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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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dem Wissensdurst, dem Bildungshunger auf den verschiedensten Gebieten am besten
Rechnung.

Deklamationen wirken auf die Dauer leicht ermüdend, dagegen bringt das
Volk in allen Schichten und Altersstufen dem Theater außerordentliches Interesse
entgegen. Überraschend ist die häufige dramatische Begabung selbst in den untersten
Volksschichten.

Ein ausdrucksvolles, natürliches Mienen- und Gestenspiel, verbunden mit
einem begeisterten Hineinleben in die Rollen, läßt über manche Unbeholfenheit
hinwegsehen, ja das schlichte Spiel seiner Mitbürger steht dem einfachen Manne
des Volkes näher als das von der Natur schon oft recht weit entfernte Spiel
der Berufsschauspieler.

Gewöhnlich bilden szenische Darbietungen den Höhepunkt, den Schluß der
Volksunterhaltungsabende. Man sollte dem starken Drang zur dramatischen
Betätigung, wie er sich im Vereinsleben zeigt, um so mehr in den Volksabenden
Raum geben, als ja gut neun Zehntel des Volkes bisher vom Besuch eines "guten"
Theaters ausgeschlossen waren. Selbst Klein- und Mittelstädte mußten sich bisher noch
mit sehr zweifelhaft zusammengesetzten Wandertrupps begnügen. Dazu kommt ein
Spielstoff, der meist ganz auf den sensationellen Geschmack des Großstädters zu-
geschnitten ist. Noch fehlt es an Spielstoff von volkserzieherischem Wert für die
Volksbühne; aber man beobachtet doch, wie die banalen Schundstücke der Theater-
stückfabriken jetzt mehr und mehr zurückgedrängt werden durch gute Nachweise
volkstümlicher Stoffe, wie sie der Dürerbund, der Verein für Wohlfahrtspflege
auf dem Lande, der "Ratgeber der Jugend- und Volksbühne" (Leipzig, A. Strauch)
herausgeben.

Vortrefflich haben sich in den Volksunterhaltungsabenden szenische Vor¬
führungen (besonders Märchen) der Jugend eingeführt. Die Kleinen zeigen eine
ganz besondere Freude am Verwandeln und Darstellen, und die Eltern begleiten
ihre Vorführungen mit großer Teilnahme. Diese Jugendbühne kann die Volks-
bühne wirksam vorbereiten, wenn taktvolle Volkserzieher sich ihrer Leitung annehmen.

Hier ist ein Neuland für die führenden Intelligenzen aller Stände.

Der unserem Volke so unheilvollen Zersplitterung durch zahlreiche politische
und Jnteressenvereinigungen könnte sehr wohl in den "Volksunterhaltungsabenden"
ein Gegengewicht erstehen, wenn es gelingt, alle Vereine und Parteigruppen zum
gemeinsamen, einigen Mitwirken am "Volksabende" heranzuziehen. Nicht das
"Trennende", sondern das "Gemeinsame" soll in ihnen liebevolle Pflege erhalten.

Eine wesentliche Steigerung der Gesamtleistungen würde aus diesem edlen
Wettstreit hervorgehen, wenn der Grundsatz: Für das Volk ist das Beste gerade
gut genug! aller Volksunterhaltung vorangestellt würde.

Auf jeden Fall wird dieses Eintreten der Vereine für eine gemeinsame, groß
angelegte Volksnnterhaltung sie selbst aus der Enge ihrer bisherigen Tätigkeit
herausführen, sie für das Gemeinwohl empfänglicher, opferwilliger machen. Es
kommt alles darauf an, daß sich in Stadt und Land herzenswarme Volksfreunde
finden, die sich das Ziel setzen, unserem Volke wieder "echte" Lebensfreuden zu
vermitteln.




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dem Wissensdurst, dem Bildungshunger auf den verschiedensten Gebieten am besten
Rechnung.

Deklamationen wirken auf die Dauer leicht ermüdend, dagegen bringt das
Volk in allen Schichten und Altersstufen dem Theater außerordentliches Interesse
entgegen. Überraschend ist die häufige dramatische Begabung selbst in den untersten
Volksschichten.

Ein ausdrucksvolles, natürliches Mienen- und Gestenspiel, verbunden mit
einem begeisterten Hineinleben in die Rollen, läßt über manche Unbeholfenheit
hinwegsehen, ja das schlichte Spiel seiner Mitbürger steht dem einfachen Manne
des Volkes näher als das von der Natur schon oft recht weit entfernte Spiel
der Berufsschauspieler.

Gewöhnlich bilden szenische Darbietungen den Höhepunkt, den Schluß der
Volksunterhaltungsabende. Man sollte dem starken Drang zur dramatischen
Betätigung, wie er sich im Vereinsleben zeigt, um so mehr in den Volksabenden
Raum geben, als ja gut neun Zehntel des Volkes bisher vom Besuch eines „guten"
Theaters ausgeschlossen waren. Selbst Klein- und Mittelstädte mußten sich bisher noch
mit sehr zweifelhaft zusammengesetzten Wandertrupps begnügen. Dazu kommt ein
Spielstoff, der meist ganz auf den sensationellen Geschmack des Großstädters zu-
geschnitten ist. Noch fehlt es an Spielstoff von volkserzieherischem Wert für die
Volksbühne; aber man beobachtet doch, wie die banalen Schundstücke der Theater-
stückfabriken jetzt mehr und mehr zurückgedrängt werden durch gute Nachweise
volkstümlicher Stoffe, wie sie der Dürerbund, der Verein für Wohlfahrtspflege
auf dem Lande, der „Ratgeber der Jugend- und Volksbühne" (Leipzig, A. Strauch)
herausgeben.

Vortrefflich haben sich in den Volksunterhaltungsabenden szenische Vor¬
führungen (besonders Märchen) der Jugend eingeführt. Die Kleinen zeigen eine
ganz besondere Freude am Verwandeln und Darstellen, und die Eltern begleiten
ihre Vorführungen mit großer Teilnahme. Diese Jugendbühne kann die Volks-
bühne wirksam vorbereiten, wenn taktvolle Volkserzieher sich ihrer Leitung annehmen.

Hier ist ein Neuland für die führenden Intelligenzen aller Stände.

Der unserem Volke so unheilvollen Zersplitterung durch zahlreiche politische
und Jnteressenvereinigungen könnte sehr wohl in den „Volksunterhaltungsabenden"
ein Gegengewicht erstehen, wenn es gelingt, alle Vereine und Parteigruppen zum
gemeinsamen, einigen Mitwirken am „Volksabende" heranzuziehen. Nicht das
„Trennende", sondern das „Gemeinsame" soll in ihnen liebevolle Pflege erhalten.

Eine wesentliche Steigerung der Gesamtleistungen würde aus diesem edlen
Wettstreit hervorgehen, wenn der Grundsatz: Für das Volk ist das Beste gerade
gut genug! aller Volksunterhaltung vorangestellt würde.

Auf jeden Fall wird dieses Eintreten der Vereine für eine gemeinsame, groß
angelegte Volksnnterhaltung sie selbst aus der Enge ihrer bisherigen Tätigkeit
herausführen, sie für das Gemeinwohl empfänglicher, opferwilliger machen. Es
kommt alles darauf an, daß sich in Stadt und Land herzenswarme Volksfreunde
finden, die sich das Ziel setzen, unserem Volke wieder „echte" Lebensfreuden zu
vermitteln.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/50>, abgerufen am 17.06.2024.