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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Erziehung i" den Vereinigten Staaten

nicht entsprechend zu. Der Herr, der hinten im Wagen sitzt, hat zwar mehr
Dollars, doch meist keine größere Bildung als der Kutscher auf dem Bock.
Das ist auch ganz natürlich, denn nach Absolvierung der High school oder etwa
noch des Kolleges kommen die jungen Leute ins Geschäft und dieses absorbiert
nun ihre ganzen Kräfte.

Da nach der allgemeinen Lebensauffassung des Volkes das Ziel der
Erziehung nicht dahin gerichtet ist, den jungen Leuten die für ein akademisches
Studium, für die Beamten- oder Soldatenlaufbahn geeignete Vorbildung zu
geben, fondern sie für den wirtschaftlichen Kampf zu präparieren, fo wird eben
auch nur auf das für dieses Ziel "Zweckdienliche" Rücksicht genommen und das
Niveau der sogenaunten "allgemeinen" Bildung muß ein niedriges bleiben.

Bei der Erziehung der Kinder gilt als Hauptgesichtspunkt der, das Kind
auf eigene Füße zu stellen; daher wird es auch nicht, wie man bei uns des
öfteren beobachten kann, von vornherein auf einen bestimmten Beruf gedrillt
und man drängt den heranwachsenden Knaben auch nicht in eine Laufbahn,
für die er sich nicht eignet. Sieht jemand, daß seine Berufswahl verfehlt war,
so ist es ihm bei der gleichartigen Vorbildung aller oder besser gesagt mangels
eines einseitigen Qualifikationsnachweises für einen bestimmten Beruf ein leichtes,
einen anderen Beruf zu ergreifen, und die dem Amerikaner eigene optimistische
Elastizität tritt hier noch unterstützend hinzu.

Die Folge ist, daß man drüben fast nie Leute findet, die mit ihrem Beruf
unzufrieden sind und aus Unzufriedenheit mit ihrem Schicksal allen Ehrgeiz und
alles Streben verloren haben.

Während nun die Männer durch den frühen Eintritt in das wirtschaftliche
Erwerbsleben sich nicht jenes Maß von allgemeiner Bildung erwerben können,
welches wir z. B. in Deutschland finden, so beginnen in diese Lücke die Frauen
einzutreten. Soweit diese nicht selbst für ihre Existenz arbeiten müssen, sondern
pekuniär sorgenfrei gestellt sind, geben sie sich in großem Maße dein Studium
an Kolleges und Universitäten hin.

Ich habe dies im Anfang mehr für Spielerei und Befriedigung weiblicher
Launen gehalten; aber nach dem Besuche einiger Damenkolleges und Universitäts¬
vorlesungen mußte ich einsehen, daß die Sache doch ernster zu beurteilen ist.
Da Harvard University nach alter Tradition keine weiblichen Zuhörer duldet,
so werden in dem nebenan gelegenen Radcliff College von den Harvard-Professoren
die Vorlesungen für Damen gehalten. Ich habe hier eine von einem deutschen
Professor gehaltene Einführungsoorlesung in die Psychologie gehört, von der
mir der Herr versicherte, daß es genau dieselbe sei, die er seinerzeit in
Freiburg i. Br. gehalten habe und daß die Damen den Stoff beherrschten, ersehe
er aus i>en am Ende eines jeden Semesters stattfindenden Abschlußprüfungen.
Auch erhalte er über seine wissenschaftlichen Veröffentlichungen die besten
Zuschriften gerade von Damen. Diesen Lerneifer der Damen findet man nicht
nur in den höher kultivierten Oststaaten, sondern auch bereits ini Westen. Ein


Erziehung i» den Vereinigten Staaten

nicht entsprechend zu. Der Herr, der hinten im Wagen sitzt, hat zwar mehr
Dollars, doch meist keine größere Bildung als der Kutscher auf dem Bock.
Das ist auch ganz natürlich, denn nach Absolvierung der High school oder etwa
noch des Kolleges kommen die jungen Leute ins Geschäft und dieses absorbiert
nun ihre ganzen Kräfte.

Da nach der allgemeinen Lebensauffassung des Volkes das Ziel der
Erziehung nicht dahin gerichtet ist, den jungen Leuten die für ein akademisches
Studium, für die Beamten- oder Soldatenlaufbahn geeignete Vorbildung zu
geben, fondern sie für den wirtschaftlichen Kampf zu präparieren, fo wird eben
auch nur auf das für dieses Ziel „Zweckdienliche" Rücksicht genommen und das
Niveau der sogenaunten „allgemeinen" Bildung muß ein niedriges bleiben.

Bei der Erziehung der Kinder gilt als Hauptgesichtspunkt der, das Kind
auf eigene Füße zu stellen; daher wird es auch nicht, wie man bei uns des
öfteren beobachten kann, von vornherein auf einen bestimmten Beruf gedrillt
und man drängt den heranwachsenden Knaben auch nicht in eine Laufbahn,
für die er sich nicht eignet. Sieht jemand, daß seine Berufswahl verfehlt war,
so ist es ihm bei der gleichartigen Vorbildung aller oder besser gesagt mangels
eines einseitigen Qualifikationsnachweises für einen bestimmten Beruf ein leichtes,
einen anderen Beruf zu ergreifen, und die dem Amerikaner eigene optimistische
Elastizität tritt hier noch unterstützend hinzu.

Die Folge ist, daß man drüben fast nie Leute findet, die mit ihrem Beruf
unzufrieden sind und aus Unzufriedenheit mit ihrem Schicksal allen Ehrgeiz und
alles Streben verloren haben.

Während nun die Männer durch den frühen Eintritt in das wirtschaftliche
Erwerbsleben sich nicht jenes Maß von allgemeiner Bildung erwerben können,
welches wir z. B. in Deutschland finden, so beginnen in diese Lücke die Frauen
einzutreten. Soweit diese nicht selbst für ihre Existenz arbeiten müssen, sondern
pekuniär sorgenfrei gestellt sind, geben sie sich in großem Maße dein Studium
an Kolleges und Universitäten hin.

Ich habe dies im Anfang mehr für Spielerei und Befriedigung weiblicher
Launen gehalten; aber nach dem Besuche einiger Damenkolleges und Universitäts¬
vorlesungen mußte ich einsehen, daß die Sache doch ernster zu beurteilen ist.
Da Harvard University nach alter Tradition keine weiblichen Zuhörer duldet,
so werden in dem nebenan gelegenen Radcliff College von den Harvard-Professoren
die Vorlesungen für Damen gehalten. Ich habe hier eine von einem deutschen
Professor gehaltene Einführungsoorlesung in die Psychologie gehört, von der
mir der Herr versicherte, daß es genau dieselbe sei, die er seinerzeit in
Freiburg i. Br. gehalten habe und daß die Damen den Stoff beherrschten, ersehe
er aus i>en am Ende eines jeden Semesters stattfindenden Abschlußprüfungen.
Auch erhalte er über seine wissenschaftlichen Veröffentlichungen die besten
Zuschriften gerade von Damen. Diesen Lerneifer der Damen findet man nicht
nur in den höher kultivierten Oststaaten, sondern auch bereits ini Westen. Ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/80>, abgerufen am 15.05.2024.