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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Allgemeine Wehrpflicht und Präsenzstärke

nationalen Gründen mehr empfehlen, als das vom Abgeordneten Konrad Haupt¬
mann kürzlich in der württembergischen Zweiten Kammer vorgeschlagene System,
alle jungen Leute, die sich militärisch gut bewähren, ohne jede finanzielle oder
sonstige Gegenleistung nach einjähriger Dienstzeit zu entlassen; denn damit
würden dem Heere gerade die Elemente nach einem Jahre entzogen, deren es
in erster Linie zur Besetzung der Führerstellen dringend bedarf.

Würde dagegen das Einjährig-Freiwilligen-Vorrecht abgeschafft und würde
die allgemeine Dienstpflicht von zwei Jahren gleichmäßig durchgeführt, so wäre
durch das mittels der militärischen Dienstzeit erworbene Vorrecht auf Anstellung
in: Staatsdienst das längere Verweilen des intelligenten Mittelstandes im Heere
diesen: reichlich entschädigt. Das Heer aber hätte ein viel besseres Führer-
material als heute.

Es ist nun einmal eine leidige Tatsache, daß die Ausbildung unseres
Reserveoffiziers nicht genügt und daß es oft geradezu ein Jammer ist, wie es
in manchen Regimentern um den Unteroffizierersatz bestellt ist. Beiden Mi߬
ständen hilft unser Vorschlag ab: der ungenügenden Ausbildung der Reserve¬
offiziere durch die zweijährige Dienstzeit der höher Gebildeten, dem Unteroffizier-
mangel durch die vermehrten Rechte der Militäranwärter und die aus der
Wehrsteuer zu schöpfenden höheren Kapitulantenzulagen. Vielleicht auch würde
die bessere Qualität der künftigen Offiziere des Beurlaubtenstandes gestatten, den
dritten Kompagnieleutnant abzuschaffen, und dadurch endlich ermöglicht werden,
durch Schaffung eines günstigeren Zahlenverhältnifses zwischen subaltern- und
Stabsoffizieren die dringend nötige Verjüngung des Offizierskorps anzubahnen
und die ungeheure Belastung des Militäretats durch die Offizierspensionen zu
vermindern.

Aber noch weitere wichtige Gesichtspunkte sprechen für die allgemeine zwei¬
jährige Dienstpflicht und die Wehrsteuer. Wenn unsere koloniale Entwicklung, die
Ausbreitung unserer Herrschaft zur See und in fernen Ländern, wie die Zuspitzung
der inneren sozialen Gegensätze, dem Staate zur Pflicht machen, neben den:
zum Heerdienst verpflichteten "Staatsbürgersoldaten" einen zuverlässigen und
brauchbaren "Berufsmilitärstand" an Offizieren, Unteroffizieren und Mannschafts¬
kapitulanten zu besitzen, so können wir uns dieses Erfordernis eines modernen
Weltreichs nur durch eine materielle Hebung des Unteroffizierskorps und der
freiwillig länger dienenden Mannschaften verschaffen, und die Mittel und das Ma¬
terial dazu können uns, wenn -- wie wohl allgemein zugegeben werden wird --
vom Loskauf abgesehen werden muß, nur eine tunlichst reichlich bemessene Wehr¬
steuer liefern.

Nicht mit Unrecht hat darum auch die Wehrsteuerfrage in den letzten Jahren
in der Presse wie in den Parlamenten eine große Rolle gespielt und genießt
in den weitesten Kreisen des Volkes eine große Beliebtheit. Hat doch der
gesunde Sinn des Volkes längst in ihr das Mittel entdeckt, um eine Gegen¬
leistung zu schaffen für die immer zahlreicher werdenden Wehrpflichtigen, die


Allgemeine Wehrpflicht und Präsenzstärke

nationalen Gründen mehr empfehlen, als das vom Abgeordneten Konrad Haupt¬
mann kürzlich in der württembergischen Zweiten Kammer vorgeschlagene System,
alle jungen Leute, die sich militärisch gut bewähren, ohne jede finanzielle oder
sonstige Gegenleistung nach einjähriger Dienstzeit zu entlassen; denn damit
würden dem Heere gerade die Elemente nach einem Jahre entzogen, deren es
in erster Linie zur Besetzung der Führerstellen dringend bedarf.

Würde dagegen das Einjährig-Freiwilligen-Vorrecht abgeschafft und würde
die allgemeine Dienstpflicht von zwei Jahren gleichmäßig durchgeführt, so wäre
durch das mittels der militärischen Dienstzeit erworbene Vorrecht auf Anstellung
in: Staatsdienst das längere Verweilen des intelligenten Mittelstandes im Heere
diesen: reichlich entschädigt. Das Heer aber hätte ein viel besseres Führer-
material als heute.

Es ist nun einmal eine leidige Tatsache, daß die Ausbildung unseres
Reserveoffiziers nicht genügt und daß es oft geradezu ein Jammer ist, wie es
in manchen Regimentern um den Unteroffizierersatz bestellt ist. Beiden Mi߬
ständen hilft unser Vorschlag ab: der ungenügenden Ausbildung der Reserve¬
offiziere durch die zweijährige Dienstzeit der höher Gebildeten, dem Unteroffizier-
mangel durch die vermehrten Rechte der Militäranwärter und die aus der
Wehrsteuer zu schöpfenden höheren Kapitulantenzulagen. Vielleicht auch würde
die bessere Qualität der künftigen Offiziere des Beurlaubtenstandes gestatten, den
dritten Kompagnieleutnant abzuschaffen, und dadurch endlich ermöglicht werden,
durch Schaffung eines günstigeren Zahlenverhältnifses zwischen subaltern- und
Stabsoffizieren die dringend nötige Verjüngung des Offizierskorps anzubahnen
und die ungeheure Belastung des Militäretats durch die Offizierspensionen zu
vermindern.

