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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Im Flecken

"Nein, Mamchen, sei unbesorgt; komm, sieh dir selbst an, was ich geleistet
habe, und du wirst sagen, das; ich eigentlich mehr hätte schaffen können."

Sie nahm seinen Arm, als er ihr dies und das zeigte, und sie lobte alles,
was er gemacht hatte, mit weicher, zärtlicher Stimme.

Wie schwer fiel es ihm, jetzt von seinen Zukunftsplänen zu sprechen, und
wie litt er bei dem Gedanken, dieser überaus tief empfindenden Frauenseele einen
Schmerz zufügen zu solle". Er blieb schweratmend stehen und sah sie bittend an:

"Mamchen, wollen wir noch ein wenig hin und her gehen? Wird es dich
nicht ermüden?"

Sie sah verwundert in sein plötzlich so ernst gewordenes Gesicht und fragte
ängstlich:

"Ja, was hast du denn, Borenka?"

"Komm, Maminka, komm; ich will dir etwas erzählen."

"Ach," meinte sie. "nicht wahr, es wird das sein, was dich die letzten Wochen
so verstimmt gemacht hat und was du mir bisher verschwiegen hast? Erzähle mir
alles, mein guter Junge, sprich dich nur aus, es wird dich erleichtern. Und ich
glaube fast, ich ahne es schon, Boris", setzte sie hinzu.

Überrascht hielt er den Atem an. Sollte sie wirklich vermuten, was und wer
in seinen Gedanken so ausschließlich lebte? Unmöglich! Er sah ihr erwartungsvoll
ins Auge. "Nun, Mamchen, was meinst du?"

Sie drohte lächelnd mit dem Finger. "Sage ehrlich, Boris, was hast du
gegen Schejins?! Hast du mit Olenka etwas gehabt? Habt ihr euch gezankt?
Das liebe Kind, sie leidet auch darunter, daß du in letzter Zeit so wenige Augen¬
blicke für sie und ihren Vater hast."

"Wirklich?" unterbrach er sie freudig erregt, "sagte sie das?" Dann aber
gleich wieder ruhiger werdend, fuhr er fort: "Nein, liebes Mamchen, du hast uicht
recht geraten; ich habe mich nicht mit Olga Andrejewna gezankt, sondern ich hatte
so viel über meine oder vielmehr über unsere Zukunft zu denken, daß mir für die
Zusammenkünfte mit Schejins so wenig Zeit blieb."

"Bist du nicht zufrieden mit deiner Stellung, Borenka, hast du vielleicht
Verdruß gehabt mit dem Schulkolleginm oder was sonst?"

"Nein, das alles nicht; du wirst es auch nicht erraten können, Mamchen.
Es ist etwas, das unser beider Leben betrifft."

Sie legte den Kopf fragend zur Seite und blickte ihn voll Erwartung an,
und er fuhr schonend in ruhigem Tone fort:

"Sage mal, würdest du mich sehr vermissen, wenn ich dich eine Zeitlang
allein ließe?"

"Borenka!" war es fast gleichzeitig von ihren Lippen gekommen, und erschreckt
hatte sie ihm die Hand auf die Schulter gelegt.

Boris blickte einen Augenblick ergriffen zu Boden. Es gab ihm einen Stich
durchs Herz, die Mutter so bekümmert zu sehen, und er verwünschte in dein Augen¬
blick seinen ganzen Plan. Aber was nützte es; heraus mußte es doch. Und er
erzählte ihr nun, mit dem Vorschlage des Staatsanwalts beginnend, was er in
stillen Stunden erwogen hatte, und wie er es ihr damals nicht habe mitteilen
wollen, um sie nicht zu erregen.


Im Flecken

„Nein, Mamchen, sei unbesorgt; komm, sieh dir selbst an, was ich geleistet
habe, und du wirst sagen, das; ich eigentlich mehr hätte schaffen können."

Sie nahm seinen Arm, als er ihr dies und das zeigte, und sie lobte alles,
was er gemacht hatte, mit weicher, zärtlicher Stimme.

Wie schwer fiel es ihm, jetzt von seinen Zukunftsplänen zu sprechen, und
wie litt er bei dem Gedanken, dieser überaus tief empfindenden Frauenseele einen
Schmerz zufügen zu solle». Er blieb schweratmend stehen und sah sie bittend an:

„Mamchen, wollen wir noch ein wenig hin und her gehen? Wird es dich
nicht ermüden?"

Sie sah verwundert in sein plötzlich so ernst gewordenes Gesicht und fragte
ängstlich:

„Ja, was hast du denn, Borenka?"

„Komm, Maminka, komm; ich will dir etwas erzählen."

„Ach," meinte sie. „nicht wahr, es wird das sein, was dich die letzten Wochen
so verstimmt gemacht hat und was du mir bisher verschwiegen hast? Erzähle mir
alles, mein guter Junge, sprich dich nur aus, es wird dich erleichtern. Und ich
glaube fast, ich ahne es schon, Boris", setzte sie hinzu.

Überrascht hielt er den Atem an. Sollte sie wirklich vermuten, was und wer
in seinen Gedanken so ausschließlich lebte? Unmöglich! Er sah ihr erwartungsvoll
ins Auge. „Nun, Mamchen, was meinst du?"

Sie drohte lächelnd mit dem Finger. „Sage ehrlich, Boris, was hast du
gegen Schejins?! Hast du mit Olenka etwas gehabt? Habt ihr euch gezankt?
Das liebe Kind, sie leidet auch darunter, daß du in letzter Zeit so wenige Augen¬
blicke für sie und ihren Vater hast."

