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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Im Flecken

Der Hund ging plötzlich langsamer.

"Was hast du, Bol?"

Er blickte zum Herrn zurück, doch aus dem gelben Schimmer seiner Augen
ließ sich die Antwort nicht lesen. Noch einige Schritte machte er zögernd, dann
stand er still, Okolitsch bereitete sich für jeden Fall zum Schuß.

Mit einem Lärm, als fiele ein Holzstapel um, arbeiteten sich kurz vor ihnen
zwei oder drei Vögel vom Boden auf.

"Das waren Auerhühner, Bol. Vorwärts!"

Sie kamen auf höheres, welliges Land. Das Unterholz war hier lichter.
Der Jäger konnte schneller ausschreiten. Plötzlich machte Bol einen Satz, hielt
aber gleich an und kehrte sich zum Herrn. Die Augen glänzten Heller, und er
wedelte.

"Pfui, Bol, schäme dich. Wolltest einem Hasen nachlaufen! Vorwärts!"

Sie gingen jetzt auf einem trockenen Landstreifen. Links schimmerte zwischen
den Bäumen offenes Wasser, und rechts schimmerte ebenfalls offenes Wasser. Was,
zum Kuckuck, bedeutete das? Sollte der Jäger doch die Richtung verfehlt haben
und in die Zunge geraten sein, die etwa eine Werst rechts lag und in einen
Sumpf führte? Es schien fast so, denn der Boden senkte sich und knorrige Busch¬
stangen erschwerten das Gehen.

Plötzlich stand Bol wieder, drängte zurück und knurrte. Rasch hob der Jäger
mit der Rechten das Gewehr zum Schuß. Mit der Linken griff er nach dem
Halsbande des Hundes, damit dieser nicht vorstürze und einem gefährlichen Tiere
in die Krallen oder zwischen die Zähne gerate.

Der Hund knurrte nochmals und sträubte das Haar. Da patschte es vor
ihnen und etwas Schweres entfernte sich in kurzem Galopp. Heiseres Knurren
ließ sich dabei vernehmen.

"Ah, nur ein Dachs! Vorwärts, Bol!"

Es wurde wieder trockener und bequemer zum Gehen. Der Hund schritt
schneller aus. Zwischen den Bäumen wurde es weniger dunkel. Wie Okolitsch
hinaufsah, verlor er den Boden unter den Füßen und fuhr eine steile Böschung
hinab, zum Glück aber nicht tief, und in demselben Schwunge taumelte er einen
ebenso steilen Hang hinauf. Er fühlte harten, steinigen Boden unter sich. Er war
auf der Chaussee.

Aber wie eisig pfiff hier der Wind aus Norden! Die nassen Kleider legten
sich wie Metallplatten an die Glieder. Bol war in wenigen Sekunden so befroren,
daß er bei jeder Bewegung mit den Eiszäpfchen an seinen langen Zotteln rasselte.

"Jetzt heißt es sich warmlaufen, Bol. Vorwärts!"

Hei, wie eilten die beiden dahin, der Jäger mit Schritten, von denen kaum
zwei auf einen Faden gingen, und der Hund mit lautem Gerassel im Trabe
nebenbei! Ehe sie es merkten, hatten sie den Wald hinter sich, und wieder nach
kurzer Zeit sahen sie in der Ferne verspätete Lichter des Fleckens.

Ein halbverdeckter, mit zwei großen Pferden bespannter Wagen kam in gleicher
Richtung hinter ihnen her und allmählich näher. Obschon die Pferde Trab liefen,
freilich kurz und schwerfällig, währte es geraume Zeit, ehe sie dem Jäger den
Vorsprung abgenommen.

"Jlja," rief in dem Wagen eine barsche Stimme, "wer läuft da nebenbei?"


Im Flecken

Der Hund ging plötzlich langsamer.

„Was hast du, Bol?"

Er blickte zum Herrn zurück, doch aus dem gelben Schimmer seiner Augen
ließ sich die Antwort nicht lesen. Noch einige Schritte machte er zögernd, dann
stand er still, Okolitsch bereitete sich für jeden Fall zum Schuß.

Mit einem Lärm, als fiele ein Holzstapel um, arbeiteten sich kurz vor ihnen
zwei oder drei Vögel vom Boden auf.

„Das waren Auerhühner, Bol. Vorwärts!"

Sie kamen auf höheres, welliges Land. Das Unterholz war hier lichter.
Der Jäger konnte schneller ausschreiten. Plötzlich machte Bol einen Satz, hielt
aber gleich an und kehrte sich zum Herrn. Die Augen glänzten Heller, und er
wedelte.

„Pfui, Bol, schäme dich. Wolltest einem Hasen nachlaufen! Vorwärts!"

Sie gingen jetzt auf einem trockenen Landstreifen. Links schimmerte zwischen
den Bäumen offenes Wasser, und rechts schimmerte ebenfalls offenes Wasser. Was,
zum Kuckuck, bedeutete das? Sollte der Jäger doch die Richtung verfehlt haben
und in die Zunge geraten sein, die etwa eine Werst rechts lag und in einen
Sumpf führte? Es schien fast so, denn der Boden senkte sich und knorrige Busch¬
stangen erschwerten das Gehen.

Plötzlich stand Bol wieder, drängte zurück und knurrte. Rasch hob der Jäger
mit der Rechten das Gewehr zum Schuß. Mit der Linken griff er nach dem
Halsbande des Hundes, damit dieser nicht vorstürze und einem gefährlichen Tiere
in die Krallen oder zwischen die Zähne gerate.

