Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die deutsche Fernsprechgebührcnordnnng

Fernsprechers ist um so größer, als die Zahl der Teilnehmer zunimmt. Im
Jahre 1899 waren die in den einzelnen Städten bestehenden Verhältnisse aber
schon so verschieden, daß an eine Änderung des Tarifs gedacht werden mußte.
Denn wenn Teilnehmer in Berlin und Hamburg, die mit mehr als 30000
und 12000 Angeschlossenen telephonisch zu verkehren in der Lage waren, hierfür
nicht mehr zu bezahlen hatten als die Einwohner in Städten mit 20, 50 oder
100 Teilnehmerstellen, so mußte das mit Recht als unbillig empfunden werden.
Dazu kommt, daß die Kosten der Fernsprecheinrichtungen mit ihrer zunehmenden
Ausdehnung erheblich wachsen, indem besonders die Vermehrung der Anschlusse
in den großen Städten wegen der immer verwickelter werdenden Einrichtungen
der Vermittlungsanstalten die auf den einzelnen Anschluß entfallenden Kosten
erhöht. Die Durchschnittskosten einer großstädtischen Sprechstelle sind
erheblich höher als die in kleineren Netzen mit einfachen Betriebsverhältnissen.
Es entsprach sonach der Billigkeit, wenn innerhalb des Rahmens des gewohnten
Gesamterträgnisses die Kosten des Fernsprechwesens durch Abstufungen des Tarifs
mehr nach dem Werte, den die Anlage den Teilnehmern gewährte, verteilt
wurden. Die Fernsprechgebührenordnung von 1899 setzte an Stelle des Ein¬
heitssatzes von 150 Mark abgestufte Pauschgebühren von 80, 100, 120, 140,
150, 160, 170, 180 Mark.

Mit diesem nach der Größe der Ortsnetze abgestuften Tarif war auch der
Zweck verfolgt, dem Fernsprecher mehr, als es unter der Herrschaft des alten
Tarifs möglich gewesen war, in den mittleren und kleinen Städten und auf
dem Lande Eingang zu verschaffen. Je länger die Fernsprecheinrichtungen
bestehen, desto klarer tritt es hervor, daß die mit solchen Anlagen aus¬
gerüsteten Plätze im wirtschaftlichen Wettbewerb einen wesentlichen Vorsprung
vor Orten besitzen, deren Bewohner dieses Vorteils entbehren. Die Beschränkung
des Fernsprechers auf große und mittlere Städte würde auf die Dauer die
unerwünschte Wirkung gebracht haben, daß sich das Geschäft in den größeren
Städten zusammenzog und die kleinen Orte mied. Ein beredtes Zeugnis für
die ausgleichende Wirkung der neuen Fernsprechgebührenordnung wie für die
außerordentlichen Leistungen der Reichstelegraphenverwaltung in den: Ausbau
der Fernsprechanlagen wird durch die Tatsache geliefert, daß nach dem Inkraft¬
treten des neuen Tarifs im Jahre 1900 allein 937 Ortsnetze, d. s. mehr als
in den ersten achtzehn Jahren des Fernsprechwesens, hergestellt worden sind.
In den Landorten (unter 2000 Einwohnern) stieg die Zahl der Ortsnetze von
28 im Jahre 1895 auf 897 im Jahre 1900, während sich die Zahl der
Sprechstellen in den Landstädten (2000 bis 5000 Einwohner) mehr als ver¬
zehnfachte.

