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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Ein Später Derer van Doorn

Reigen plätscherten seit Jahrhunderten. Sonst handelte es sich noch um einen
Kammerherrn des Königs, der, weil er arm, im Hofdienst ergraut, elegant, aber
leer und geschwätzig war. Und um ein paar alte, fromme Hofdamen, die in
königlichen Kavalierhäusern ihre bescheidene Rente verzehrten, in den hohen,
einsamen Zimmern voll von kleinen Kostbarkeiten von einstiger königlicher Gnade
und allerlei sonstigen noblen Erinnerungszeichen ihren Rosenkranz drehten, oder
dann und wann noch einmal in feierlicher Verschleierung durch die gewölbten
Gänge der Seitenflügel huschten, um in entfernteren Abglanze der Königlichen,
in den Hinteren Reihen der Schloßkapelle mit gesenkten Witwenhäuptern kniend,
dem priesterlichen Flüstergespräche mit Gotte versunken zu lauschen.

Hieronymus van Doorn war auch ein Gottgeweihter. Er hatte den Dienst
des Priesters gewählt, weil er schon früh ein bleicher Knabe war, und weil ihn
schon damals oft Träume schreckten und er mit ängstlichem Blick in die Welt
sah. Auch wenn er mit den jungen Prinzen auf dem smaragdenen Nasen spielte,
wo die hohen, weißen Vasen um die weiten, dunklen Wasserbecken standen, hatte
er nie auf die im Geflüster der Fontänen ewig zerrinnenden Bilder auf dem
Wasserspiegel gesehen, ohne nicht sich in Träume zu verlieren, und ohne daß
ihn die Rufe der fröhlichen Stimmen wecken und mahnen gemußt. Als der
einzige Sohn einer armen Hofdame war er fern von ihr im Priesteralumnate
aufgewachsen, weil sein Vater, ein gewesener Kavalier, längst tot war. Die
Dame sah viel nach den frommen Mienen, die die Königin annahm, sobald sie
in Dom oder Kapelle trat. In dem stillen, seligen Garten der Frommheit,
darin die wundersamsten Gefühle schlafen und träumen, nur in diesem stillen,
seligen Garten noch war am Ende ihrer Tage Frau van Doorn schlafend und
träumend umgegangen. Und es war ihr wahrlich eine Genugtuung gewesen,
als sie es noch mit eigenen Augen mit angesehen, daß man ihren Sohn, den
blassen, bartlosen, feinen, tonsurierten Mann zum Priester geweiht hatte, kurz
ehe sie selber ganz in Gottes Schoß eingegangen war.

Der bartlose, schlanke, tonsurierte Priester war bald in einem Fischerdorf
als Pfarrer ordiniert worden. Die Männer und Frauen, die in plumpen Holz¬
schuhen gingen, sahen ihn mit Staunen und Zufriedenheit. Wenn er in den
tiefen Sandgleisen der Dorfstraße hinging, lupften die Männer, die vor deu
kleinen Haustüren oder in den Gattern standen, ihre zipfligen Mützen, und die
Frauen machten einen Schleif und bekreuzten sich. Allen war er gleich angenehm.
Allen war er bald ein heiliges Wesen. Die brennenden Blicke seines feinen
Gesichtes bannten die alten, einsamen, wortkargen Fischersleute. Und wenn er
die Messe las, rang er in Sehnsucht, Gott in den Kirchenraum hernieder zu
flehen. Die alten Männer hatten ein heißes Gefühl dabei. Und die alten
Mütterlein in den Holzbauten bekamen Tränen. Es war bald eine wundersame
Weihe unter den Leuten, daß sie Gott nahe fühlten, als käme er heimlich mit
Flügelwehen. Auch heute, wo die Dorfjugend mit bunten Fahnen in die kühle
Kirche zog und die Glocken anschlugen und feierlich in die Herbstluft ihre