Der Hund knurrte nochmals und sträubte das Haar. Da patschte es vor
ihnen und etwas Schweres entfernte sich in kurzem Galopp. Heiseres Knurren
ließ sich dabei vernehmen.

„Ah, nur ein Dachs! Vorwärts, Bol!"

Es wurde wieder trockener und bequemer zum Gehen. Der Hund schritt
schneller aus. Zwischen den Bäumen wurde es weniger dunkel. Wie Okolitsch
hinaufsah, verlor er den Boden unter den Füßen und fuhr eine steile Böschung
hinab, zum Glück aber nicht tief, und in demselben Schwunge taumelte er einen
ebenso steilen Hang hinauf. Er fühlte harten, steinigen Boden unter sich. Er war
auf der Chaussee.

Aber wie eisig pfiff hier der Wind aus Norden! Die nassen Kleider legten
sich wie Metallplatten an die Glieder. Bol war in wenigen Sekunden so befroren,
daß er bei jeder Bewegung mit den Eiszäpfchen an seinen langen Zotteln rasselte.

„Jetzt heißt es sich warmlaufen, Bol. Vorwärts!"

Hei, wie eilten die beiden dahin, der Jäger mit Schritten, von denen kaum
zwei auf einen Faden gingen, und der Hund mit lautem Gerassel im Trabe
nebenbei! Ehe sie es merkten, hatten sie den Wald hinter sich, und wieder nach
kurzer Zeit sahen sie in der Ferne verspätete Lichter des Fleckens.

Ein halbverdeckter, mit zwei großen Pferden bespannter Wagen kam in gleicher
Richtung hinter ihnen her und allmählich näher. Obschon die Pferde Trab liefen,
freilich kurz und schwerfällig, währte es geraume Zeit, ehe sie dem Jäger den
Vorsprung abgenommen.

„Jlja," rief in dem Wagen eine barsche Stimme, „wer läuft da nebenbei?"


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[0091] Im Flecken Der Hund ging plötzlich langsamer. „Was hast du, Bol?" Er blickte zum Herrn zurück, doch aus dem gelben Schimmer seiner Augen ließ sich die Antwort nicht lesen. Noch einige Schritte machte er zögernd, dann stand er still, Okolitsch bereitete sich für jeden Fall zum Schuß. Mit einem Lärm, als fiele ein Holzstapel um, arbeiteten sich kurz vor ihnen zwei oder drei Vögel vom Boden auf. „Das waren Auerhühner, Bol. Vorwärts!" Sie kamen auf höheres, welliges Land. Das Unterholz war hier lichter. Der Jäger konnte schneller ausschreiten. Plötzlich machte Bol einen Satz, hielt aber gleich an und kehrte sich zum Herrn. Die Augen glänzten Heller, und er wedelte. „Pfui, Bol, schäme dich. Wolltest einem Hasen nachlaufen! Vorwärts!" Sie gingen jetzt auf einem trockenen Landstreifen. Links schimmerte zwischen den Bäumen offenes Wasser, und rechts schimmerte ebenfalls offenes Wasser. Was, zum Kuckuck, bedeutete das? Sollte der Jäger doch die Richtung verfehlt haben und in die Zunge geraten sein, die etwa eine Werst rechts lag und in einen Sumpf führte? Es schien fast so, denn der Boden senkte sich und knorrige Busch¬ stangen erschwerten das Gehen. Plötzlich stand Bol wieder, drängte zurück und knurrte. Rasch hob der Jäger mit der Rechten das Gewehr zum Schuß. Mit der Linken griff er nach dem Halsbande des Hundes, damit dieser nicht vorstürze und einem gefährlichen Tiere in die Krallen oder zwischen die Zähne gerate. Der Hund knurrte nochmals und sträubte das Haar. Da patschte es vor ihnen und etwas Schweres entfernte sich in kurzem Galopp. Heiseres Knurren ließ sich dabei vernehmen. „Ah, nur ein Dachs! Vorwärts, Bol!" Es wurde wieder trockener und bequemer zum Gehen. Der Hund schritt schneller aus. Zwischen den Bäumen wurde es weniger dunkel. Wie Okolitsch hinaufsah, verlor er den Boden unter den Füßen und fuhr eine steile Böschung hinab, zum Glück aber nicht tief, und in demselben Schwunge taumelte er einen ebenso steilen Hang hinauf. Er fühlte harten, steinigen Boden unter sich. Er war auf der Chaussee. Aber wie eisig pfiff hier der Wind aus Norden! Die nassen Kleider legten sich wie Metallplatten an die Glieder. Bol war in wenigen Sekunden so befroren, daß er bei jeder Bewegung mit den Eiszäpfchen an seinen langen Zotteln rasselte. „Jetzt heißt es sich warmlaufen, Bol. Vorwärts!" Hei, wie eilten die beiden dahin, der Jäger mit Schritten, von denen kaum zwei auf einen Faden gingen, und der Hund mit lautem Gerassel im Trabe nebenbei! Ehe sie es merkten, hatten sie den Wald hinter sich, und wieder nach kurzer Zeit sahen sie in der Ferne verspätete Lichter des Fleckens. Ein halbverdeckter, mit zwei großen Pferden bespannter Wagen kam in gleicher Richtung hinter ihnen her und allmählich näher. Obschon die Pferde Trab liefen, freilich kurz und schwerfällig, währte es geraume Zeit, ehe sie dem Jäger den Vorsprung abgenommen. „Jlja," rief in dem Wagen eine barsche Stimme, „wer läuft da nebenbei?"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/91>, abgerufen am 29.05.2024.