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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Lin Später Derer van Doorn

gesehen. Und es ist gar kein Zweifel, daß, wie er lange in den finsteren
Nachthügeln stand und am Rande der nachtschwarzen Erde die schönen Sterne
des Orion funkelnd aufsteigen sah, er einen Augenblick auch das Gesicht der
Frau Hartje mit unter den Sternen und in den blauen Nachtgründen leuchten
und emporschweben gesehen.

Wer kann für Gesichte?

Auch wie Hieronymus in tiefer Nacht ins Pfarrhaus kam, das große Tür¬
schloß schnappen gehört und Licht gemacht, hatte er sich nicht weiter sonst
umgeblickt nach den heiligen Nischen. Er hatte das Kreuz mit dem Christ, das
auf seinem Schreibtisch stand, und das Betpult mit der Gottesmutter auch hier
nicht weiter angesehen. Er war auch hier, von der Zerknirschung der nächt¬
lichen Weihe Gottes ganz losgelöst, nur aufs Bett gesunken, wie endlich ganz
schwach und müde geworden. Und war in der Tiefe der Belebung, die ihm
doch noch in allen Sinnen zuckte und rann, jäh und geheimnisvoll bei kleinem
brennendem Kerzenlicht in dem ärmlichen Dunkelraume eingeschlafen. Aber das
kleine Licht, diese kleine Kerzenflamme, fiel ihm durch die geschlossenen Augen¬
lider in seine Träume und begann die Welt innen noch seliger und ungebun¬
dener zu beleben. Da kamen allerhand fröhliche Kinder um ein flackerndes und
hin und her bewegtes Wesen. Das mochte wohl immer noch die lichte Feuer¬
säule im Dunkeln sein. Und die Kinder, die Fischerkinder waren und in Holz¬
schuhen liefen und hörbar trappten, und die in irgend einem Paradiesgarten
einher liefen, waren auch ebenso rasch wieder vom Dunkel eingeschluckt.

Das war durchaus nur ein rechtes Schlafen und ein rechtes Versunkensein.
Der junge Priester hatte die Augen nur fester dem Lichte zugetan.

Aber das kleine Licht leuchtete weiter und durchdrang noch seine tieferen
Dunkelheiten.

Da gab es schon wieder ein heiteres Jubilieren.

Es waren allerlei barsche Wettergesichter, und ein Schwarm gieriger Vögel
kam kreischend aus Heller Luft, wie wenn Frühling wäre.

Und es schien, wie wenn eine feine, lachende Stimme sie alle riefe und
nun die weißen Vögel alle in der Luft zu kreisen begonnen und der Jrrende
nicht vermöchte, den wunderlichen Visionen aus diesen Lauten, die auch ihn
bestürmten, Einhalt zu tun.

Er vermeinte, daß er selber mitten im Schwarm daherliefe, der lachenden
Stimme nachzueilen, und als wenn ihn eine Sehnsucht ganz schwach und elend
doch wieder zurück ins Dunkel würfe.

Der junge Geistliche schlief jetzt wieder den tiefsten Schlaf in den Gründen,
die zu allerfernst in dem Lande der Träume dämmern.

Zu allerfernst liegen die Gründe der tiefsten Geheimnisse. Und aus ihnen
können Sirenen singen.

Aber der junge Geistliche schlief noch den tiefsten, schwersten Schlaf in den
letzten Gründen.


Lin Später Derer van Doorn

gesehen. Und es ist gar kein Zweifel, daß, wie er lange in den finsteren
Nachthügeln stand und am Rande der nachtschwarzen Erde die schönen Sterne
des Orion funkelnd aufsteigen sah, er einen Augenblick auch das Gesicht der
Frau Hartje mit unter den Sternen und in den blauen Nachtgründen leuchten
und emporschweben gesehen.

Wer kann für Gesichte?

Auch wie Hieronymus in tiefer Nacht ins Pfarrhaus kam, das große Tür¬
schloß schnappen gehört und Licht gemacht, hatte er sich nicht weiter sonst
umgeblickt nach den heiligen Nischen. Er hatte das Kreuz mit dem Christ, das
auf seinem Schreibtisch stand, und das Betpult mit der Gottesmutter auch hier
nicht weiter angesehen. Er war auch hier, von der Zerknirschung der nächt¬
lichen Weihe Gottes ganz losgelöst, nur aufs Bett gesunken, wie endlich ganz
schwach und müde geworden. Und war in der Tiefe der Belebung, die ihm
doch noch in allen Sinnen zuckte und rann, jäh und geheimnisvoll bei kleinem
brennendem Kerzenlicht in dem ärmlichen Dunkelraume eingeschlafen. Aber das
kleine Licht, diese kleine Kerzenflamme, fiel ihm durch die geschlossenen Augen¬
lider in seine Träume und begann die Welt innen noch seliger und ungebun¬
dener zu beleben. Da kamen allerhand fröhliche Kinder um ein flackerndes und
hin und her bewegtes Wesen. Das mochte wohl immer noch die lichte Feuer¬
säule im Dunkeln sein. Und die Kinder, die Fischerkinder waren und in Holz¬
schuhen liefen und hörbar trappten, und die in irgend einem Paradiesgarten
einher liefen, waren auch ebenso rasch wieder vom Dunkel eingeschluckt.

