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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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gewählt vor Götzen, Grumme, Wiegand und Helfferich (Paasche kam ernsthaft
wohl kaum in Frage), die die Last und Verantwortung des neuen Amtes in
weiser Abschätzung ihres gewiß großen Könnens nicht zu übernehmen wagten.
Und wieder wird der Posten ausgeboten, und neben Helfferichs klangvollen
Namen werden Dr. Sols und Freiherr v. Rechenberg genannt. Vor Rechenberg
bewahre uns der Herr Reichskanzler, -- ein Mann für SpezialMissionen
geringeren Umfangs beim Großfürsten Ssergej in Moskau oder beim Warschauer
Generalgouvemeur wohl geeignet, kein Organisator großen Stils. Dr. Sols,
ein Mann, der Feinde hat, offene Feinde -- das deutet auf einen offenen
Kämpfer. Für unsere Zeit eine Seltenheit, die man schon deshalb nicht ans
den Augen verlieren sollte. -- Helfferich ist unter den Dreien der Musterknabe:
Bülows und Richthofens Vertrauensmann, ein wissenschaftlich fein durchgebildeter
Kopf, dessen "Finanzkräfte Rußlands" diesseits und jenseits unserer Ostgrenze
berechtigtes Aufsehen erregte, und dessen diplomatischem Geschick es wohl in erster
Linie gelang, den widerstrebenden Herrn v. Lindequist in das durch den General
v. Trotha devastierte und terrorisierte Südwestafrika zu ziehen, -- der auch
wertvolle Dienste bei der jüngsten Regelung der Bagdadbahn- und Marokko¬
frage leistete. Ob dieser Fachkundige den Posten übernimmt? Oder wird er
gleich Wiegand antworten: "Daß ich an dieser Stelle (an der Spitze des Bremer
Lloyd) glücklich und mit Erfolg gearbeitet habe, darf für mich nicht als Beweis
gelten, daß ich auch imstande bin, die außerordentlich schwierigen Aufgaben zu
lösen, welche der Hand des Staatssekretärs harren..."

Als damals imNovember1905 die Umwandlung derKolonialabteilung
in das Kolonialamt vollzogen werden sollte, geschah es unter dem Druck des Zentrums
und nicht als konsequente Folge einer inneren Entwicklung. Der Augenblick zur
Loslösung der Kolonialabteilung vom Auswärtigen Amt war deshalb auch so un¬
glücklich wie nur möglich gewählt. Herr v. Stubet, der Kolonialdirektor, war durch
den aufreibenden Kampf gegen Trotha und Leutwein nur unter Anspannung seiner
letzten Energie imstande, den Geschäftsgang aufrecht zu halten. Graf Götzen,
der -- vom Zentrum willkommen geheißen -- ihn entlasten und später beerben
sollte, wurde durch unvermutet ausgebrochene Aufstände in Afrika festgehalten;
General v. Trotha kümmerte sich bei seinem Vorgehen gegen die "Kapitäne"
um keinerlei Weisung, gleichgültig von wem sie kam, und warf eine Million nach
der andern in den afrikanischen Busch. Der Generalstab forderte den sofortigen
Bau der Bahn Lüderitzbucht--Kubub; Unterstaatssekretär Twele aber hielt die
Taschen zu und blickte sorgenvoll auf den Reichstag. Zivilbeamte und Offiziere
standen einander in zwei feindliche Lager gespalten gegenüber.

