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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Allgemeine Wehrpflicht und Präsenzstärke

der das Heer notwendig länger als ein Jahr bei der Fahne bedarf, dem
Heere den Rücken kehren, weil ihnen die Rücksicht auf ihre häuslichen Ver¬
hältnisse wichtiger sein wird als das Bedürfnis, dem Vaterlande in führender
Stellung zu dienen.

Jeder militärische Sachverständige wird deshalb der Ansicht sein, daß die
Einführung der allgemeinen einjährigen Dienstpflicht ein Bruch mit dem ganzen
seitherigen Wehrsystem wäre, der die Zerstörung der Grundlagen unseres heutigen
Heerwesens bedeuten würde und deshalb in hohem Grade gefährlich für unsere
nationale Erziehung wäre. Dieser Gefahr darf die Armee nicht ausgesetzt
werden und das deutsche Heerwesen fährt jedenfalls besser, wenn es wie heute
zwar nur 60 Prozent seiner waffenfähigen Wehrpflichtigen ausbildet, aber dafür
Mannschaften hat, die zum weitaus überwiegenden Teil zwei oder drei Jahre
dem aktiven Heer angehört haben, als wenn es einen großen Haufen ungenügend
geschulter Mannschaften besitzt, dessen es bei der starken Bevölkerung unseres
Reichs im Kriegsfalle gar nicht bedarf. Beim heutigen Kriegswesen spielt eben
nicht mehr ausschließlich die Menge der Mannschaft die Hauptrolle, sondern
nicht zum wenigsten auch die technische Schulung und der kriegerische Geist.

Mit Recht wird deshalb von der militärischen Fachpresse verlangt, daß die
heutige zweijährige Wehrpflicht nicht nur zu erhalten, sondern weiter auszubauen
sei. Seit Frankreich durch die Einführung der allgemeinen zweijährigen Wehr¬
pflicht auch für die aus den höheren Lehranstalten hervorgegangenen Mann¬
schaften die einjährige Dienstzeit abgeschafft hat, wird auch bei uns diese Frage
in der militärischen Fachpresse wie in den Tageszeitungen lebhaft besprochen
und man liest die mannigfachsten Vorschläge zu einer anderweitigen Gestaltung
der Dienstpflicht der aus den höheren Schulen stammenden Militärpflichtiger.

Man fordert in erster Linie eine weitere Verbesserung der Ausbildung der
Reserveoffiziere durch Einführung eines zweiten Dienstjahres auch für die Mann¬
schaften mit höherer Schulbildung. Wenn dabei von fachmännischer Seite der
Standpunkt vertreten wird, daß das französische System, wonach jeder Soldat
ohne Rücksicht auf seine Schulbildung nach Ableistung des ersten Dienstjahres
sich zur Ablegung der Reserveoffiziersaspiranten-Prüfung zu melden berechtigt
ist und nach Bestehen derselben zum Reserveoffizier befördert werden kann, für
Deutschland nicht paßt, sondern jedenfalls an der seither in Deutschland
bewährten Einrichtung einer bestimmten Bildungsgrundlage und der Wahl der
Reserveoffiziere durch die Offizierskorps des Beurlaubtenstandes festzuhalten ist,
so erscheint das sehr berechtigt. Aber eine bessere Ausbildung unserer Reserve¬
offiziere ist eben nur zu erreichen durch ihr längeres Verweilen im praktischen
Frontdienst, der allein dem militärischen Führer diejenige Sicherheit verschafft,
deren er im Felde bedarf.

Wenn mit Recht wiederholt gefordert worden ist, daß der jetzige vier Wochen
umfassende Kriegsschulunterricht der Reserveosfiziersaspiranten auf einem Truppen¬
übungsplatz auf vier Monate ausgedehnt werden soll, so ist das nur möglich,


Allgemeine Wehrpflicht und Präsenzstärke

der das Heer notwendig länger als ein Jahr bei der Fahne bedarf, dem
Heere den Rücken kehren, weil ihnen die Rücksicht auf ihre häuslichen Ver¬
hältnisse wichtiger sein wird als das Bedürfnis, dem Vaterlande in führender
Stellung zu dienen.

Jeder militärische Sachverständige wird deshalb der Ansicht sein, daß die
Einführung der allgemeinen einjährigen Dienstpflicht ein Bruch mit dem ganzen
seitherigen Wehrsystem wäre, der die Zerstörung der Grundlagen unseres heutigen
Heerwesens bedeuten würde und deshalb in hohem Grade gefährlich für unsere
nationale Erziehung wäre. Dieser Gefahr darf die Armee nicht ausgesetzt
werden und das deutsche Heerwesen fährt jedenfalls besser, wenn es wie heute
zwar nur 60 Prozent seiner waffenfähigen Wehrpflichtigen ausbildet, aber dafür
Mannschaften hat, die zum weitaus überwiegenden Teil zwei oder drei Jahre
dem aktiven Heer angehört haben, als wenn es einen großen Haufen ungenügend
geschulter Mannschaften besitzt, dessen es bei der starken Bevölkerung unseres
Reichs im Kriegsfalle gar nicht bedarf. Beim heutigen Kriegswesen spielt eben
nicht mehr ausschließlich die Menge der Mannschaft die Hauptrolle, sondern
nicht zum wenigsten auch die technische Schulung und der kriegerische Geist.

