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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Volksdichtungen aus Lapri
Wie blumenlos April Slpril nicht bliebe,
So Liebe ohne Küsse keine Liebe!

12.

Zum Schluß ein recht eigentliches Tanzlied, das der Freude an der Tarantella
selbst seinen Ursprung verdankt und beim Tanzen von den Zuschauern, deren
Schaulust es ausdrückt, gesungen wurde:

Lune a balloriÄ belle träte e shore!
Uno e l'ureseo e'nata e l'alisim.
tius In port' in ??ucnero imbiett,
'I^alö porta ki eumpietti immsno.
p^rsno eine vsielie rinto in muolo,
()uanno e buon tiempo, rurmirs a in sole.

si'ureseo ^-'I sclesLO; 'usw ^ uns sltra; imbiett----in petto; Lumpietti----eonketti;
vgrelie bsrclie)

Wer, Bruder oder Schwester, tanzt hier schmucker?
Er deutsch, sie aus Italiens Geländen.
Sie trägt im Busen Wohl ein Herz von Zucker,
Der andre hält Confetti in den Händen.
Zwei Barken gleichend schaukeln sie im Hafen,
Die, ist schön Wetter, in der Sonne schlafen.

Wohl erfreut sich die mundartliche Kanzonendichtung in ganz Unteritalien
noch heute großer Beliebtheit; wohl strebt darin namentlich das weithin herrschende
Neapolitanische immer noch neue Weisen zu erfinden, die man aus den heiseren
Kehlen "fahrender Sänger" oft genug auch in Sorrent und Capri vernimmt, aber
vergebens sucht man darin die ans der Tiefe der Volksseele entspringende naive
Kraft und Frische und den unerschöpflichen Reichtum an wahrhaft volkstümlichen,
wenn auch mitunter ziemlich derben Motiven, Gedanken und Bildern, wie sie uns
gleich einem teuren Vermächtnis vergangener Tage erhalten blieben in jenen älteren,
bloß von wenigen pietätvollen Seelen noch treu bewahrten Tarantella-Kanzonen.

An Goethes bekannte Erzählung vom Hufeisen erinnert eine anmutige Legende, die
diesen Teil meiner Mitteilungen in schlichtemdentschenVersgewandeabschließen mögen.

Die Jünger und die Steine
Einst ging der Herr im Sonnenbrand
Mit seinen Jüngern über Land.
Da lagen Steine auf demi Wege.
Und Jesus sprach in seiner Weise:
"Ein jeder trage einen Stein!
Ihr könnt sie brauchen auf der Reise." Die Jünger waren auch nicht träge
Und steckten sie gehorsam ein,
Just, wie sie waren, groß und klein.
Den allerkleinsten aber trug
Se. Peter, der besonders klug
In allen Stücken wollte sein. Wie sie nun lange Zeit schon gingen
Und allen schier die Köpfe hingen

Volksdichtungen aus Lapri
Wie blumenlos April Slpril nicht bliebe,
So Liebe ohne Küsse keine Liebe!

12.

Zum Schluß ein recht eigentliches Tanzlied, das der Freude an der Tarantella
selbst seinen Ursprung verdankt und beim Tanzen von den Zuschauern, deren
Schaulust es ausdrückt, gesungen wurde:

Lune a balloriÄ belle träte e shore!
Uno e l'ureseo e'nata e l'alisim.
tius In port' in ??ucnero imbiett,
'I^alö porta ki eumpietti immsno.
p^rsno eine vsielie rinto in muolo,
()uanno e buon tiempo, rurmirs a in sole.

si'ureseo ^-'I sclesLO; 'usw ^ uns sltra; imbiett----in petto; Lumpietti----eonketti;
vgrelie bsrclie)

Wer, Bruder oder Schwester, tanzt hier schmucker?
Er deutsch, sie aus Italiens Geländen.
Sie trägt im Busen Wohl ein Herz von Zucker,
Der andre hält Confetti in den Händen.
Zwei Barken gleichend schaukeln sie im Hafen,
Die, ist schön Wetter, in der Sonne schlafen.

