Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.Rcichsspi^gel stand, war, überhäuft mit gewerblicher Arbeit und nur immer sachlich bemüht, die Rcichsspi^gel stand, war, überhäuft mit gewerblicher Arbeit und nur immer sachlich bemüht, die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0213" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317826"/> <fw type="header" place="top"> Rcichsspi^gel</fw><lb/> <p xml:id="ID_1064" prev="#ID_1063" next="#ID_1065"> stand, war, überhäuft mit gewerblicher Arbeit und nur immer sachlich bemüht, die<lb/> wirtschaftlichen Organisationen und das Verkehrswesen bis ins feinste Glied aus¬<lb/> zugestalten, bis in die allerletzte Zeit hinein nicht zu einer gemeinsamen Organisation<lb/> zu bewegen. Ohne Doktrinarismus und wohl auch im Gefühl der persönlichen Kraft<lb/> hat er sich der Negierung anvertraut und sich um seine staatsbürgerlichen Rechte<lb/> nicht gekümmert. Solange an der Spitze der Regierung tatkräftige Männer<lb/> standen, die stets das Interesse des Ganzen mit dem der einzelnen zu vereinigen<lb/> verstanden, ging alles gut. Nachdem aber die soziale Gesetzgebung ebenso wie die<lb/> wirtschaftliche anfingen, einzelne Schichten zu bevorzugen, mußte der Rückschlag<lb/> eintreten. Das Bürgertum ist überholt worden von den Arbeitern, die von Anfang<lb/> an bewußt um politische Klassenrechte gekämpft haben, und von den Landwirten,<lb/> die politische Klassenrechte auf Grund historisch gewordener Verhältnisse schon lange<lb/> vor dem Bürgertum besessen haben. So ist es möglich geworden, daß das bürger¬<lb/> liche Unternehmertum durch die Gesetzgebung für das soziale Wohl der arbeitenden<lb/> Klassen so gut wie allen Einflusses auf diese verlustig gegangen ist, während die<lb/> Wirtschasts-, Finanz- und zum Teil auch die Verkehrspolitik immer mehr nach<lb/> einseitig großagrarischen Gesichtspunkten ausgestaltet wurde. Der Staatsmann,<lb/> der den Mangel innerhalb unserer sozialen Organisation zuerst erkannt hat, war<lb/> Fürst Bülow. Ein aufmerksamer Beobachter der Volkspsyche, ein vorsichtiger<lb/> Organisator der Volksstimmung, war der vierte Kanzler auch der kühne Führer,<lb/> der den Augenblick zum Angriff gegen die alten Verhältnisse kannte. Sein Feldzug<lb/> gegen alle stagnierenden Elemente, die vom Zentrum sich ausbreitend zersetzend<lb/> ins konservative Lager einbrachen, angefangen mit der Reichstagsauflösung von<lb/> 1906 bis zum Scheitern der Reichsfinanzreform, war so genial geführt, daß die<lb/> Historiker dieser Zeitspanne erstaunen werden über den Weitblick und die konsequente<lb/> Arbeit des „ewig liebenswürdigen Diplomaten". Auch die Annahme der einseitigen<lb/> Finanzreform und das Ausbleiben der Reichstagsauflösung im vorigen Jahre<lb/> dürften die nationalen Historiker als Klugheit preisen, sobald die dafür ma߬<lb/> gebenden Dokumente der Öffentlichkeit vorliegen werden. Der wichtigste Grund<lb/> für diesen Entschluß lag nicht in persönlichen Verhältnissen, wie vielfach angenommen<lb/> wurde, sondern in der Tatsache des Mangels einer bürgerlichen Organisation, die<lb/> mit der Reichsregierung gegen den Ansturm von rechts und links stehen konnte. Die<lb/> Regierung durfte, solange die politischen Elemente im Lande die gleichen blieben,<lb/> nicht damit rechnen, eine günstigere Zusammensetzung des Reichstages zu erzielen, es<lb/> sei denn, daß sie sich entschloß, mit der Sozialdemokratie zu paktieren. Der Nachfolger<lb/> des Fürsten Bülow ist damals von verschiedenen Seiten in der angedeuteten<lb/> Richtung gedrängt worden. Bismarck hätte es auch getan, wurde ihm entgegen<lb/> gehalten. Bethmann Hollweg hat, wie feststeht, im vollen Einverständnis<lb/> mit dem Fürsten Bülow den mühevolleren Weg gewählt, und die Erfahrung<lb/> lehrt, wie richtig Fürst Bülow gerechnet hat. Der Hansabund, der,<lb/> ein halbes Jahr früher geboren, den Fürsten Bülow vielleicht zum Bleiben<lb/> vermocht hätte, zeigte plötzlich aller Welt, daß das deutsche Bürgertum<lb/> auch bereit sei, politisch zu kämpfen. Welche gefährlichen Folgen ein solcher<lb/> Entschluß für viele Gewerbetreibende haben mußte, ist bekannt. Überall<lb/> setzte, vom Bunde der Landwirte organisiert, eine scharfe Boykottbewegung ein,<lb/> die Kaufleute und Handwerker aus dem Hansabunde treiben sollte. Dennoch sind</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0213]
