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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Vskar Jäger

auszusprechen. Oskar Jäger war ein vortrefflicher Redner; das zeigte sich
vielleicht am meisten, wenn er unvorbereitet sprach und in einer bewegten, gar
verwirrten Situation mit Sicherheit das treffende Urteil und den bezeichnenden
Ailsdruck fand. Dabei fehlte es seiner sachlichen Schärfe an allem Verletzenden,
weil sie mit jenem fröhlichen Humor verbunden war, der über den Dingen,
ja, so konnte es manchmal scheinen, über seinem eigenen Anteil an den Dingen
stand. So kam es, daß er zwar viele Gegner, doch, im Alter jedenfalls,
eigentlich keinen Feind gehabt hat. Er wußte die Überlegenheit seines Geistes
und Charakters den Kleineren erträglich zu machen und für die natürliche
Vorzugstellung, die ihm zufiel, gewissermaßen Indemnität zu erlangen durch
Freundlichkeit und Milde. Aber das war kein Mittel, durch das er wirken
wollte, nichts äußerlich Angenommenes, vielmehr der unwillkürliche Ausdruck
einer selbstlosen Natur, die an dem Schaffen und Gedeihen andrer sich herzlich
mitfreute.

Das alles ist mit ihm dahingegangen; sein persönlichstes Wesen sich zum
Vorbilde zu nehmen, wird niemand versuchen wolle". Aber unter seinen großen
Eigenschaften waren solche, die wir festhalten können, um ihm darin nachzueifern.
Auch wem es nicht gegeben ist, Worte zu prägen, kann sich durch eigenen
Entschluß dem Bann entziehen, den fertig geprägte lind in Umlauf gesetzte
Worte ausüben. Keinen erbarmungsloseren Zerstörer der Phrase gab es als
Oskar Jäger. Die Kraft seiner Kritik ruhte darin, daß er völlig frei war von
Menschenfurcht, nach oben wie nach unten. Und noch vor etwas anderem
fürchtete er sich nicht: vor dem Anblick einer schlimmen Wirklichkeit. Wie er
selbst es nach der Niederlage von 1891 ausgesprochen hat: wir müssen den
Dingen klar ins Auge sehen und uns keiner Täuschung hingeben. Unbeirrt?
Diagnose ist überall der erste Schritt zur Heilung. Von einem der vielen, die
statt dessen das Bedürfnis haben, sich mit dem jedesmaligen Zustande der Welt,
die sie umgibt, in Einklang zu fühlen, hörte ich einmal äußern: er gehe nicht
mehr zu Ostern nach Köln, die ewigen Jeremiaden über den Niedergang des
Gymnasiums seien ihm leid. Das Wort klingt ja unfreundlich; spöttisch war
es gemeint. Ernsthaft genommen aber, mit einem Propheten wie Jerenüas
verglichen zu werden wäre doch etwas Großes. Der ungesunde Optimismus
jedenfalls, der mit halbbewußter Scheu die Augen verschließt und die Gefahr
nicht sehen will, da es doch bisher immer gut gegangen sei, diese Schwäche
lag unserm Jäger fern. Und doch konnte matt ihn einen Optimisten nennen.
Denn auch der ist es, ja der im Grunde erst recht, der unerschütterlich den
Glauben festhält an die Kraft des Guten, das durch den klaren Willen herz¬
hafter Männer bewirkt werden könne. Wie soll das aber gelingen, solange
man das Schlechte, wo es ist. nicht rücksichtslos erkennt?

Die schlimmsten Gefahren -- und es sind nicht mehr bloß Gefahren --,
von denen heute unser höheres Erziehungswesen bedrängt ist, hat mit scherzenden
Worte vor kurzem Julius Ziehen benannt: Unterbindung und Elementaritis.


Grenzboten IV 1910 !1
Vskar Jäger

auszusprechen. Oskar Jäger war ein vortrefflicher Redner; das zeigte sich
vielleicht am meisten, wenn er unvorbereitet sprach und in einer bewegten, gar
verwirrten Situation mit Sicherheit das treffende Urteil und den bezeichnenden
Ailsdruck fand. Dabei fehlte es seiner sachlichen Schärfe an allem Verletzenden,
weil sie mit jenem fröhlichen Humor verbunden war, der über den Dingen,
ja, so konnte es manchmal scheinen, über seinem eigenen Anteil an den Dingen
stand. So kam es, daß er zwar viele Gegner, doch, im Alter jedenfalls,
eigentlich keinen Feind gehabt hat. Er wußte die Überlegenheit seines Geistes
und Charakters den Kleineren erträglich zu machen und für die natürliche
Vorzugstellung, die ihm zufiel, gewissermaßen Indemnität zu erlangen durch
Freundlichkeit und Milde. Aber das war kein Mittel, durch das er wirken
wollte, nichts äußerlich Angenommenes, vielmehr der unwillkürliche Ausdruck
einer selbstlosen Natur, die an dem Schaffen und Gedeihen andrer sich herzlich
mitfreute.

