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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Gskar Jäger

Unterricht, das dem Gymnasium gestattet blieb, zwar immer noch groß genug,
um sich den Schülern unbequem fühlbar zu machen, aber zu klein, um ihnen
für die aufgewandte Mühe einen herzhaften Gewinn zu verschaffen. Hier mußte
der Fortschritt einsetzen. Er bedeutete Umkehr in bezug auf den Lehrplan, in
dein nur durch Vereinfachung wieder die Möglichkeit gegeben werden konnte, sich
zu vertiefen. Aber diese Freiheit im Innern war für das Gymnasium nur
daun zu erreichen, wenn es auf jedes äußere Vorrecht verzichtete. Neben ihm
mußten Realgymnasium und Oberrealschule audere Bildungswege eröffnen, die
den Teil deutscher Jugend, für den der Umweg durch das klassische Altertum
zu weit erschiene, durch um so gründlichere Beschäftigung mit neueren Sprachen
und neuerer Geschichte, mit Mathematik, Geographie, Naturwissenschaften an
das gleiche Ziel des Rechtes auf Eintritt in jedes akademische Studium, in jede
Berufsvorbercitung führten. Freier Wettbewerb der drei Schulen -- wie der drei
Ringe im Nathan, -- freie Ausgestaltung einer jeden in ihrer lebensvollen Eigenart:
das mußte die Losung sein.

Unter Oskar Jägers Führung wurde es die Losung des Deutschen Gym¬
nasialvereins. Beunruhigende Gerüchte über das, was in Berlin geplant werde,
waren bald uach Neujahr 1900 ins Land gedrungen: das Werk der Zerstörung
solle fortgesetzt, das ins Wanken gebrachte Gymnasium durch Freigabe --
und das hieß: Preisgabe -- des Griechischen vollends vernichtet werden.
Unter tiefer Bewegung der Gemüter rückte Ostern heran. Am Dienstag nach
dem Feste waren wir, wie alljährlich, um Jäger versammelt. Hier trat er
entschlossen für jenes Programm ein, und jubelnd stimmte die rheinische
Lehrerschaft ihm zu. Nun kam es darauf an, dieser Gesinnung in weiterem
Umfang Anhänger zu werben. Auf die Kölner Versammlung folgte zu Pfingsten
die große Tagung unseres Vereins in Braunschweig, die dadurch ein erhöhtes
Interesse gewann, daß unmittelbar danach im Kultusministerium die Konferenz
zusammentreten sollte, die auf Allerhöchsten Befehl über eine neue Reform zu
beraten hatte. Die erregte, kampfesmutige, freudig gehobene Stimmung des
Pfingstmontages in Braunschweig wird allen, die daran teilgenommen haben,
unvergessen bleiben. Und es gehört zu den bleibenden Ruhmestiteln unseres
Vereins, daß er sich zu den: Gedanken, ein Privilegium aufzugeben, in einem
Augenblicke bekannte, wo der Entschluß noch als ein freiwilliger hervortrat.

Es ist mir, als sähe ich es noch, wie bei den: Festmahl, das den Ver¬
handlungen folgte, Oskar Jägers hohe Gestalt durch den Saal schritt, da er
Abschied nahm, um nach Berlin zu eilen und dort als Mitglied der neuen
Schulkonferenz zugleich unsere Resolution zu überbringen. Inzwischen hatte sich
auch im Ministerium die Lage völlig geändert. Der Vorsatz, der wenige Wochen
vorher schon festgestanden hatte, das Griechische bis Untersekunda zurückzudrängen
und fakultativ zu machen, war wieder gefallen. Für eben die Lösung der
Schwierigkeiten, die wir verlangten, hatte sich Althof entschieden; in der An¬
sprache, mit welcher der Minister Stube die Konferenz eröffnete, waren die


Gskar Jäger

Unterricht, das dem Gymnasium gestattet blieb, zwar immer noch groß genug,
um sich den Schülern unbequem fühlbar zu machen, aber zu klein, um ihnen
für die aufgewandte Mühe einen herzhaften Gewinn zu verschaffen. Hier mußte
der Fortschritt einsetzen. Er bedeutete Umkehr in bezug auf den Lehrplan, in
dein nur durch Vereinfachung wieder die Möglichkeit gegeben werden konnte, sich
zu vertiefen. Aber diese Freiheit im Innern war für das Gymnasium nur
daun zu erreichen, wenn es auf jedes äußere Vorrecht verzichtete. Neben ihm
mußten Realgymnasium und Oberrealschule audere Bildungswege eröffnen, die
den Teil deutscher Jugend, für den der Umweg durch das klassische Altertum
zu weit erschiene, durch um so gründlichere Beschäftigung mit neueren Sprachen
und neuerer Geschichte, mit Mathematik, Geographie, Naturwissenschaften an
das gleiche Ziel des Rechtes auf Eintritt in jedes akademische Studium, in jede
Berufsvorbercitung führten. Freier Wettbewerb der drei Schulen — wie der drei
Ringe im Nathan, — freie Ausgestaltung einer jeden in ihrer lebensvollen Eigenart:
das mußte die Losung sein.