Aber auch innerhalb der großen Ortsnetze suchte der Tarif von 1899 einen
Ausgleich zwischen den viel und wenig Sprechenden herbeizuführen, indem er
neben dem Pauschgebührenanschluß den Einzelgebührenanschluß zuließ. Dadurch
sollte denjenigen entgegengekommen werden, die vom Fernsprecher nur einen


Die deutsche Fernsprechgebührcnordnnng

Fernsprechers ist um so größer, als die Zahl der Teilnehmer zunimmt. Im
Jahre 1899 waren die in den einzelnen Städten bestehenden Verhältnisse aber
schon so verschieden, daß an eine Änderung des Tarifs gedacht werden mußte.
Denn wenn Teilnehmer in Berlin und Hamburg, die mit mehr als 30000
und 12000 Angeschlossenen telephonisch zu verkehren in der Lage waren, hierfür
nicht mehr zu bezahlen hatten als die Einwohner in Städten mit 20, 50 oder
100 Teilnehmerstellen, so mußte das mit Recht als unbillig empfunden werden.
Dazu kommt, daß die Kosten der Fernsprecheinrichtungen mit ihrer zunehmenden
Ausdehnung erheblich wachsen, indem besonders die Vermehrung der Anschlusse
in den großen Städten wegen der immer verwickelter werdenden Einrichtungen
der Vermittlungsanstalten die auf den einzelnen Anschluß entfallenden Kosten
erhöht. Die Durchschnittskosten einer großstädtischen Sprechstelle sind
erheblich höher als die in kleineren Netzen mit einfachen Betriebsverhältnissen.
Es entsprach sonach der Billigkeit, wenn innerhalb des Rahmens des gewohnten
Gesamterträgnisses die Kosten des Fernsprechwesens durch Abstufungen des Tarifs
mehr nach dem Werte, den die Anlage den Teilnehmern gewährte, verteilt
wurden. Die Fernsprechgebührenordnung von 1899 setzte an Stelle des Ein¬
heitssatzes von 150 Mark abgestufte Pauschgebühren von 80, 100, 120, 140,
150, 160, 170, 180 Mark.

Mit diesem nach der Größe der Ortsnetze abgestuften Tarif war auch der
Zweck verfolgt, dem Fernsprecher mehr, als es unter der Herrschaft des alten
Tarifs möglich gewesen war, in den mittleren und kleinen Städten und auf
dem Lande Eingang zu verschaffen. Je länger die Fernsprecheinrichtungen
bestehen, desto klarer tritt es hervor, daß die mit solchen Anlagen aus¬
gerüsteten Plätze im wirtschaftlichen Wettbewerb einen wesentlichen Vorsprung
vor Orten besitzen, deren Bewohner dieses Vorteils entbehren. Die Beschränkung
des Fernsprechers auf große und mittlere Städte würde auf die Dauer die
unerwünschte Wirkung gebracht haben, daß sich das Geschäft in den größeren
Städten zusammenzog und die kleinen Orte mied. Ein beredtes Zeugnis für
die ausgleichende Wirkung der neuen Fernsprechgebührenordnung wie für die
außerordentlichen Leistungen der Reichstelegraphenverwaltung in den: Ausbau
der Fernsprechanlagen wird durch die Tatsache geliefert, daß nach dem Inkraft¬
treten des neuen Tarifs im Jahre 1900 allein 937 Ortsnetze, d. s. mehr als
in den ersten achtzehn Jahren des Fernsprechwesens, hergestellt worden sind.
In den Landorten (unter 2000 Einwohnern) stieg die Zahl der Ortsnetze von
28 im Jahre 1895 auf 897 im Jahre 1900, während sich die Zahl der
Sprechstellen in den Landstädten (2000 bis 5000 Einwohner) mehr als ver¬
zehnfachte.

