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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Ver König

Aus den Gefängnissen werden die Marterwerkzeuge, die Daumenschrauben
und spanischen Reiter verwundert und widerwillig beiseite geschafft. Die Reli¬
gionen "müssen alle toleriert werden." Gazellen, wenn sie interessant sein sollen,
"dürfen nicht genieret werden". An Maupertuis schreibt der junge König, kaum
daß er das Szepter in Händen hält --: "Sie haben der Welt die Gestalt der
Erde gezeigt; zeigen Sie auch einem Könige, wie süß es ist, einen solchen Mann
wie Sie zu besitzen." Und Voltaire wird schleunigst zum Besuch bestellt. Die
sechs Tage kosten den König 3300 Taler. "Das ist eine teure Bezahlung für
einen Narren," scherzt er. Aber er zahlt, weil er des närrischen Geistes bedürftiger
ist als des Geldes.

Die politischen Instruktionen der Ambassadeure erhalten über Nacht eine
neue Klangfarbe. Ganz verdutzt und verlegen dreht und wendet der friedfertige
Herr v. Borcke in Wien eines Tages die Instruktion, in der dieser junge Mann
ihm stritte befiehlt, ganz entgegen seinen submissesten Vorschlägen den Wiener
Hof "zur Vernunft" zu bringen. "Sie können dabei den Ministern gelegentlich
zu verstehen geben, daß ich die bisherige Hinzettelung der Sache satt habe und
nicht gesonnen bin, mich länger an der Nase herumführen zu lassen. . . ."

"Was das für Ausdrücke sind!" murmelt der Geheimrat. "Zur Vernunft
bringen, nasführen -- welch ein Toni"

"Seien Sie doch nicht ein solches Angsthuhn!" herrscht der König den
braven Minister Podewils an. "Jagen Sie den Schuft von Unterhändler fort.
Bleibt er noch vierundzwanzig Stunden, so verlassen Sie sich darauf, daß mich
der Schlag rührt. Begegne ich ihm unterwegs, so kratze ich ihm die Augen aus."

So menschlich pflegten Könige bisher in diplomatischen Dingen nicht leicht
zu reagieren.

Kriegerische Fanfaren schmettern hinter diesen Worten. Ein Wille zur
Macht bewegt sie ungestüm, ein wahrhafter Königswille zur Großmacht eines
Staates, der untergehen mußte, wenn er nicht erstarken konnte. Hier, in diesem
Kampfe um Schlesien, hieß es nicht: Macht um der Macht, sondern Macht um
des Lebens willen. Und darum setzt der königliche Krieger Leben gegen Leben
ein. Er befiehlt in klarer Voraussicht:

"Sollte mir das Unglück begegnen, lebend gefangen genommen zu werden,
so erteile ich Ihnen den gemessenen Befehl, für dessen Befolgung Sie mir mit
Ihrem Kopfe einstehen, meine Befehle in meiner Abwesenheit nicht zu beachten,
meinem Bruder mit Rat beizustehen und den Staat nichts Unwürdiges zur
Erlangung meiner Freiheit vornehmen zu lassen. Im Gegenteile will und
befehle ich, daß in diesem Falle lebhafter als jemals vorgegangen werde. Ich
bin mir König, solange ich frei bin."

Ströme von Leben gehen von ihm aus. Vom Feldmarschall bis zum
letzten Packknecht fühlt jeder seiner Soldaten den Sieg auf seiner Seite, solange
des Königs Wille vernehmlich zu ihm spricht. Für wen ziehen diese Söldner
ins Feld? Für was vergießen sie ihr Blut? Für die Größe Preußens?


Ver König

Aus den Gefängnissen werden die Marterwerkzeuge, die Daumenschrauben
und spanischen Reiter verwundert und widerwillig beiseite geschafft. Die Reli¬
gionen „müssen alle toleriert werden." Gazellen, wenn sie interessant sein sollen,
„dürfen nicht genieret werden". An Maupertuis schreibt der junge König, kaum
daß er das Szepter in Händen hält —: „Sie haben der Welt die Gestalt der
Erde gezeigt; zeigen Sie auch einem Könige, wie süß es ist, einen solchen Mann
wie Sie zu besitzen." Und Voltaire wird schleunigst zum Besuch bestellt. Die
sechs Tage kosten den König 3300 Taler. „Das ist eine teure Bezahlung für
einen Narren," scherzt er. Aber er zahlt, weil er des närrischen Geistes bedürftiger
ist als des Geldes.

Die politischen Instruktionen der Ambassadeure erhalten über Nacht eine
neue Klangfarbe. Ganz verdutzt und verlegen dreht und wendet der friedfertige
Herr v. Borcke in Wien eines Tages die Instruktion, in der dieser junge Mann
ihm stritte befiehlt, ganz entgegen seinen submissesten Vorschlägen den Wiener
Hof „zur Vernunft" zu bringen. „Sie können dabei den Ministern gelegentlich
zu verstehen geben, daß ich die bisherige Hinzettelung der Sache satt habe und
nicht gesonnen bin, mich länger an der Nase herumführen zu lassen. . . ."

„Was das für Ausdrücke sind!" murmelt der Geheimrat. „Zur Vernunft
bringen, nasführen — welch ein Toni"

„Seien Sie doch nicht ein solches Angsthuhn!" herrscht der König den
braven Minister Podewils an. „Jagen Sie den Schuft von Unterhändler fort.
Bleibt er noch vierundzwanzig Stunden, so verlassen Sie sich darauf, daß mich
der Schlag rührt. Begegne ich ihm unterwegs, so kratze ich ihm die Augen aus."