Rcichsspi^gel
stand, war, überhäuft mit gewerblicher Arbeit und nur immer sachlich bemüht, die
wirtschaftlichen Organisationen und das Verkehrswesen bis ins feinste Glied aus¬
zugestalten, bis in die allerletzte Zeit hinein nicht zu einer gemeinsamen Organisation
zu bewegen. Ohne Doktrinarismus und wohl auch im Gefühl der persönlichen Kraft
hat er sich der Negierung anvertraut und sich um seine staatsbürgerlichen Rechte
nicht gekümmert. Solange an der Spitze der Regierung tatkräftige Männer
standen, die stets das Interesse des Ganzen mit dem der einzelnen zu vereinigen
verstanden, ging alles gut. Nachdem aber die soziale Gesetzgebung ebenso wie die
wirtschaftliche anfingen, einzelne Schichten zu bevorzugen, mußte der Rückschlag
eintreten. Das Bürgertum ist überholt worden von den Arbeitern, die von Anfang
an bewußt um politische Klassenrechte gekämpft haben, und von den Landwirten,
die politische Klassenrechte auf Grund historisch gewordener Verhältnisse schon lange
vor dem Bürgertum besessen haben. So ist es möglich geworden, daß das bürger¬
liche Unternehmertum durch die Gesetzgebung für das soziale Wohl der arbeitenden
Klassen so gut wie allen Einflusses auf diese verlustig gegangen ist, während die
Wirtschasts-, Finanz- und zum Teil auch die Verkehrspolitik immer mehr nach
einseitig großagrarischen Gesichtspunkten ausgestaltet wurde. Der Staatsmann,
der den Mangel innerhalb unserer sozialen Organisation zuerst erkannt hat, war
Fürst Bülow. Ein aufmerksamer Beobachter der Volkspsyche, ein vorsichtiger
Organisator der Volksstimmung, war der vierte Kanzler auch der kühne Führer,
der den Augenblick zum Angriff gegen die alten Verhältnisse kannte. Sein Feldzug
gegen alle stagnierenden Elemente, die vom Zentrum sich ausbreitend zersetzend
ins konservative Lager einbrachen, angefangen mit der Reichstagsauflösung von
1906 bis zum Scheitern der Reichsfinanzreform, war so genial geführt, daß die
Historiker dieser Zeitspanne erstaunen werden über den Weitblick und die konsequente
Arbeit des „ewig liebenswürdigen Diplomaten". Auch die Annahme der einseitigen
Finanzreform und das Ausbleiben der Reichstagsauflösung im vorigen Jahre
dürften die nationalen Historiker als Klugheit preisen, sobald die dafür ma߬
gebenden Dokumente der Öffentlichkeit vorliegen werden. Der wichtigste Grund
für diesen Entschluß lag nicht in persönlichen Verhältnissen, wie vielfach angenommen
wurde, sondern in der Tatsache des Mangels einer bürgerlichen Organisation, die
mit der Reichsregierung gegen den Ansturm von rechts und links stehen konnte. Die
Regierung durfte, solange die politischen Elemente im Lande die gleichen blieben,
nicht damit rechnen, eine günstigere Zusammensetzung des Reichstages zu erzielen, es
sei denn, daß sie sich entschloß, mit der Sozialdemokratie zu paktieren. Der Nachfolger
des Fürsten Bülow ist damals von verschiedenen Seiten in der angedeuteten
Richtung gedrängt worden. Bismarck hätte es auch getan, wurde ihm entgegen
gehalten. Bethmann Hollweg hat, wie feststeht, im vollen Einverständnis
mit dem Fürsten Bülow den mühevolleren Weg gewählt, und die Erfahrung
lehrt, wie richtig Fürst Bülow gerechnet hat. Der Hansabund, der,
ein halbes Jahr früher geboren, den Fürsten Bülow vielleicht zum Bleiben
vermocht hätte, zeigte plötzlich aller Welt, daß das deutsche Bürgertum
auch bereit sei, politisch zu kämpfen. Welche gefährlichen Folgen ein solcher
Entschluß für viele Gewerbetreibende haben mußte, ist bekannt. Überall
setzte, vom Bunde der Landwirte organisiert, eine scharfe Boykottbewegung ein,
die Kaufleute und Handwerker aus dem Hansabunde treiben sollte. Dennoch sind
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