„Wirklich?" unterbrach er sie freudig erregt, „sagte sie das?" Dann aber
gleich wieder ruhiger werdend, fuhr er fort: „Nein, liebes Mamchen, du hast uicht
recht geraten; ich habe mich nicht mit Olga Andrejewna gezankt, sondern ich hatte
so viel über meine oder vielmehr über unsere Zukunft zu denken, daß mir für die
Zusammenkünfte mit Schejins so wenig Zeit blieb."

„Bist du nicht zufrieden mit deiner Stellung, Borenka, hast du vielleicht
Verdruß gehabt mit dem Schulkolleginm oder was sonst?"

„Nein, das alles nicht; du wirst es auch nicht erraten können, Mamchen.
Es ist etwas, das unser beider Leben betrifft."

Sie legte den Kopf fragend zur Seite und blickte ihn voll Erwartung an,
und er fuhr schonend in ruhigem Tone fort:

„Sage mal, würdest du mich sehr vermissen, wenn ich dich eine Zeitlang
allein ließe?"

„Borenka!" war es fast gleichzeitig von ihren Lippen gekommen, und erschreckt
hatte sie ihm die Hand auf die Schulter gelegt.

Boris blickte einen Augenblick ergriffen zu Boden. Es gab ihm einen Stich
durchs Herz, die Mutter so bekümmert zu sehen, und er verwünschte in dein Augen¬
blick seinen ganzen Plan. Aber was nützte es; heraus mußte es doch. Und er
erzählte ihr nun, mit dem Vorschlage des Staatsanwalts beginnend, was er in
stillen Stunden erwogen hatte, und wie er es ihr damals nicht habe mitteilen
wollen, um sie nicht zu erregen.


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[0297] Im Flecken „Nein, Mamchen, sei unbesorgt; komm, sieh dir selbst an, was ich geleistet habe, und du wirst sagen, das; ich eigentlich mehr hätte schaffen können." Sie nahm seinen Arm, als er ihr dies und das zeigte, und sie lobte alles, was er gemacht hatte, mit weicher, zärtlicher Stimme. Wie schwer fiel es ihm, jetzt von seinen Zukunftsplänen zu sprechen, und wie litt er bei dem Gedanken, dieser überaus tief empfindenden Frauenseele einen Schmerz zufügen zu solle». Er blieb schweratmend stehen und sah sie bittend an: „Mamchen, wollen wir noch ein wenig hin und her gehen? Wird es dich nicht ermüden?" Sie sah verwundert in sein plötzlich so ernst gewordenes Gesicht und fragte ängstlich: „Ja, was hast du denn, Borenka?" „Komm, Maminka, komm; ich will dir etwas erzählen." „Ach," meinte sie. „nicht wahr, es wird das sein, was dich die letzten Wochen so verstimmt gemacht hat und was du mir bisher verschwiegen hast? Erzähle mir alles, mein guter Junge, sprich dich nur aus, es wird dich erleichtern. Und ich glaube fast, ich ahne es schon, Boris", setzte sie hinzu. Überrascht hielt er den Atem an. Sollte sie wirklich vermuten, was und wer in seinen Gedanken so ausschließlich lebte? Unmöglich! Er sah ihr erwartungsvoll ins Auge. „Nun, Mamchen, was meinst du?" Sie drohte lächelnd mit dem Finger. „Sage ehrlich, Boris, was hast du gegen Schejins?! Hast du mit Olenka etwas gehabt? Habt ihr euch gezankt? Das liebe Kind, sie leidet auch darunter, daß du in letzter Zeit so wenige Augen¬ blicke für sie und ihren Vater hast." „Wirklich?" unterbrach er sie freudig erregt, „sagte sie das?" Dann aber gleich wieder ruhiger werdend, fuhr er fort: „Nein, liebes Mamchen, du hast uicht recht geraten; ich habe mich nicht mit Olga Andrejewna gezankt, sondern ich hatte so viel über meine oder vielmehr über unsere Zukunft zu denken, daß mir für die Zusammenkünfte mit Schejins so wenig Zeit blieb." „Bist du nicht zufrieden mit deiner Stellung, Borenka, hast du vielleicht Verdruß gehabt mit dem Schulkolleginm oder was sonst?" „Nein, das alles nicht; du wirst es auch nicht erraten können, Mamchen. Es ist etwas, das unser beider Leben betrifft." Sie legte den Kopf fragend zur Seite und blickte ihn voll Erwartung an, und er fuhr schonend in ruhigem Tone fort: „Sage mal, würdest du mich sehr vermissen, wenn ich dich eine Zeitlang allein ließe?" „Borenka!" war es fast gleichzeitig von ihren Lippen gekommen, und erschreckt hatte sie ihm die Hand auf die Schulter gelegt. Boris blickte einen Augenblick ergriffen zu Boden. Es gab ihm einen Stich durchs Herz, die Mutter so bekümmert zu sehen, und er verwünschte in dein Augen¬ blick seinen ganzen Plan. Aber was nützte es; heraus mußte es doch. Und er erzählte ihr nun, mit dem Vorschlage des Staatsanwalts beginnend, was er in stillen Stunden erwogen hatte, und wie er es ihr damals nicht habe mitteilen wollen, um sie nicht zu erregen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/297>, abgerufen am 22.05.2024.