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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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glaubt, die Wirkung dieses Gesetzes abfällig beurteilen zu müssen, weil sie indirekt
zu einer Überproduktion führen müsse. An dieser Tatsache selbst ist insoweit
nicht zu zweifeln, als zu den achtundsechzig Werken, die bei Inkrafttreten des
Kaligesetzes vorhanden waren, nach Ablauf der Karenzzeit noch etwa hundert¬
dreißig neue hinzutreten werden. Man wird sich aber erinnern, daß der ursprüng¬
liche Gesetzentwurf die Gefahr der Überproduktion beseitigen wollte und daß
nur am Widerspruch der Parteien diese Absicht gescheitert ist. Nachdem nunmehr
das Gesetz diese unvollkommene Gestalt erhalten hat, wird es sich also fragen,
ob der Gefahr einer Überproduktion durch eine entsprechende Steigerung des
Kaliabsatzes begegnet werden kann. Die Meinungen hierüber sind geteilt;
immerhin hat schon das letzte Jahr eine Steigerung der Ausfuhr um etwa
34 Millionen Mark -- einschließlich der außersyndikatlichen Verkäufe -- gebracht,
und auch die ersten drei Monate des laufenden Jahres weisen eine weitere
Zunahme auf. Die Exportmöglichkeit ist, da es sich um ein natürliches
Monopol Deutschlands handelt, nahezu unbegrenzt, und es wird daher haupt¬
sächlich von der Propaganda abhängen, ob unserer Kaliindustrie neue Absatz¬
gebiete in ausreichendem Maße erschlossen werden können. Die Aussichten hierfür
sind günstige; gehört doch beispielsweise die Union, die am meisten Kalisalze
aus Deutschland bezieht -- etwa die Hälfte der Ausfuhrmenge --, noch zu den
Ländern, deren relativer Verbrauch sehr gering ist und unter dem Durchschnitt
steht. Die bedeutenden Summen, die das Kalisyndikat für die Propaganda
ausgibt, werden und müssen daher ihre Früchte tragen. Bedauerlich ist nur,
daß die Verwendung dieser Propagandagelder, eine rein wirtschaftliche Frage,
kürzlich zum Gegenstand eines heftigen politischen Streites geworden ist. Man
kann darüber verschiedener Meinung sein, ob die Zuwendung von Propaganda¬
geldern an den Bund der Landwirte politisch klug war oder nicht. Kein Zweifel
aber ist, daß die Agitation der extremen Linken, die sich veranlaßt sah, deshalb
die ganze Maßregel dieser Propandagelder anzugreifen und mit dem Namen von
Kali-Schmiergeldern zu belegen, weit über das Ziel hinausschoß.

Es hat kürzlich Aufsehen erregt, daß die Firma Stinnes einen erheblichen
Teil des Berliner Kohlenhandels ihren Interessen dienstbar zu machen ver¬
standen hat, indem sie eine Anzahl bisher selbständiger Firmen zu einer größeren
Aktiengesellschaft vereinte. Dieser Versuch, auf einen überwiegenden Teil des
Berliner Kohlenhandels die Hand zu legen, hängt mit dem zunehmenden Ver¬
brauch der englischen Kohle in den deutschen Großstädten zusammen. Während
nämlich der Anteil der rheinisch-westfälischen Kohlenproduktiou an der Ver¬
sorgung der Städte in ständiger Abnahme begriffen ist, zeigt der Verbrauch
englischer Kohle rasch wachsende Ziffern. Schon erreicht der letztere die volle
Höhe des anteiligen Absatzes der schlesischen Kohle -- nämlich 17 Prozent --,
während der Anteil des Kohlensvndikats auf 29 Prozent herabgegangen ist.
Es ist.also erklärlich, wenn die rheinisch-westfälische Kohlenindustrie sich bemüht,
das verlorene Terrain wiederzugewinnen; sie beansprucht zu diesem Zwecke sogar


