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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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William James' Angriff auf das deutsche Geisteswesen

viel mehr wundern." Lord Grenville habe von Kants Philosophie kein
Wort verstanden und Wilberforce auch nicht, und Mackintosh habe sich wütend
über "diese verwünschte deutsche Philosophie" geäußert.

Es ist offensichtlich, daß diese Äußerungen sehr viel mehr von den betreffen¬
den Engländern und Schotten selbst verraten als von der kantischen Philosophie.
Aber gerade das will James. Er will trotz englischer und amerikanischer
Kantianer beweisen, daß der englische Verstand im Grunde für ganz andere
Dinge gemacht sei. Und freilich dann auch, daß damit schon ein Urteil über
die kantische Philosophie selbst gefällt sei. Denn, wie viele seiner Landsleute,
schaut James aller Orten zu England auf, als dem Musterbilde, nach dem
Amerika gestaltet werden müßte. Jeder deutsche Einfluß erscheint ihm dagegen
als "QermÄN invasion". Amerika den Engländern! -- Doch davon später.

Von Kant zu Hegel. Die Philosophie Hegels gehörte in James Augen
noch weit mehr als die Kantische Philosophie zu der gefahrdrohenden "Qerman
invÄ8ion". Fast Zeit seines Lebens richtete James gerade gegen Hegel und
Hegels Einfluß in den Ländern englisch redender Zunge seinen erbitterten An¬
griff. So im bitterbösen Aufsatz über die "Hegelei" vom Jahre 1885. So
vierundzwanzig Jahre später in der gewiß nicht freundlicher gesinnten Vorlesung
über "Hegel und sein Verfahren" im "Pluralistischen Weltall" von: Jahre 1909.
"Hegels Philosophie", schreibt James in jenem früheren Aufsatz, "enthält berge¬
schwere Verderbnis bei spärlichen Verdiensten, und muß sich, da sie jetzt sozu¬
sagen amtlich geworden ist, zur Verteidigung nicht minder bereit halten als
zum Angriff auf andere. Nicht um unabhängige Denker zu bekehren, sondern
nur in dem Bestreben, jugendlichen Studenten zu zeigen, daß es andere Stand¬
punkte in der Philosophie wirklich gibt, feuere ich diesen Plänkelschuß ab, in
der Hoffnung, daß ein anderer bald schwereres Musketenfeiler anwenden wird."

Das erhoffte "schwerere Musketenfeuer" ist jedoch niemals gekommen, und
so zeigt uns das Jahr 1909 William James noch auf demselben Fleck wie das
Jahr 1885. Noch immer herrscht bei ihm die Mißstimmung des erfolglosen
Angreifers. Ein Beispiel statt vieler. "Was andere als eine unerträgliche
Vieldeutigkeit empfinden", so schreibt er im "Pluralistischen Weltall", "als
Wortschwall und Gewissenlosigkeit in des Meisters Art, die Tatsachen abzuleiten,
das wird er (der Hegelianer) voraussichtlich der .Schwierigkeit' zuschreiben, die
gewöhnlich solche Tiefsinnigkeiten begleitet. Göttliche Orakel sind bekanntlich
immer schwer auszulegen. Ich für mein Teil finde bei einem Stil, der so
wenig den ersten Regeln gesunder Zwiesprache zwischen Geistern gehorcht, etwas
Verschrobenes und Albernes in dem Anspruch, die maßgebende Muttersprache
der Vernunft zu werden, und genauer wie andere Schreibweisen mit dem eigenen
Denkwege des Absoluten Schritt zu halten. Ich nehme daher Hegels Fach-
spmchentum überhaupt nicht ernst. Ich betrachte ihn vielmehr als einen jener
zahlreichen urwüchsigen Seher, die niemals vernünftig sprechen lernen. Seine
vorgeblich zwingende Logik ist in meinen Augen wertlos."


William James' Angriff auf das deutsche Geisteswesen

viel mehr wundern." Lord Grenville habe von Kants Philosophie kein
Wort verstanden und Wilberforce auch nicht, und Mackintosh habe sich wütend
über „diese verwünschte deutsche Philosophie" geäußert.

Es ist offensichtlich, daß diese Äußerungen sehr viel mehr von den betreffen¬
den Engländern und Schotten selbst verraten als von der kantischen Philosophie.
Aber gerade das will James. Er will trotz englischer und amerikanischer
Kantianer beweisen, daß der englische Verstand im Grunde für ganz andere
Dinge gemacht sei. Und freilich dann auch, daß damit schon ein Urteil über
die kantische Philosophie selbst gefällt sei. Denn, wie viele seiner Landsleute,
schaut James aller Orten zu England auf, als dem Musterbilde, nach dem
Amerika gestaltet werden müßte. Jeder deutsche Einfluß erscheint ihm dagegen
als „QermÄN invasion". Amerika den Engländern! — Doch davon später.

Von Kant zu Hegel. Die Philosophie Hegels gehörte in James Augen
noch weit mehr als die Kantische Philosophie zu der gefahrdrohenden „Qerman
invÄ8ion". Fast Zeit seines Lebens richtete James gerade gegen Hegel und
Hegels Einfluß in den Ländern englisch redender Zunge seinen erbitterten An¬
griff. So im bitterbösen Aufsatz über die „Hegelei" vom Jahre 1885. So
vierundzwanzig Jahre später in der gewiß nicht freundlicher gesinnten Vorlesung
über „Hegel und sein Verfahren" im „Pluralistischen Weltall" von: Jahre 1909.
„Hegels Philosophie", schreibt James in jenem früheren Aufsatz, „enthält berge¬
schwere Verderbnis bei spärlichen Verdiensten, und muß sich, da sie jetzt sozu¬
sagen amtlich geworden ist, zur Verteidigung nicht minder bereit halten als
zum Angriff auf andere. Nicht um unabhängige Denker zu bekehren, sondern
nur in dem Bestreben, jugendlichen Studenten zu zeigen, daß es andere Stand¬
punkte in der Philosophie wirklich gibt, feuere ich diesen Plänkelschuß ab, in
der Hoffnung, daß ein anderer bald schwereres Musketenfeiler anwenden wird."

Das erhoffte „schwerere Musketenfeuer" ist jedoch niemals gekommen, und
so zeigt uns das Jahr 1909 William James noch auf demselben Fleck wie das
Jahr 1885. Noch immer herrscht bei ihm die Mißstimmung des erfolglosen
Angreifers. Ein Beispiel statt vieler. „Was andere als eine unerträgliche
Vieldeutigkeit empfinden", so schreibt er im „Pluralistischen Weltall", „als
Wortschwall und Gewissenlosigkeit in des Meisters Art, die Tatsachen abzuleiten,
das wird er (der Hegelianer) voraussichtlich der .Schwierigkeit' zuschreiben, die
gewöhnlich solche Tiefsinnigkeiten begleitet. Göttliche Orakel sind bekanntlich
immer schwer auszulegen. Ich für mein Teil finde bei einem Stil, der so
wenig den ersten Regeln gesunder Zwiesprache zwischen Geistern gehorcht, etwas
Verschrobenes und Albernes in dem Anspruch, die maßgebende Muttersprache
der Vernunft zu werden, und genauer wie andere Schreibweisen mit dem eigenen
Denkwege des Absoluten Schritt zu halten. Ich nehme daher Hegels Fach-
spmchentum überhaupt nicht ernst. Ich betrachte ihn vielmehr als einen jener
zahlreichen urwüchsigen Seher, die niemals vernünftig sprechen lernen. Seine
vorgeblich zwingende Logik ist in meinen Augen wertlos."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/126>, abgerufen am 15.05.2024.