Aber auch innerhalb der großen Ortsnetze suchte der Tarif von 1899 einen
Ausgleich zwischen den viel und wenig Sprechenden herbeizuführen, indem er
neben dem Pauschgebührenanschluß den Einzelgebührenanschluß zuließ. Dadurch
sollte denjenigen entgegengekommen werden, die vom Fernsprecher nur einen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0578" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317529"/>
          <fw type="header" place="top"> Die deutsche Fernsprechgebührcnordnnng</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2769" prev="#ID_2768"> Fernsprechers ist um so größer, als die Zahl der Teilnehmer zunimmt. Im<lb/>
Jahre 1899 waren die in den einzelnen Städten bestehenden Verhältnisse aber<lb/>
schon so verschieden, daß an eine Änderung des Tarifs gedacht werden mußte.<lb/>
Denn wenn Teilnehmer in Berlin und Hamburg, die mit mehr als 30000<lb/>
und 12000 Angeschlossenen telephonisch zu verkehren in der Lage waren, hierfür<lb/>
nicht mehr zu bezahlen hatten als die Einwohner in Städten mit 20, 50 oder<lb/>
100 Teilnehmerstellen, so mußte das mit Recht als unbillig empfunden werden.<lb/>
Dazu kommt, daß die Kosten der Fernsprecheinrichtungen mit ihrer zunehmenden<lb/>
Ausdehnung erheblich wachsen, indem besonders die Vermehrung der Anschlusse<lb/>
in den großen Städten wegen der immer verwickelter werdenden Einrichtungen<lb/>
der Vermittlungsanstalten die auf den einzelnen Anschluß entfallenden Kosten<lb/>
erhöht. Die Durchschnittskosten einer großstädtischen Sprechstelle sind<lb/>
erheblich höher als die in kleineren Netzen mit einfachen Betriebsverhältnissen.<lb/>
Es entsprach sonach der Billigkeit, wenn innerhalb des Rahmens des gewohnten<lb/>
Gesamterträgnisses die Kosten des Fernsprechwesens durch Abstufungen des Tarifs<lb/>
mehr nach dem Werte, den die Anlage den Teilnehmern gewährte, verteilt<lb/>
wurden. Die Fernsprechgebührenordnung von 1899 setzte an Stelle des Ein¬<lb/>
heitssatzes von 150 Mark abgestufte Pauschgebühren von 80, 100, 120, 140,<lb/>
150, 160, 170, 180 Mark.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2770"> Mit diesem nach der Größe der Ortsnetze abgestuften Tarif war auch der<lb/>
Zweck verfolgt, dem Fernsprecher mehr, als es unter der Herrschaft des alten<lb/>
Tarifs möglich gewesen war, in den mittleren und kleinen Städten und auf<lb/>
dem Lande Eingang zu verschaffen. Je länger die Fernsprecheinrichtungen<lb/>
bestehen, desto klarer tritt es hervor, daß die mit solchen Anlagen aus¬<lb/>
gerüsteten Plätze im wirtschaftlichen Wettbewerb einen wesentlichen Vorsprung<lb/>
vor Orten besitzen, deren Bewohner dieses Vorteils entbehren. Die Beschränkung<lb/>
des Fernsprechers auf große und mittlere Städte würde auf die Dauer die<lb/>
unerwünschte Wirkung gebracht haben, daß sich das Geschäft in den größeren<lb/>
Städten zusammenzog und die kleinen Orte mied. Ein beredtes Zeugnis für<lb/>
die ausgleichende Wirkung der neuen Fernsprechgebührenordnung wie für die<lb/>
außerordentlichen Leistungen der Reichstelegraphenverwaltung in den: Ausbau<lb/>
der Fernsprechanlagen wird durch die Tatsache geliefert, daß nach dem Inkraft¬<lb/>
treten des neuen Tarifs im Jahre 1900 allein 937 Ortsnetze, d. s. mehr als<lb/>
in den ersten achtzehn Jahren des Fernsprechwesens, hergestellt worden sind.<lb/>
In den Landorten (unter 2000 Einwohnern) stieg die Zahl der Ortsnetze von<lb/>
28 im Jahre 1895 auf 897 im Jahre 1900, während sich die Zahl der<lb/>
Sprechstellen in den Landstädten (2000 bis 5000 Einwohner) mehr als ver¬<lb/>