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glaubt, die Wirkung dieses Gesetzes abfällig beurteilen zu müssen, weil sie indirekt
zu einer Überproduktion führen müsse. An dieser Tatsache selbst ist insoweit
nicht zu zweifeln, als zu den achtundsechzig Werken, die bei Inkrafttreten des
Kaligesetzes vorhanden waren, nach Ablauf der Karenzzeit noch etwa hundert¬
dreißig neue hinzutreten werden. Man wird sich aber erinnern, daß der ursprüng¬
liche Gesetzentwurf die Gefahr der Überproduktion beseitigen wollte und daß
nur am Widerspruch der Parteien diese Absicht gescheitert ist. Nachdem nunmehr
das Gesetz diese unvollkommene Gestalt erhalten hat, wird es sich also fragen,
ob der Gefahr einer Überproduktion durch eine entsprechende Steigerung des
Kaliabsatzes begegnet werden kann. Die Meinungen hierüber sind geteilt;
immerhin hat schon das letzte Jahr eine Steigerung der Ausfuhr um etwa
34 Millionen Mark — einschließlich der außersyndikatlichen Verkäufe — gebracht,
und auch die ersten drei Monate des laufenden Jahres weisen eine weitere
Zunahme auf. Die Exportmöglichkeit ist, da es sich um ein natürliches
Monopol Deutschlands handelt, nahezu unbegrenzt, und es wird daher haupt¬
sächlich von der Propaganda abhängen, ob unserer Kaliindustrie neue Absatz¬
gebiete in ausreichendem Maße erschlossen werden können. Die Aussichten hierfür
sind günstige; gehört doch beispielsweise die Union, die am meisten Kalisalze
aus Deutschland bezieht — etwa die Hälfte der Ausfuhrmenge —, noch zu den
Ländern, deren relativer Verbrauch sehr gering ist und unter dem Durchschnitt
steht. Die bedeutenden Summen, die das Kalisyndikat für die Propaganda
ausgibt, werden und müssen daher ihre Früchte tragen. Bedauerlich ist nur,
daß die Verwendung dieser Propagandagelder, eine rein wirtschaftliche Frage,
kürzlich zum Gegenstand eines heftigen politischen Streites geworden ist. Man
kann darüber verschiedener Meinung sein, ob die Zuwendung von Propaganda¬
geldern an den Bund der Landwirte politisch klug war oder nicht. Kein Zweifel
aber ist, daß die Agitation der extremen Linken, die sich veranlaßt sah, deshalb
die ganze Maßregel dieser Propandagelder anzugreifen und mit dem Namen von
Kali-Schmiergeldern zu belegen, weit über das Ziel hinausschoß.

Es hat kürzlich Aufsehen erregt, daß die Firma Stinnes einen erheblichen
Teil des Berliner Kohlenhandels ihren Interessen dienstbar zu machen ver¬
standen hat, indem sie eine Anzahl bisher selbständiger Firmen zu einer größeren
Aktiengesellschaft vereinte. Dieser Versuch, auf einen überwiegenden Teil des
Berliner Kohlenhandels die Hand zu legen, hängt mit dem zunehmenden Ver¬
brauch der englischen Kohle in den deutschen Großstädten zusammen. Während
nämlich der Anteil der rheinisch-westfälischen Kohlenproduktiou an der Ver¬
sorgung der Städte in ständiger Abnahme begriffen ist, zeigt der Verbrauch
englischer Kohle rasch wachsende Ziffern. Schon erreicht der letztere die volle
Höhe des anteiligen Absatzes der schlesischen Kohle — nämlich 17 Prozent —,
während der Anteil des Kohlensvndikats auf 29 Prozent herabgegangen ist.
Es ist.also erklärlich, wenn die rheinisch-westfälische Kohlenindustrie sich bemüht,
das verlorene Terrain wiederzugewinnen; sie beansprucht zu diesem Zwecke sogar


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/58>, abgerufen am 17.06.2024.