Aber noch weitere wichtige Gesichtspunkte sprechen für die allgemeine zwei¬
jährige Dienstpflicht und die Wehrsteuer. Wenn unsere koloniale Entwicklung, die
Ausbreitung unserer Herrschaft zur See und in fernen Ländern, wie die Zuspitzung
der inneren sozialen Gegensätze, dem Staate zur Pflicht machen, neben den:
zum Heerdienst verpflichteten „Staatsbürgersoldaten" einen zuverlässigen und
brauchbaren „Berufsmilitärstand" an Offizieren, Unteroffizieren und Mannschafts¬
kapitulanten zu besitzen, so können wir uns dieses Erfordernis eines modernen
Weltreichs nur durch eine materielle Hebung des Unteroffizierskorps und der
freiwillig länger dienenden Mannschaften verschaffen, und die Mittel und das Ma¬
terial dazu können uns, wenn — wie wohl allgemein zugegeben werden wird —
vom Loskauf abgesehen werden muß, nur eine tunlichst reichlich bemessene Wehr¬
steuer liefern.

Nicht mit Unrecht hat darum auch die Wehrsteuerfrage in den letzten Jahren
in der Presse wie in den Parlamenten eine große Rolle gespielt und genießt
in den weitesten Kreisen des Volkes eine große Beliebtheit. Hat doch der
gesunde Sinn des Volkes längst in ihr das Mittel entdeckt, um eine Gegen¬
leistung zu schaffen für die immer zahlreicher werdenden Wehrpflichtigen, die


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[0378] Allgemeine Wehrpflicht und Präsenzstärke nationalen Gründen mehr empfehlen, als das vom Abgeordneten Konrad Haupt¬ mann kürzlich in der württembergischen Zweiten Kammer vorgeschlagene System, alle jungen Leute, die sich militärisch gut bewähren, ohne jede finanzielle oder sonstige Gegenleistung nach einjähriger Dienstzeit zu entlassen; denn damit würden dem Heere gerade die Elemente nach einem Jahre entzogen, deren es in erster Linie zur Besetzung der Führerstellen dringend bedarf. Würde dagegen das Einjährig-Freiwilligen-Vorrecht abgeschafft und würde die allgemeine Dienstpflicht von zwei Jahren gleichmäßig durchgeführt, so wäre durch das mittels der militärischen Dienstzeit erworbene Vorrecht auf Anstellung in: Staatsdienst das längere Verweilen des intelligenten Mittelstandes im Heere diesen: reichlich entschädigt. Das Heer aber hätte ein viel besseres Führer- material als heute. Es ist nun einmal eine leidige Tatsache, daß die Ausbildung unseres Reserveoffiziers nicht genügt und daß es oft geradezu ein Jammer ist, wie es in manchen Regimentern um den Unteroffizierersatz bestellt ist. Beiden Mi߬ ständen hilft unser Vorschlag ab: der ungenügenden Ausbildung der Reserve¬ offiziere durch die zweijährige Dienstzeit der höher Gebildeten, dem Unteroffizier- mangel durch die vermehrten Rechte der Militäranwärter und die aus der Wehrsteuer zu schöpfenden höheren Kapitulantenzulagen. Vielleicht auch würde die bessere Qualität der künftigen Offiziere des Beurlaubtenstandes gestatten, den dritten Kompagnieleutnant abzuschaffen, und dadurch endlich ermöglicht werden, durch Schaffung eines günstigeren Zahlenverhältnifses zwischen subaltern- und Stabsoffizieren die dringend nötige Verjüngung des Offizierskorps anzubahnen und die ungeheure Belastung des Militäretats durch die Offizierspensionen zu vermindern. Aber noch weitere wichtige Gesichtspunkte sprechen für die allgemeine zwei¬ jährige Dienstpflicht und die Wehrsteuer. Wenn unsere koloniale Entwicklung, die Ausbreitung unserer Herrschaft zur See und in fernen Ländern, wie die Zuspitzung der inneren sozialen Gegensätze, dem Staate zur Pflicht machen, neben den: zum Heerdienst verpflichteten „Staatsbürgersoldaten" einen zuverlässigen und brauchbaren „Berufsmilitärstand" an Offizieren, Unteroffizieren und Mannschafts¬ kapitulanten zu besitzen, so können wir uns dieses Erfordernis eines modernen Weltreichs nur durch eine materielle Hebung des Unteroffizierskorps und der freiwillig länger dienenden Mannschaften verschaffen, und die Mittel und das Ma¬ terial dazu können uns, wenn — wie wohl allgemein zugegeben werden wird — vom Loskauf abgesehen werden muß, nur eine tunlichst reichlich bemessene Wehr¬ steuer liefern. Nicht mit Unrecht hat darum auch die Wehrsteuerfrage in den letzten Jahren in der Presse wie in den Parlamenten eine große Rolle gespielt und genießt in den weitesten Kreisen des Volkes eine große Beliebtheit. Hat doch der gesunde Sinn des Volkes längst in ihr das Mittel entdeckt, um eine Gegen¬ leistung zu schaffen für die immer zahlreicher werdenden Wehrpflichtigen, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/378>, abgerufen am 15.05.2024.