zehnfachte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2771" next="#ID_2772"> Aber auch innerhalb der großen Ortsnetze suchte der Tarif von 1899 einen<lb/>
Ausgleich zwischen den viel und wenig Sprechenden herbeizuführen, indem er<lb/>
neben dem Pauschgebührenanschluß den Einzelgebührenanschluß zuließ. Dadurch<lb/>
sollte denjenigen entgegengekommen werden, die vom Fernsprecher nur einen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0578] Die deutsche Fernsprechgebührcnordnnng Fernsprechers ist um so größer, als die Zahl der Teilnehmer zunimmt. Im Jahre 1899 waren die in den einzelnen Städten bestehenden Verhältnisse aber schon so verschieden, daß an eine Änderung des Tarifs gedacht werden mußte. Denn wenn Teilnehmer in Berlin und Hamburg, die mit mehr als 30000 und 12000 Angeschlossenen telephonisch zu verkehren in der Lage waren, hierfür nicht mehr zu bezahlen hatten als die Einwohner in Städten mit 20, 50 oder 100 Teilnehmerstellen, so mußte das mit Recht als unbillig empfunden werden. Dazu kommt, daß die Kosten der Fernsprecheinrichtungen mit ihrer zunehmenden Ausdehnung erheblich wachsen, indem besonders die Vermehrung der Anschlusse in den großen Städten wegen der immer verwickelter werdenden Einrichtungen der Vermittlungsanstalten die auf den einzelnen Anschluß entfallenden Kosten erhöht. Die Durchschnittskosten einer großstädtischen Sprechstelle sind erheblich höher als die in kleineren Netzen mit einfachen Betriebsverhältnissen. Es entsprach sonach der Billigkeit, wenn innerhalb des Rahmens des gewohnten Gesamterträgnisses die Kosten des Fernsprechwesens durch Abstufungen des Tarifs mehr nach dem Werte, den die Anlage den Teilnehmern gewährte, verteilt wurden. Die Fernsprechgebührenordnung von 1899 setzte an Stelle des Ein¬ heitssatzes von 150 Mark abgestufte Pauschgebühren von 80, 100, 120, 140, 150, 160, 170, 180 Mark. Mit diesem nach der Größe der Ortsnetze abgestuften Tarif war auch der Zweck verfolgt, dem Fernsprecher mehr, als es unter der Herrschaft des alten Tarifs möglich gewesen war, in den mittleren und kleinen Städten und auf dem Lande Eingang zu verschaffen. Je länger die Fernsprecheinrichtungen bestehen, desto klarer tritt es hervor, daß die mit solchen Anlagen aus¬ gerüsteten Plätze im wirtschaftlichen Wettbewerb einen wesentlichen Vorsprung vor Orten besitzen, deren Bewohner dieses Vorteils entbehren. Die Beschränkung des Fernsprechers auf große und mittlere Städte würde auf die Dauer die unerwünschte Wirkung gebracht haben, daß sich das Geschäft in den größeren Städten zusammenzog und die kleinen Orte mied. Ein beredtes Zeugnis für die ausgleichende Wirkung der neuen Fernsprechgebührenordnung wie für die außerordentlichen Leistungen der Reichstelegraphenverwaltung in den: Ausbau der Fernsprechanlagen wird durch die Tatsache geliefert, daß nach dem Inkraft¬ treten des neuen Tarifs im Jahre 1900 allein 937 Ortsnetze, d. s. mehr als in den ersten achtzehn Jahren des Fernsprechwesens, hergestellt worden sind. In den Landorten (unter 2000 Einwohnern) stieg die Zahl der Ortsnetze von 28 im Jahre 1895 auf 897 im Jahre 1900, während sich die Zahl der Sprechstellen in den Landstädten (2000 bis 5000 Einwohner) mehr als ver¬ zehnfachte. Aber auch innerhalb der großen Ortsnetze suchte der Tarif von 1899 einen Ausgleich zwischen den viel und wenig Sprechenden herbeizuführen, indem er neben dem Pauschgebührenanschluß den Einzelgebührenanschluß zuließ. Dadurch sollte denjenigen entgegengekommen werden, die vom Fernsprecher nur einen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/578
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/578>, abgerufen am 31.05.2024.