Das alles ist mit ihm dahingegangen; sein persönlichstes Wesen sich zum
Vorbilde zu nehmen, wird niemand versuchen wolle». Aber unter seinen großen
Eigenschaften waren solche, die wir festhalten können, um ihm darin nachzueifern.
Auch wem es nicht gegeben ist, Worte zu prägen, kann sich durch eigenen
Entschluß dem Bann entziehen, den fertig geprägte lind in Umlauf gesetzte
Worte ausüben. Keinen erbarmungsloseren Zerstörer der Phrase gab es als
Oskar Jäger. Die Kraft seiner Kritik ruhte darin, daß er völlig frei war von
Menschenfurcht, nach oben wie nach unten. Und noch vor etwas anderem
fürchtete er sich nicht: vor dem Anblick einer schlimmen Wirklichkeit. Wie er
selbst es nach der Niederlage von 1891 ausgesprochen hat: wir müssen den
Dingen klar ins Auge sehen und uns keiner Täuschung hingeben. Unbeirrt?
Diagnose ist überall der erste Schritt zur Heilung. Von einem der vielen, die
statt dessen das Bedürfnis haben, sich mit dem jedesmaligen Zustande der Welt,
die sie umgibt, in Einklang zu fühlen, hörte ich einmal äußern: er gehe nicht
mehr zu Ostern nach Köln, die ewigen Jeremiaden über den Niedergang des
Gymnasiums seien ihm leid. Das Wort klingt ja unfreundlich; spöttisch war
es gemeint. Ernsthaft genommen aber, mit einem Propheten wie Jerenüas
verglichen zu werden wäre doch etwas Großes. Der ungesunde Optimismus
jedenfalls, der mit halbbewußter Scheu die Augen verschließt und die Gefahr
nicht sehen will, da es doch bisher immer gut gegangen sei, diese Schwäche
lag unserm Jäger fern. Und doch konnte matt ihn einen Optimisten nennen.
Denn auch der ist es, ja der im Grunde erst recht, der unerschütterlich den
Glauben festhält an die Kraft des Guten, das durch den klaren Willen herz¬
hafter Männer bewirkt werden könne. Wie soll das aber gelingen, solange
man das Schlechte, wo es ist. nicht rücksichtslos erkennt?

Die schlimmsten Gefahren — und es sind nicht mehr bloß Gefahren —,
von denen heute unser höheres Erziehungswesen bedrängt ist, hat mit scherzenden
Worte vor kurzem Julius Ziehen benannt: Unterbindung und Elementaritis.


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[0077] Vskar Jäger auszusprechen. Oskar Jäger war ein vortrefflicher Redner; das zeigte sich vielleicht am meisten, wenn er unvorbereitet sprach und in einer bewegten, gar verwirrten Situation mit Sicherheit das treffende Urteil und den bezeichnenden Ailsdruck fand. Dabei fehlte es seiner sachlichen Schärfe an allem Verletzenden, weil sie mit jenem fröhlichen Humor verbunden war, der über den Dingen, ja, so konnte es manchmal scheinen, über seinem eigenen Anteil an den Dingen stand. So kam es, daß er zwar viele Gegner, doch, im Alter jedenfalls, eigentlich keinen Feind gehabt hat. Er wußte die Überlegenheit seines Geistes und Charakters den Kleineren erträglich zu machen und für die natürliche Vorzugstellung, die ihm zufiel, gewissermaßen Indemnität zu erlangen durch Freundlichkeit und Milde. Aber das war kein Mittel, durch das er wirken wollte, nichts äußerlich Angenommenes, vielmehr der unwillkürliche Ausdruck einer selbstlosen Natur, die an dem Schaffen und Gedeihen andrer sich herzlich mitfreute. Das alles ist mit ihm dahingegangen; sein persönlichstes Wesen sich zum Vorbilde zu nehmen, wird niemand versuchen wolle». Aber unter seinen großen Eigenschaften waren solche, die wir festhalten können, um ihm darin nachzueifern. Auch wem es nicht gegeben ist, Worte zu prägen, kann sich durch eigenen Entschluß dem Bann entziehen, den fertig geprägte lind in Umlauf gesetzte Worte ausüben. Keinen erbarmungsloseren Zerstörer der Phrase gab es als Oskar Jäger. Die Kraft seiner Kritik ruhte darin, daß er völlig frei war von Menschenfurcht, nach oben wie nach unten. Und noch vor etwas anderem fürchtete er sich nicht: vor dem Anblick einer schlimmen Wirklichkeit. Wie er selbst es nach der Niederlage von 1891 ausgesprochen hat: wir müssen den Dingen klar ins Auge sehen und uns keiner Täuschung hingeben. Unbeirrt? Diagnose ist überall der erste Schritt zur Heilung. Von einem der vielen, die statt dessen das Bedürfnis haben, sich mit dem jedesmaligen Zustande der Welt, die sie umgibt, in Einklang zu fühlen, hörte ich einmal äußern: er gehe nicht mehr zu Ostern nach Köln, die ewigen Jeremiaden über den Niedergang des Gymnasiums seien ihm leid. Das Wort klingt ja unfreundlich; spöttisch war es gemeint. Ernsthaft genommen aber, mit einem Propheten wie Jerenüas verglichen zu werden wäre doch etwas Großes. Der ungesunde Optimismus jedenfalls, der mit halbbewußter Scheu die Augen verschließt und die Gefahr nicht sehen will, da es doch bisher immer gut gegangen sei, diese Schwäche lag unserm Jäger fern. Und doch konnte matt ihn einen Optimisten nennen. Denn auch der ist es, ja der im Grunde erst recht, der unerschütterlich den Glauben festhält an die Kraft des Guten, das durch den klaren Willen herz¬ hafter Männer bewirkt werden könne. Wie soll das aber gelingen, solange man das Schlechte, wo es ist. nicht rücksichtslos erkennt? Die schlimmsten Gefahren — und es sind nicht mehr bloß Gefahren —, von denen heute unser höheres Erziehungswesen bedrängt ist, hat mit scherzenden Worte vor kurzem Julius Ziehen benannt: Unterbindung und Elementaritis. Grenzboten IV 1910 !1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/77>, abgerufen am 29.05.2024.