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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Raimund und Ncstroy

sah sich aber aufgehalten, und nun, in der Zeitbedrängnis, verfertigte sich
Raimund eben diese Posse selbst. An ernsthafte literarische Betätigung dachte
er kaum, und das Stück wäre ohne allen Wert, wenn es nicht den Ausdruck
des damaligen Wiener Volksgeschmacks bedeutete, und weiter, wenn es nicht
den Vorläufer jener sieben anderen Raimundstücke bildete, die ihm zugleich so
eng verwandt sind und so nieilenfern stehen. Deshalb verlohnt es sich, bei
diesem immer kindlichen und gelegentlich ans Kindische streifenden Erstlingswerk
zu verweilen.

Allhundertjährlich hat die Fee Rosalinde drei Zaubergaben an die Menschen
auszuteilen: deu Stab, dessen Berührung jeden Gegenstand in Gold wandelt,
das Horn, dessen Ton eine unwiderstehliche Zwergenarmee herbeiruft, die Schärpe,
die jede gewünschte Ortsveränderung ausführt. Bisher haben die auserwählten
Sterblichen schlechten Gebrauch von diesen Geschenken gemacht; so soll diesmal
der Zufall entscheiden, und er entscheidet für Bartholomäus Quecksilber, den
lustigen Barometermacher aus Wien, der schiffbrüchig die Zauberinsel betritt.
In seinem Reichtum und seiner Macht freit Quecksilber um die Prinzessin,
aber Zoraides Tücke prellt den Einfältigen um alles. Da kommt ihn: doppelte
Hilfe durch die schlichte und kluge Kammerzofe Linda und durch neue Zauber¬
gaben, die es ihm ermöglichen, all seinen Widersachern riesenlange Nasen
anzuhexen und -- gegen entsprechende Belohnung -- wieder fortzubringen.
Quecksilber erhält seine magischen Kostbarkeiten zurück und teilt sie treulich mit
der Kammerzofe, die er heiraten wird, König Tulu und sein Hof verlieren ihre
Nasenungetüme, nur die böse Prinzeß Zoraide bleibt zur Strafe ihrer Sünden
dauernd entstellt.

In dieser so ganz harmlosen, so gar nicht von Psychologischem und Gedank¬
lichem beschwerten Volksbelustigung find doch die Keime alles dessen eingebettet,
was gereift den späteren Werken Raimunds ihr Bedeuten verleiht, und indem
diese Keime gerade hier liegen, ergibt es sich, daß der so oft zu Unrecht ver¬
wendete Titel eines Volksdichters für Raimund wirklich und völlig in Betracht
kommt. Übliche Märchenhelden finden ihr Glück an der Seite einer Prinzessin,
und haben sie ihr Herz an ein armes Geschöpf verschenkt, so handelte es sich
zuguderletzt doch um ein Fürstenkind. Der Wiener Barometermacher wird von
der Prinzessin enttäuscht und von der Kammerzofe beglückt. Solches Eintreten
für das bescheidene Glück ist der Grundzug in Raimunds Wesen. Ja, er geht
in allen späteren Schöpfungen so weit, daß er kein anderes Glück als eben
nur das bescheidene anerkennt, und daß er in jeder reichlicheren Gabe ein
Unglück sieht. Quecksilber darf noch seine Zaubergeschenke behalten, die späteren
Helden des Dichters müssen sie von sich tun, um zum Glück zu gelangen. Der
reichgewordene Bauer zerrüttet seine Gesundheit und kommt erst in seiner alten
Hütte zu frischen Bauernkrüften, der Fischer verliert die Liebe seiner Braut,
wenn er nicht den Schätze bergenden Ring von sich wirft, und gar der ehr¬
geizige Feldherr, der die siegbringende Krone aufs Haupt setzt, muß zum


Grenzboten I 1912 S6
Raimund und Ncstroy

sah sich aber aufgehalten, und nun, in der Zeitbedrängnis, verfertigte sich
Raimund eben diese Posse selbst. An ernsthafte literarische Betätigung dachte
er kaum, und das Stück wäre ohne allen Wert, wenn es nicht den Ausdruck
des damaligen Wiener Volksgeschmacks bedeutete, und weiter, wenn es nicht
den Vorläufer jener sieben anderen Raimundstücke bildete, die ihm zugleich so
eng verwandt sind und so nieilenfern stehen. Deshalb verlohnt es sich, bei
diesem immer kindlichen und gelegentlich ans Kindische streifenden Erstlingswerk
zu verweilen.

Allhundertjährlich hat die Fee Rosalinde drei Zaubergaben an die Menschen
auszuteilen: deu Stab, dessen Berührung jeden Gegenstand in Gold wandelt,
das Horn, dessen Ton eine unwiderstehliche Zwergenarmee herbeiruft, die Schärpe,
die jede gewünschte Ortsveränderung ausführt. Bisher haben die auserwählten
Sterblichen schlechten Gebrauch von diesen Geschenken gemacht; so soll diesmal
der Zufall entscheiden, und er entscheidet für Bartholomäus Quecksilber, den
lustigen Barometermacher aus Wien, der schiffbrüchig die Zauberinsel betritt.
In seinem Reichtum und seiner Macht freit Quecksilber um die Prinzessin,
aber Zoraides Tücke prellt den Einfältigen um alles. Da kommt ihn: doppelte
Hilfe durch die schlichte und kluge Kammerzofe Linda und durch neue Zauber¬
gaben, die es ihm ermöglichen, all seinen Widersachern riesenlange Nasen
anzuhexen und — gegen entsprechende Belohnung — wieder fortzubringen.
Quecksilber erhält seine magischen Kostbarkeiten zurück und teilt sie treulich mit
der Kammerzofe, die er heiraten wird, König Tulu und sein Hof verlieren ihre
Nasenungetüme, nur die böse Prinzeß Zoraide bleibt zur Strafe ihrer Sünden
dauernd entstellt.

