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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Raimund und Nestroy

Frevler werden und den Erinnyen verfallen. Es ist dieses Schicksal des
Phalarius in der "Unheilbringenden Krone", das einzige, das Raimund zum
endgiltig tragischen Ausgang führt, und also scheint ihm der Ehrgeiz ein noch
größeres Übel als die Freude am Reichtum. Möglicherweise haben da napo¬
leonische Erinnerungen mitgewirkt wie beim "Ottokar", wie denn die Ansichten
vom Glück bei Raimund und Grillparzer so sehr übereinstimmen, daß wohl
noch niemals über jenen und nur selten über diesen geschrieben worden ist, ohne
daß solche Verwandtschaft erwähnt wurde. Und auch auf diese Verwandtschaft
der beiden weist man gerne hin, daß sie bon Tatsächlichen und Gegenwärtigen
in bunte Märchenfernen zu entfliehen liebten. In der "Unheilbringenden Krone",
die sich aus gleichen Gründen als höchststrebendes und schwächstes Raimundwerk
ergeben wird, sagt der Dichter Ewald: ". . Wer wird nicht mit Lust von goldnen
Dingen träumen, kann er darüber arme Wirklichkeit versäumen." Das könnte
in mancher Hinsicht auch ein Grillparzerisches Motto sein -- aber doch eben
nur in mancher, und die Lebens-"Verachtung" beider Dichter in einem Atem
zu nennen, wie das Richard M. Meyer tut, scheint mir, allein schon um Grill-
parzers politischer Leidenschaft willen, recht bedenklich. Nun erst ein dritter
Punkt, der sich wie die Liebe zum Märchenspiel und zum bescheidenen Glück,
freilich noch sehr viel dichter verkapselt, auch schon im "Barometermacher"
findet, unterscheidet Raimund gänzlich von Grillparzer. Auch Grillparzer schildert
die Menschen in ihrer Gebundenheit durch das Schicksal, das sich bald als Sitte,
bald als Staatsordnung, bald als vererbte Anlage geltend macht, aber er malt
vergebliches Auflehnen, Sturz und Entsagung. Raimund dagegen sieht alles
wahre Glück in der Gebundenheit und Abhängigkeit. Wie er am liebsten die
mehr oder minder wohlige Zufriedenheit der armen und "kleinen" Leute schildert,
so macht er die Höhergestellten zu völligen und selbstverständlichen Dienern einer
Geisterwelt und kennt keine andere Tugend als Treue und Gehorsam. Queck¬
silber braucht zu den ihm von außen und oben verliehenen Gaben aus Eigenem
nichts zu fügen als Treue gegen Linda, und anderes wird auch von Raimunds
anderen Helden nicht verlangt. Es handelt sich da keineswegs um Kampf und
Resignation dem Schicksal gegenüber, sondern um eine Freude über das Gängel¬
band, das die Mühe des Pfadsuchens unnötig macht. Im "Verschwender"
lautet "des Schicksals strenger Spruch" gegen Flottwell:
'

Kein Fatum herrscht auf seinen Lebenswegen,
Er selber bringt sich Unheil oder Segen.
Er selbst vermag sich nur allein zu warnen,
Mit Unglück kann er selbst sich nur umgarnen,
Und da er frei von allen Schicksalsketten,
Kann ihn sein Ich auch nur von Schmach erretten.

Und gleich darauf wird dies noch einmal als ein "trüber Schicksalsspruch"
beklagt, daß jemand sein Leben in freier Selbstbestimmung führen darf, und
wirklich führt auch diese Freiheit zu sinnloser Zerrüttung, und nur ein trotz jener
Bestimmung auf listige Weise geschehendes Eingreifen der Fee Cheristcme (also