Das war durchaus nur ein rechtes Schlafen und ein rechtes Versunkensein.
Der junge Priester hatte die Augen nur fester dem Lichte zugetan.

Aber das kleine Licht leuchtete weiter und durchdrang noch seine tieferen
Dunkelheiten.

Da gab es schon wieder ein heiteres Jubilieren.

Es waren allerlei barsche Wettergesichter, und ein Schwarm gieriger Vögel
kam kreischend aus Heller Luft, wie wenn Frühling wäre.

Und es schien, wie wenn eine feine, lachende Stimme sie alle riefe und
nun die weißen Vögel alle in der Luft zu kreisen begonnen und der Jrrende
nicht vermöchte, den wunderlichen Visionen aus diesen Lauten, die auch ihn
bestürmten, Einhalt zu tun.

Er vermeinte, daß er selber mitten im Schwarm daherliefe, der lachenden
Stimme nachzueilen, und als wenn ihn eine Sehnsucht ganz schwach und elend
doch wieder zurück ins Dunkel würfe.

Der junge Geistliche schlief jetzt wieder den tiefsten Schlaf in den Gründen,
die zu allerfernst in dem Lande der Träume dämmern.

Zu allerfernst liegen die Gründe der tiefsten Geheimnisse. Und aus ihnen
können Sirenen singen.

Aber der junge Geistliche schlief noch den tiefsten, schwersten Schlaf in den
letzten Gründen.


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[0196] Lin Später Derer van Doorn gesehen. Und es ist gar kein Zweifel, daß, wie er lange in den finsteren Nachthügeln stand und am Rande der nachtschwarzen Erde die schönen Sterne des Orion funkelnd aufsteigen sah, er einen Augenblick auch das Gesicht der Frau Hartje mit unter den Sternen und in den blauen Nachtgründen leuchten und emporschweben gesehen. Wer kann für Gesichte? Auch wie Hieronymus in tiefer Nacht ins Pfarrhaus kam, das große Tür¬ schloß schnappen gehört und Licht gemacht, hatte er sich nicht weiter sonst umgeblickt nach den heiligen Nischen. Er hatte das Kreuz mit dem Christ, das auf seinem Schreibtisch stand, und das Betpult mit der Gottesmutter auch hier nicht weiter angesehen. Er war auch hier, von der Zerknirschung der nächt¬ lichen Weihe Gottes ganz losgelöst, nur aufs Bett gesunken, wie endlich ganz schwach und müde geworden. Und war in der Tiefe der Belebung, die ihm doch noch in allen Sinnen zuckte und rann, jäh und geheimnisvoll bei kleinem brennendem Kerzenlicht in dem ärmlichen Dunkelraume eingeschlafen. Aber das kleine Licht, diese kleine Kerzenflamme, fiel ihm durch die geschlossenen Augen¬ lider in seine Träume und begann die Welt innen noch seliger und ungebun¬ dener zu beleben. Da kamen allerhand fröhliche Kinder um ein flackerndes und hin und her bewegtes Wesen. Das mochte wohl immer noch die lichte Feuer¬ säule im Dunkeln sein. Und die Kinder, die Fischerkinder waren und in Holz¬ schuhen liefen und hörbar trappten, und die in irgend einem Paradiesgarten einher liefen, waren auch ebenso rasch wieder vom Dunkel eingeschluckt. Das war durchaus nur ein rechtes Schlafen und ein rechtes Versunkensein. Der junge Priester hatte die Augen nur fester dem Lichte zugetan. Aber das kleine Licht leuchtete weiter und durchdrang noch seine tieferen Dunkelheiten. Da gab es schon wieder ein heiteres Jubilieren. Es waren allerlei barsche Wettergesichter, und ein Schwarm gieriger Vögel kam kreischend aus Heller Luft, wie wenn Frühling wäre. Und es schien, wie wenn eine feine, lachende Stimme sie alle riefe und nun die weißen Vögel alle in der Luft zu kreisen begonnen und der Jrrende nicht vermöchte, den wunderlichen Visionen aus diesen Lauten, die auch ihn bestürmten, Einhalt zu tun. Er vermeinte, daß er selber mitten im Schwarm daherliefe, der lachenden Stimme nachzueilen, und als wenn ihn eine Sehnsucht ganz schwach und elend doch wieder zurück ins Dunkel würfe. Der junge Geistliche schlief jetzt wieder den tiefsten Schlaf in den Gründen, die zu allerfernst in dem Lande der Träume dämmern. Zu allerfernst liegen die Gründe der tiefsten Geheimnisse. Und aus ihnen können Sirenen singen. Aber der junge Geistliche schlief noch den tiefsten, schwersten Schlaf in den letzten Gründen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/196>, abgerufen am 29.05.2024.