In dieser so ganz harmlosen, so gar nicht von Psychologischem und Gedank¬
lichem beschwerten Volksbelustigung find doch die Keime alles dessen eingebettet,
was gereift den späteren Werken Raimunds ihr Bedeuten verleiht, und indem
diese Keime gerade hier liegen, ergibt es sich, daß der so oft zu Unrecht ver¬
wendete Titel eines Volksdichters für Raimund wirklich und völlig in Betracht
kommt. Übliche Märchenhelden finden ihr Glück an der Seite einer Prinzessin,
und haben sie ihr Herz an ein armes Geschöpf verschenkt, so handelte es sich
zuguderletzt doch um ein Fürstenkind. Der Wiener Barometermacher wird von
der Prinzessin enttäuscht und von der Kammerzofe beglückt. Solches Eintreten
für das bescheidene Glück ist der Grundzug in Raimunds Wesen. Ja, er geht
in allen späteren Schöpfungen so weit, daß er kein anderes Glück als eben
nur das bescheidene anerkennt, und daß er in jeder reichlicheren Gabe ein
Unglück sieht. Quecksilber darf noch seine Zaubergeschenke behalten, die späteren
Helden des Dichters müssen sie von sich tun, um zum Glück zu gelangen. Der
reichgewordene Bauer zerrüttet seine Gesundheit und kommt erst in seiner alten
Hütte zu frischen Bauernkrüften, der Fischer verliert die Liebe seiner Braut,
wenn er nicht den Schätze bergenden Ring von sich wirft, und gar der ehr¬
geizige Feldherr, der die siegbringende Krone aufs Haupt setzt, muß zum


Grenzboten I 1912 S6
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[0437] Raimund und Ncstroy sah sich aber aufgehalten, und nun, in der Zeitbedrängnis, verfertigte sich Raimund eben diese Posse selbst. An ernsthafte literarische Betätigung dachte er kaum, und das Stück wäre ohne allen Wert, wenn es nicht den Ausdruck des damaligen Wiener Volksgeschmacks bedeutete, und weiter, wenn es nicht den Vorläufer jener sieben anderen Raimundstücke bildete, die ihm zugleich so eng verwandt sind und so nieilenfern stehen. Deshalb verlohnt es sich, bei diesem immer kindlichen und gelegentlich ans Kindische streifenden Erstlingswerk zu verweilen. Allhundertjährlich hat die Fee Rosalinde drei Zaubergaben an die Menschen auszuteilen: deu Stab, dessen Berührung jeden Gegenstand in Gold wandelt, das Horn, dessen Ton eine unwiderstehliche Zwergenarmee herbeiruft, die Schärpe, die jede gewünschte Ortsveränderung ausführt. Bisher haben die auserwählten Sterblichen schlechten Gebrauch von diesen Geschenken gemacht; so soll diesmal der Zufall entscheiden, und er entscheidet für Bartholomäus Quecksilber, den lustigen Barometermacher aus Wien, der schiffbrüchig die Zauberinsel betritt. In seinem Reichtum und seiner Macht freit Quecksilber um die Prinzessin, aber Zoraides Tücke prellt den Einfältigen um alles. Da kommt ihn: doppelte Hilfe durch die schlichte und kluge Kammerzofe Linda und durch neue Zauber¬ gaben, die es ihm ermöglichen, all seinen Widersachern riesenlange Nasen anzuhexen und — gegen entsprechende Belohnung — wieder fortzubringen. Quecksilber erhält seine magischen Kostbarkeiten zurück und teilt sie treulich mit der Kammerzofe, die er heiraten wird, König Tulu und sein Hof verlieren ihre Nasenungetüme, nur die böse Prinzeß Zoraide bleibt zur Strafe ihrer Sünden dauernd entstellt. In dieser so ganz harmlosen, so gar nicht von Psychologischem und Gedank¬ lichem beschwerten Volksbelustigung find doch die Keime alles dessen eingebettet, was gereift den späteren Werken Raimunds ihr Bedeuten verleiht, und indem diese Keime gerade hier liegen, ergibt es sich, daß der so oft zu Unrecht ver¬ wendete Titel eines Volksdichters für Raimund wirklich und völlig in Betracht kommt. Übliche Märchenhelden finden ihr Glück an der Seite einer Prinzessin, und haben sie ihr Herz an ein armes Geschöpf verschenkt, so handelte es sich zuguderletzt doch um ein Fürstenkind. Der Wiener Barometermacher wird von der Prinzessin enttäuscht und von der Kammerzofe beglückt. Solches Eintreten für das bescheidene Glück ist der Grundzug in Raimunds Wesen. Ja, er geht in allen späteren Schöpfungen so weit, daß er kein anderes Glück als eben nur das bescheidene anerkennt, und daß er in jeder reichlicheren Gabe ein Unglück sieht. Quecksilber darf noch seine Zaubergeschenke behalten, die späteren Helden des Dichters müssen sie von sich tun, um zum Glück zu gelangen. Der reichgewordene Bauer zerrüttet seine Gesundheit und kommt erst in seiner alten Hütte zu frischen Bauernkrüften, der Fischer verliert die Liebe seiner Braut, wenn er nicht den Schätze bergenden Ring von sich wirft, und gar der ehr¬ geizige Feldherr, der die siegbringende Krone aufs Haupt setzt, muß zum Grenzboten I 1912 S6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/437>, abgerufen am 15.05.2024.