Mit Recht wird deshalb von der militärischen Fachpresse verlangt, daß die
heutige zweijährige Wehrpflicht nicht nur zu erhalten, sondern weiter auszubauen
sei. Seit Frankreich durch die Einführung der allgemeinen zweijährigen Wehr¬
pflicht auch für die aus den höheren Lehranstalten hervorgegangenen Mann¬
schaften die einjährige Dienstzeit abgeschafft hat, wird auch bei uns diese Frage
in der militärischen Fachpresse wie in den Tageszeitungen lebhaft besprochen
und man liest die mannigfachsten Vorschläge zu einer anderweitigen Gestaltung
der Dienstpflicht der aus den höheren Schulen stammenden Militärpflichtiger.

Man fordert in erster Linie eine weitere Verbesserung der Ausbildung der
Reserveoffiziere durch Einführung eines zweiten Dienstjahres auch für die Mann¬
schaften mit höherer Schulbildung. Wenn dabei von fachmännischer Seite der
Standpunkt vertreten wird, daß das französische System, wonach jeder Soldat
ohne Rücksicht auf seine Schulbildung nach Ableistung des ersten Dienstjahres
sich zur Ablegung der Reserveoffiziersaspiranten-Prüfung zu melden berechtigt
ist und nach Bestehen derselben zum Reserveoffizier befördert werden kann, für
Deutschland nicht paßt, sondern jedenfalls an der seither in Deutschland
bewährten Einrichtung einer bestimmten Bildungsgrundlage und der Wahl der
Reserveoffiziere durch die Offizierskorps des Beurlaubtenstandes festzuhalten ist,
so erscheint das sehr berechtigt. Aber eine bessere Ausbildung unserer Reserve¬
offiziere ist eben nur zu erreichen durch ihr längeres Verweilen im praktischen
Frontdienst, der allein dem militärischen Führer diejenige Sicherheit verschafft,
deren er im Felde bedarf.

Wenn mit Recht wiederholt gefordert worden ist, daß der jetzige vier Wochen
umfassende Kriegsschulunterricht der Reserveosfiziersaspiranten auf einem Truppen¬
übungsplatz auf vier Monate ausgedehnt werden soll, so ist das nur möglich,


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[0322] Allgemeine Wehrpflicht und Präsenzstärke der das Heer notwendig länger als ein Jahr bei der Fahne bedarf, dem Heere den Rücken kehren, weil ihnen die Rücksicht auf ihre häuslichen Ver¬ hältnisse wichtiger sein wird als das Bedürfnis, dem Vaterlande in führender Stellung zu dienen. Jeder militärische Sachverständige wird deshalb der Ansicht sein, daß die Einführung der allgemeinen einjährigen Dienstpflicht ein Bruch mit dem ganzen seitherigen Wehrsystem wäre, der die Zerstörung der Grundlagen unseres heutigen Heerwesens bedeuten würde und deshalb in hohem Grade gefährlich für unsere nationale Erziehung wäre. Dieser Gefahr darf die Armee nicht ausgesetzt werden und das deutsche Heerwesen fährt jedenfalls besser, wenn es wie heute zwar nur 60 Prozent seiner waffenfähigen Wehrpflichtigen ausbildet, aber dafür Mannschaften hat, die zum weitaus überwiegenden Teil zwei oder drei Jahre dem aktiven Heer angehört haben, als wenn es einen großen Haufen ungenügend geschulter Mannschaften besitzt, dessen es bei der starken Bevölkerung unseres Reichs im Kriegsfalle gar nicht bedarf. Beim heutigen Kriegswesen spielt eben nicht mehr ausschließlich die Menge der Mannschaft die Hauptrolle, sondern nicht zum wenigsten auch die technische Schulung und der kriegerische Geist. Mit Recht wird deshalb von der militärischen Fachpresse verlangt, daß die heutige zweijährige Wehrpflicht nicht nur zu erhalten, sondern weiter auszubauen sei. Seit Frankreich durch die Einführung der allgemeinen zweijährigen Wehr¬ pflicht auch für die aus den höheren Lehranstalten hervorgegangenen Mann¬ schaften die einjährige Dienstzeit abgeschafft hat, wird auch bei uns diese Frage in der militärischen Fachpresse wie in den Tageszeitungen lebhaft besprochen und man liest die mannigfachsten Vorschläge zu einer anderweitigen Gestaltung der Dienstpflicht der aus den höheren Schulen stammenden Militärpflichtiger. Man fordert in erster Linie eine weitere Verbesserung der Ausbildung der Reserveoffiziere durch Einführung eines zweiten Dienstjahres auch für die Mann¬ schaften mit höherer Schulbildung. Wenn dabei von fachmännischer Seite der Standpunkt vertreten wird, daß das französische System, wonach jeder Soldat ohne Rücksicht auf seine Schulbildung nach Ableistung des ersten Dienstjahres sich zur Ablegung der Reserveoffiziersaspiranten-Prüfung zu melden berechtigt ist und nach Bestehen derselben zum Reserveoffizier befördert werden kann, für Deutschland nicht paßt, sondern jedenfalls an der seither in Deutschland bewährten Einrichtung einer bestimmten Bildungsgrundlage und der Wahl der Reserveoffiziere durch die Offizierskorps des Beurlaubtenstandes festzuhalten ist, so erscheint das sehr berechtigt. Aber eine bessere Ausbildung unserer Reserve¬ offiziere ist eben nur zu erreichen durch ihr längeres Verweilen im praktischen Frontdienst, der allein dem militärischen Führer diejenige Sicherheit verschafft, deren er im Felde bedarf. Wenn mit Recht wiederholt gefordert worden ist, daß der jetzige vier Wochen umfassende Kriegsschulunterricht der Reserveosfiziersaspiranten auf einem Truppen¬ übungsplatz auf vier Monate ausgedehnt werden soll, so ist das nur möglich,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/322>, abgerufen am 29.05.2024.