So menschlich pflegten Könige bisher in diplomatischen Dingen nicht leicht
zu reagieren.

Kriegerische Fanfaren schmettern hinter diesen Worten. Ein Wille zur
Macht bewegt sie ungestüm, ein wahrhafter Königswille zur Großmacht eines
Staates, der untergehen mußte, wenn er nicht erstarken konnte. Hier, in diesem
Kampfe um Schlesien, hieß es nicht: Macht um der Macht, sondern Macht um
des Lebens willen. Und darum setzt der königliche Krieger Leben gegen Leben
ein. Er befiehlt in klarer Voraussicht:

„Sollte mir das Unglück begegnen, lebend gefangen genommen zu werden,
so erteile ich Ihnen den gemessenen Befehl, für dessen Befolgung Sie mir mit
Ihrem Kopfe einstehen, meine Befehle in meiner Abwesenheit nicht zu beachten,
meinem Bruder mit Rat beizustehen und den Staat nichts Unwürdiges zur
Erlangung meiner Freiheit vornehmen zu lassen. Im Gegenteile will und
befehle ich, daß in diesem Falle lebhafter als jemals vorgegangen werde. Ich
bin mir König, solange ich frei bin."

Ströme von Leben gehen von ihm aus. Vom Feldmarschall bis zum
letzten Packknecht fühlt jeder seiner Soldaten den Sieg auf seiner Seite, solange
des Königs Wille vernehmlich zu ihm spricht. Für wen ziehen diese Söldner
ins Feld? Für was vergießen sie ihr Blut? Für die Größe Preußens?


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[0163] Ver König Aus den Gefängnissen werden die Marterwerkzeuge, die Daumenschrauben und spanischen Reiter verwundert und widerwillig beiseite geschafft. Die Reli¬ gionen „müssen alle toleriert werden." Gazellen, wenn sie interessant sein sollen, „dürfen nicht genieret werden". An Maupertuis schreibt der junge König, kaum daß er das Szepter in Händen hält —: „Sie haben der Welt die Gestalt der Erde gezeigt; zeigen Sie auch einem Könige, wie süß es ist, einen solchen Mann wie Sie zu besitzen." Und Voltaire wird schleunigst zum Besuch bestellt. Die sechs Tage kosten den König 3300 Taler. „Das ist eine teure Bezahlung für einen Narren," scherzt er. Aber er zahlt, weil er des närrischen Geistes bedürftiger ist als des Geldes. Die politischen Instruktionen der Ambassadeure erhalten über Nacht eine neue Klangfarbe. Ganz verdutzt und verlegen dreht und wendet der friedfertige Herr v. Borcke in Wien eines Tages die Instruktion, in der dieser junge Mann ihm stritte befiehlt, ganz entgegen seinen submissesten Vorschlägen den Wiener Hof „zur Vernunft" zu bringen. „Sie können dabei den Ministern gelegentlich zu verstehen geben, daß ich die bisherige Hinzettelung der Sache satt habe und nicht gesonnen bin, mich länger an der Nase herumführen zu lassen. . . ." „Was das für Ausdrücke sind!" murmelt der Geheimrat. „Zur Vernunft bringen, nasführen — welch ein Toni" „Seien Sie doch nicht ein solches Angsthuhn!" herrscht der König den braven Minister Podewils an. „Jagen Sie den Schuft von Unterhändler fort. Bleibt er noch vierundzwanzig Stunden, so verlassen Sie sich darauf, daß mich der Schlag rührt. Begegne ich ihm unterwegs, so kratze ich ihm die Augen aus." So menschlich pflegten Könige bisher in diplomatischen Dingen nicht leicht zu reagieren. Kriegerische Fanfaren schmettern hinter diesen Worten. Ein Wille zur Macht bewegt sie ungestüm, ein wahrhafter Königswille zur Großmacht eines Staates, der untergehen mußte, wenn er nicht erstarken konnte. Hier, in diesem Kampfe um Schlesien, hieß es nicht: Macht um der Macht, sondern Macht um des Lebens willen. Und darum setzt der königliche Krieger Leben gegen Leben ein. Er befiehlt in klarer Voraussicht: „Sollte mir das Unglück begegnen, lebend gefangen genommen zu werden, so erteile ich Ihnen den gemessenen Befehl, für dessen Befolgung Sie mir mit Ihrem Kopfe einstehen, meine Befehle in meiner Abwesenheit nicht zu beachten, meinem Bruder mit Rat beizustehen und den Staat nichts Unwürdiges zur Erlangung meiner Freiheit vornehmen zu lassen. Im Gegenteile will und befehle ich, daß in diesem Falle lebhafter als jemals vorgegangen werde. Ich bin mir König, solange ich frei bin." Ströme von Leben gehen von ihm aus. Vom Feldmarschall bis zum letzten Packknecht fühlt jeder seiner Soldaten den Sieg auf seiner Seite, solange des Königs Wille vernehmlich zu ihm spricht. Für wen ziehen diese Söldner ins Feld? Für was vergießen sie ihr Blut? Für die Größe Preußens?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/163>, abgerufen am 31.05.2024.