Wohl erfreut sich die mundartliche Kanzonendichtung in ganz Unteritalien
noch heute großer Beliebtheit; wohl strebt darin namentlich das weithin herrschende
Neapolitanische immer noch neue Weisen zu erfinden, die man aus den heiseren
Kehlen „fahrender Sänger" oft genug auch in Sorrent und Capri vernimmt, aber
vergebens sucht man darin die ans der Tiefe der Volksseele entspringende naive
Kraft und Frische und den unerschöpflichen Reichtum an wahrhaft volkstümlichen,
wenn auch mitunter ziemlich derben Motiven, Gedanken und Bildern, wie sie uns
gleich einem teuren Vermächtnis vergangener Tage erhalten blieben in jenen älteren,
bloß von wenigen pietätvollen Seelen noch treu bewahrten Tarantella-Kanzonen.

An Goethes bekannte Erzählung vom Hufeisen erinnert eine anmutige Legende, die
diesen Teil meiner Mitteilungen in schlichtemdentschenVersgewandeabschließen mögen.

Die Jünger und die Steine
Einst ging der Herr im Sonnenbrand
Mit seinen Jüngern über Land.
Da lagen Steine auf demi Wege.
Und Jesus sprach in seiner Weise:
„Ein jeder trage einen Stein!
Ihr könnt sie brauchen auf der Reise." Die Jünger waren auch nicht träge
Und steckten sie gehorsam ein,
Just, wie sie waren, groß und klein.
Den allerkleinsten aber trug
Se. Peter, der besonders klug
In allen Stücken wollte sein. Wie sie nun lange Zeit schon gingen
Und allen schier die Köpfe hingen

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[0515] Volksdichtungen aus Lapri Wie blumenlos April Slpril nicht bliebe, So Liebe ohne Küsse keine Liebe! 12. Zum Schluß ein recht eigentliches Tanzlied, das der Freude an der Tarantella selbst seinen Ursprung verdankt und beim Tanzen von den Zuschauern, deren Schaulust es ausdrückt, gesungen wurde: Lune a balloriÄ belle träte e shore! Uno e l'ureseo e'nata e l'alisim. tius In port' in ??ucnero imbiett, 'I^alö porta ki eumpietti immsno. p^rsno eine vsielie rinto in muolo, ()uanno e buon tiempo, rurmirs a in sole. si'ureseo ^-'I sclesLO; 'usw ^ uns sltra; imbiett----in petto; Lumpietti----eonketti; vgrelie bsrclie) Wer, Bruder oder Schwester, tanzt hier schmucker? Er deutsch, sie aus Italiens Geländen. Sie trägt im Busen Wohl ein Herz von Zucker, Der andre hält Confetti in den Händen. Zwei Barken gleichend schaukeln sie im Hafen, Die, ist schön Wetter, in der Sonne schlafen. Wohl erfreut sich die mundartliche Kanzonendichtung in ganz Unteritalien noch heute großer Beliebtheit; wohl strebt darin namentlich das weithin herrschende Neapolitanische immer noch neue Weisen zu erfinden, die man aus den heiseren Kehlen „fahrender Sänger" oft genug auch in Sorrent und Capri vernimmt, aber vergebens sucht man darin die ans der Tiefe der Volksseele entspringende naive Kraft und Frische und den unerschöpflichen Reichtum an wahrhaft volkstümlichen, wenn auch mitunter ziemlich derben Motiven, Gedanken und Bildern, wie sie uns gleich einem teuren Vermächtnis vergangener Tage erhalten blieben in jenen älteren, bloß von wenigen pietätvollen Seelen noch treu bewahrten Tarantella-Kanzonen. An Goethes bekannte Erzählung vom Hufeisen erinnert eine anmutige Legende, die diesen Teil meiner Mitteilungen in schlichtemdentschenVersgewandeabschließen mögen. Die Jünger und die Steine Einst ging der Herr im Sonnenbrand Mit seinen Jüngern über Land. Da lagen Steine auf demi Wege. Und Jesus sprach in seiner Weise: „Ein jeder trage einen Stein! Ihr könnt sie brauchen auf der Reise." Die Jünger waren auch nicht träge Und steckten sie gehorsam ein, Just, wie sie waren, groß und klein. Den allerkleinsten aber trug Se. Peter, der besonders klug In allen Stücken wollte sein. Wie sie nun lange Zeit schon gingen Und allen schier die Köpfe hingen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/515>, abgerufen am 10.06.2024.