Unter Oskar Jägers Führung wurde es die Losung des Deutschen Gym¬
nasialvereins. Beunruhigende Gerüchte über das, was in Berlin geplant werde,
waren bald uach Neujahr 1900 ins Land gedrungen: das Werk der Zerstörung
solle fortgesetzt, das ins Wanken gebrachte Gymnasium durch Freigabe —
und das hieß: Preisgabe — des Griechischen vollends vernichtet werden.
Unter tiefer Bewegung der Gemüter rückte Ostern heran. Am Dienstag nach
dem Feste waren wir, wie alljährlich, um Jäger versammelt. Hier trat er
entschlossen für jenes Programm ein, und jubelnd stimmte die rheinische
Lehrerschaft ihm zu. Nun kam es darauf an, dieser Gesinnung in weiterem
Umfang Anhänger zu werben. Auf die Kölner Versammlung folgte zu Pfingsten
die große Tagung unseres Vereins in Braunschweig, die dadurch ein erhöhtes
Interesse gewann, daß unmittelbar danach im Kultusministerium die Konferenz
zusammentreten sollte, die auf Allerhöchsten Befehl über eine neue Reform zu
beraten hatte. Die erregte, kampfesmutige, freudig gehobene Stimmung des
Pfingstmontages in Braunschweig wird allen, die daran teilgenommen haben,
unvergessen bleiben. Und es gehört zu den bleibenden Ruhmestiteln unseres
Vereins, daß er sich zu den: Gedanken, ein Privilegium aufzugeben, in einem
Augenblicke bekannte, wo der Entschluß noch als ein freiwilliger hervortrat.

Es ist mir, als sähe ich es noch, wie bei den: Festmahl, das den Ver¬
handlungen folgte, Oskar Jägers hohe Gestalt durch den Saal schritt, da er
Abschied nahm, um nach Berlin zu eilen und dort als Mitglied der neuen
Schulkonferenz zugleich unsere Resolution zu überbringen. Inzwischen hatte sich
auch im Ministerium die Lage völlig geändert. Der Vorsatz, der wenige Wochen
vorher schon festgestanden hatte, das Griechische bis Untersekunda zurückzudrängen
und fakultativ zu machen, war wieder gefallen. Für eben die Lösung der
Schwierigkeiten, die wir verlangten, hatte sich Althof entschieden; in der An¬
sprache, mit welcher der Minister Stube die Konferenz eröffnete, waren die


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[0073] Gskar Jäger Unterricht, das dem Gymnasium gestattet blieb, zwar immer noch groß genug, um sich den Schülern unbequem fühlbar zu machen, aber zu klein, um ihnen für die aufgewandte Mühe einen herzhaften Gewinn zu verschaffen. Hier mußte der Fortschritt einsetzen. Er bedeutete Umkehr in bezug auf den Lehrplan, in dein nur durch Vereinfachung wieder die Möglichkeit gegeben werden konnte, sich zu vertiefen. Aber diese Freiheit im Innern war für das Gymnasium nur daun zu erreichen, wenn es auf jedes äußere Vorrecht verzichtete. Neben ihm mußten Realgymnasium und Oberrealschule audere Bildungswege eröffnen, die den Teil deutscher Jugend, für den der Umweg durch das klassische Altertum zu weit erschiene, durch um so gründlichere Beschäftigung mit neueren Sprachen und neuerer Geschichte, mit Mathematik, Geographie, Naturwissenschaften an das gleiche Ziel des Rechtes auf Eintritt in jedes akademische Studium, in jede Berufsvorbercitung führten. Freier Wettbewerb der drei Schulen — wie der drei Ringe im Nathan, — freie Ausgestaltung einer jeden in ihrer lebensvollen Eigenart: das mußte die Losung sein. Unter Oskar Jägers Führung wurde es die Losung des Deutschen Gym¬ nasialvereins. Beunruhigende Gerüchte über das, was in Berlin geplant werde, waren bald uach Neujahr 1900 ins Land gedrungen: das Werk der Zerstörung solle fortgesetzt, das ins Wanken gebrachte Gymnasium durch Freigabe — und das hieß: Preisgabe — des Griechischen vollends vernichtet werden. Unter tiefer Bewegung der Gemüter rückte Ostern heran. Am Dienstag nach dem Feste waren wir, wie alljährlich, um Jäger versammelt. Hier trat er entschlossen für jenes Programm ein, und jubelnd stimmte die rheinische Lehrerschaft ihm zu. Nun kam es darauf an, dieser Gesinnung in weiterem Umfang Anhänger zu werben. Auf die Kölner Versammlung folgte zu Pfingsten die große Tagung unseres Vereins in Braunschweig, die dadurch ein erhöhtes Interesse gewann, daß unmittelbar danach im Kultusministerium die Konferenz zusammentreten sollte, die auf Allerhöchsten Befehl über eine neue Reform zu beraten hatte. Die erregte, kampfesmutige, freudig gehobene Stimmung des Pfingstmontages in Braunschweig wird allen, die daran teilgenommen haben, unvergessen bleiben. Und es gehört zu den bleibenden Ruhmestiteln unseres Vereins, daß er sich zu den: Gedanken, ein Privilegium aufzugeben, in einem Augenblicke bekannte, wo der Entschluß noch als ein freiwilliger hervortrat. Es ist mir, als sähe ich es noch, wie bei den: Festmahl, das den Ver¬ handlungen folgte, Oskar Jägers hohe Gestalt durch den Saal schritt, da er Abschied nahm, um nach Berlin zu eilen und dort als Mitglied der neuen Schulkonferenz zugleich unsere Resolution zu überbringen. Inzwischen hatte sich auch im Ministerium die Lage völlig geändert. Der Vorsatz, der wenige Wochen vorher schon festgestanden hatte, das Griechische bis Untersekunda zurückzudrängen und fakultativ zu machen, war wieder gefallen. Für eben die Lösung der Schwierigkeiten, die wir verlangten, hatte sich Althof entschieden; in der An¬ sprache, mit welcher der Minister Stube die Konferenz eröffnete, waren die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/73>, abgerufen am 29.05.2024.