Ein Später Derer van Doorn

Reigen plätscherten seit Jahrhunderten. Sonst handelte es sich noch um einen
Kammerherrn des Königs, der, weil er arm, im Hofdienst ergraut, elegant, aber
leer und geschwätzig war. Und um ein paar alte, fromme Hofdamen, die in
königlichen Kavalierhäusern ihre bescheidene Rente verzehrten, in den hohen,
einsamen Zimmern voll von kleinen Kostbarkeiten von einstiger königlicher Gnade
und allerlei sonstigen noblen Erinnerungszeichen ihren Rosenkranz drehten, oder
dann und wann noch einmal in feierlicher Verschleierung durch die gewölbten
Gänge der Seitenflügel huschten, um in entfernteren Abglanze der Königlichen,
in den Hinteren Reihen der Schloßkapelle mit gesenkten Witwenhäuptern kniend,
dem priesterlichen Flüstergespräche mit Gotte versunken zu lauschen.

Hieronymus van Doorn war auch ein Gottgeweihter. Er hatte den Dienst
des Priesters gewählt, weil er schon früh ein bleicher Knabe war, und weil ihn
schon damals oft Träume schreckten und er mit ängstlichem Blick in die Welt
sah. Auch wenn er mit den jungen Prinzen auf dem smaragdenen Nasen spielte,
wo die hohen, weißen Vasen um die weiten, dunklen Wasserbecken standen, hatte
er nie auf die im Geflüster der Fontänen ewig zerrinnenden Bilder auf dem
Wasserspiegel gesehen, ohne nicht sich in Träume zu verlieren, und ohne daß
ihn die Rufe der fröhlichen Stimmen wecken und mahnen gemußt. Als der
einzige Sohn einer armen Hofdame war er fern von ihr im Priesteralumnate
aufgewachsen, weil sein Vater, ein gewesener Kavalier, längst tot war. Die
Dame sah viel nach den frommen Mienen, die die Königin annahm, sobald sie
in Dom oder Kapelle trat. In dem stillen, seligen Garten der Frommheit,
darin die wundersamsten Gefühle schlafen und träumen, nur in diesem stillen,
seligen Garten noch war am Ende ihrer Tage Frau van Doorn schlafend und
träumend umgegangen. Und es war ihr wahrlich eine Genugtuung gewesen,
als sie es noch mit eigenen Augen mit angesehen, daß man ihren Sohn, den
blassen, bartlosen, feinen, tonsurierten Mann zum Priester geweiht hatte, kurz
ehe sie selber ganz in Gottes Schoß eingegangen war.

Der bartlose, schlanke, tonsurierte Priester war bald in einem Fischerdorf
als Pfarrer ordiniert worden. Die Männer und Frauen, die in plumpen Holz¬
schuhen gingen, sahen ihn mit Staunen und Zufriedenheit. Wenn er in den
tiefen Sandgleisen der Dorfstraße hinging, lupften die Männer, die vor deu
kleinen Haustüren oder in den Gattern standen, ihre zipfligen Mützen, und die
Frauen machten einen Schleif und bekreuzten sich. Allen war er gleich angenehm.
Allen war er bald ein heiliges Wesen. Die brennenden Blicke seines feinen
Gesichtes bannten die alten, einsamen, wortkargen Fischersleute. Und wenn er
die Messe las, rang er in Sehnsucht, Gott in den Kirchenraum hernieder zu
flehen. Die alten Männer hatten ein heißes Gefühl dabei. Und die alten
Mütterlein in den Holzbauten bekamen Tränen. Es war bald eine wundersame
Weihe unter den Leuten, daß sie Gott nahe fühlten, als käme er heimlich mit
Flügelwehen. Auch heute, wo die Dorfjugend mit bunten Fahnen in die kühle
Kirche zog und die Glocken anschlugen und feierlich in die Herbstluft ihre


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/138>, abgerufen am 16.05.2024.