der Mittel- und Großstädte
gedacht; er sollte dazu verwendet werden, die Unbequemlichkeiten in dem täglichen
Hin und Her, die den Bewohnern einer weitausgedehnter Stadt aus den großen
Entfernungen erwachsen, aufzuheben. Als er aber auch unsere Kleinstädte und
das Land zu erobern begann, erwies sich der vorzugsweise für Gegenden mit
hochentwickelter Industrie und wichtigen Handels- und Verkehrsplätzen berechnete
Tarif als ungerecht und der allgemeinen Ausbreitung des für das gesamte
wirtschaftliche Leben unentbehrlichen Fernsprechers feindlich. Der Nutzen des


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[0577] Die deutsche Fernsprcchgebichrcnordnmig daß keine Privatgesellschaft der alten Welt den neuen Verkehrszweig so glänzend zu entwickeln verstanden hat wie die deutsche Staatsverwaltung, deren kluges Vorgehen uns außerdem vor der Notwendigkeit bewahrt hat, die privaten Unter¬ nehmungen mit großen Opfern auszulaufen, wie es heute die meisten anderen Länder tun müssen, um die Allgemeinheit nicht leiden zu lassen. Vor dreißig Jahren hatte es noch seine Schwierigkeit, in Berlin eine genügende Beteiligung für die geplante Stadtfernsprecheinrichtung zu finden. Selbst in den ersten Handelskreisen versprach man sich keinen Nutzen davon. Als Stephan endlich mit Mühe und Not vierundneunzig Anmeldungen für den Anfang zusammengebracht hatte, wußte er wohl, daß manche darunter nur aus Gefälligkeit oder um seine drängenden Werber loszuwerden, unterschrieben hatten. Es ist bezeichnend, daß eine große Anzahl der ersten Sprechstellen durch unmittelbare Leitungen miteinander verbunden werden mußten, weil die Inhaber auf einen Verkehr mit den übrigen Anschlüssen gar nicht rechneten. Neue Mittel und Wege vermögen aber nicht nur den vorhandenen Verkehr zu entwickeln, sondern sogar ein bis dahin nicht empfundenes Verkehrsbedürfnis hervorzurufen. Ein Jahr später. Ende 1882, bestanden im Reichspostgebiet bereits 21 Ortsnetze mit 3721 Sprechstellen, und Ende 1909 zählten wir 851319 Sprechstellen, d. h. auf je 71 Einwohner eine Stelle. Auf diese Entwicklung des deutschen Fernsprechwesens ist der Gebühren¬ tarif von bestimmenden Einfluß gewesen. Abgesehen von den skandinavischen Ländern und der Schweiz hat Deutschland von Anfang an die niedrigsten Anschlußgebühren erhoben: In: Jahre 1886 kostete ein Anschluß in Berlin 150 Mark, in Wien 300 Mark, in London 400 Mark, in Paris 480 Mark. Die erste Form der Gebührenerhebung war die für alle Teilnehmer gleich¬ mäßig bemessene Pauschvergütung. Sie war für den Anfang, da Erfahrungen über die Benutzung des neuen Verkehrsmittels fehlten, die gegebene und hat auch jetzt noch den Vorteil außerordentlicher Einfachheit und Bequemlichkeit sowohl für die Behörde als auch für das Publikum. Die Behörde kann im voraus genau übersehen, welche Einnahmen aus dem Fernsprechverkehr aufkommen werden; die Teilnehmer zahlen ihre feste Pauschgebühr und können dafür so oft und so viel sprechen, als sie Zeit und Lust haben. Dieser Einheitstarif behielt seinen unbestrittenen Vorzug so lange, als die Benutzungsmöglichkeiten des Fern¬ sprechers keine allzu großen Unterschiede in den verschiedenen Netzen aufwiesen. Der Fernsprecher war anfangs nur als Verkehrsmittel der Mittel- und Großstädte gedacht; er sollte dazu verwendet werden, die Unbequemlichkeiten in dem täglichen Hin und Her, die den Bewohnern einer weitausgedehnter Stadt aus den großen Entfernungen erwachsen, aufzuheben. Als er aber auch unsere Kleinstädte und das Land zu erobern begann, erwies sich der vorzugsweise für Gegenden mit hochentwickelter Industrie und wichtigen Handels- und Verkehrsplätzen berechnete Tarif als ungerecht und der allgemeinen Ausbreitung des für das gesamte wirtschaftliche Leben unentbehrlichen Fernsprechers feindlich. Der Nutzen des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/577>, abgerufen am 15.05.2024.