Angesichts dieser Verhältnisse, die dem verstorbenen Generaldirektor des
Norddeutschen Lloyds nicht unbekannt gewesen sein mögen, hat dieser an
den Vermittler geschrieben, der ihm das dornenvolle Amt wiederholt anbot:

"Nach Abgang meines heutigen Briefes empfing ich Ihre so überaus liebens¬
würdigen Zeilen vom gestrigen Tage, die mir das Herz recht schwer gemacht


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gewählt vor Götzen, Grumme, Wiegand und Helfferich (Paasche kam ernsthaft
wohl kaum in Frage), die die Last und Verantwortung des neuen Amtes in
weiser Abschätzung ihres gewiß großen Könnens nicht zu übernehmen wagten.
Und wieder wird der Posten ausgeboten, und neben Helfferichs klangvollen
Namen werden Dr. Sols und Freiherr v. Rechenberg genannt. Vor Rechenberg
bewahre uns der Herr Reichskanzler, — ein Mann für SpezialMissionen
geringeren Umfangs beim Großfürsten Ssergej in Moskau oder beim Warschauer
Generalgouvemeur wohl geeignet, kein Organisator großen Stils. Dr. Sols,
ein Mann, der Feinde hat, offene Feinde — das deutet auf einen offenen
Kämpfer. Für unsere Zeit eine Seltenheit, die man schon deshalb nicht ans
den Augen verlieren sollte. — Helfferich ist unter den Dreien der Musterknabe:
Bülows und Richthofens Vertrauensmann, ein wissenschaftlich fein durchgebildeter
Kopf, dessen „Finanzkräfte Rußlands" diesseits und jenseits unserer Ostgrenze
berechtigtes Aufsehen erregte, und dessen diplomatischem Geschick es wohl in erster
Linie gelang, den widerstrebenden Herrn v. Lindequist in das durch den General
v. Trotha devastierte und terrorisierte Südwestafrika zu ziehen, — der auch
wertvolle Dienste bei der jüngsten Regelung der Bagdadbahn- und Marokko¬
frage leistete. Ob dieser Fachkundige den Posten übernimmt? Oder wird er
gleich Wiegand antworten: „Daß ich an dieser Stelle (an der Spitze des Bremer
Lloyd) glücklich und mit Erfolg gearbeitet habe, darf für mich nicht als Beweis
gelten, daß ich auch imstande bin, die außerordentlich schwierigen Aufgaben zu
lösen, welche der Hand des Staatssekretärs harren..."

Als damals imNovember1905 die Umwandlung derKolonialabteilung
in das Kolonialamt vollzogen werden sollte, geschah es unter dem Druck des Zentrums
und nicht als konsequente Folge einer inneren Entwicklung. Der Augenblick zur
Loslösung der Kolonialabteilung vom Auswärtigen Amt war deshalb auch so un¬
glücklich wie nur möglich gewählt. Herr v. Stubet, der Kolonialdirektor, war durch
den aufreibenden Kampf gegen Trotha und Leutwein nur unter Anspannung seiner
letzten Energie imstande, den Geschäftsgang aufrecht zu halten. Graf Götzen,
der — vom Zentrum willkommen geheißen — ihn entlasten und später beerben
sollte, wurde durch unvermutet ausgebrochene Aufstände in Afrika festgehalten;
General v. Trotha kümmerte sich bei seinem Vorgehen gegen die „Kapitäne"
um keinerlei Weisung, gleichgültig von wem sie kam, und warf eine Million nach
der andern in den afrikanischen Busch. Der Generalstab forderte den sofortigen
Bau der Bahn Lüderitzbucht—Kubub; Unterstaatssekretär Twele aber hielt die
Taschen zu und blickte sorgenvoll auf den Reichstag. Zivilbeamte und Offiziere
standen einander in zwei feindliche Lager gespalten gegenüber.

Angesichts dieser Verhältnisse, die dem verstorbenen Generaldirektor des
Norddeutschen Lloyds nicht unbekannt gewesen sein mögen, hat dieser an
den Vermittler geschrieben, der ihm das dornenvolle Amt wiederholt anbot:

„Nach Abgang meines heutigen Briefes empfing ich Ihre so überaus liebens¬
würdigen Zeilen vom gestrigen Tage, die mir das Herz recht schwer gemacht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/423>, abgerufen am 17.06.2024.