Raimund und Nestroy

Frevler werden und den Erinnyen verfallen. Es ist dieses Schicksal des
Phalarius in der „Unheilbringenden Krone", das einzige, das Raimund zum
endgiltig tragischen Ausgang führt, und also scheint ihm der Ehrgeiz ein noch
größeres Übel als die Freude am Reichtum. Möglicherweise haben da napo¬
leonische Erinnerungen mitgewirkt wie beim „Ottokar", wie denn die Ansichten
vom Glück bei Raimund und Grillparzer so sehr übereinstimmen, daß wohl
noch niemals über jenen und nur selten über diesen geschrieben worden ist, ohne
daß solche Verwandtschaft erwähnt wurde. Und auch auf diese Verwandtschaft
der beiden weist man gerne hin, daß sie bon Tatsächlichen und Gegenwärtigen
in bunte Märchenfernen zu entfliehen liebten. In der „Unheilbringenden Krone",
die sich aus gleichen Gründen als höchststrebendes und schwächstes Raimundwerk
ergeben wird, sagt der Dichter Ewald: „. . Wer wird nicht mit Lust von goldnen
Dingen träumen, kann er darüber arme Wirklichkeit versäumen." Das könnte
in mancher Hinsicht auch ein Grillparzerisches Motto sein — aber doch eben
nur in mancher, und die Lebens-„Verachtung" beider Dichter in einem Atem
zu nennen, wie das Richard M. Meyer tut, scheint mir, allein schon um Grill-
parzers politischer Leidenschaft willen, recht bedenklich. Nun erst ein dritter
Punkt, der sich wie die Liebe zum Märchenspiel und zum bescheidenen Glück,
freilich noch sehr viel dichter verkapselt, auch schon im „Barometermacher"
findet, unterscheidet Raimund gänzlich von Grillparzer. Auch Grillparzer schildert
die Menschen in ihrer Gebundenheit durch das Schicksal, das sich bald als Sitte,
bald als Staatsordnung, bald als vererbte Anlage geltend macht, aber er malt
vergebliches Auflehnen, Sturz und Entsagung. Raimund dagegen sieht alles
wahre Glück in der Gebundenheit und Abhängigkeit. Wie er am liebsten die
mehr oder minder wohlige Zufriedenheit der armen und „kleinen" Leute schildert,
so macht er die Höhergestellten zu völligen und selbstverständlichen Dienern einer
Geisterwelt und kennt keine andere Tugend als Treue und Gehorsam. Queck¬
silber braucht zu den ihm von außen und oben verliehenen Gaben aus Eigenem
nichts zu fügen als Treue gegen Linda, und anderes wird auch von Raimunds
anderen Helden nicht verlangt. Es handelt sich da keineswegs um Kampf und
Resignation dem Schicksal gegenüber, sondern um eine Freude über das Gängel¬
band, das die Mühe des Pfadsuchens unnötig macht. Im „Verschwender"
lautet „des Schicksals strenger Spruch" gegen Flottwell:
'

Kein Fatum herrscht auf seinen Lebenswegen,
Er selber bringt sich Unheil oder Segen.
Er selbst vermag sich nur allein zu warnen,
Mit Unglück kann er selbst sich nur umgarnen,
Und da er frei von allen Schicksalsketten,
Kann ihn sein Ich auch nur von Schmach erretten.

Und gleich darauf wird dies noch einmal als ein „trüber Schicksalsspruch"
beklagt, daß jemand sein Leben in freier Selbstbestimmung führen darf, und
wirklich führt auch diese Freiheit zu sinnloser Zerrüttung, und nur ein trotz jener
Bestimmung auf listige Weise geschehendes Eingreifen der Fee Cheristcme (also


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[0438] Raimund und Nestroy Frevler werden und den Erinnyen verfallen. Es ist dieses Schicksal des Phalarius in der „Unheilbringenden Krone", das einzige, das Raimund zum endgiltig tragischen Ausgang führt, und also scheint ihm der Ehrgeiz ein noch größeres Übel als die Freude am Reichtum. Möglicherweise haben da napo¬ leonische Erinnerungen mitgewirkt wie beim „Ottokar", wie denn die Ansichten vom Glück bei Raimund und Grillparzer so sehr übereinstimmen, daß wohl noch niemals über jenen und nur selten über diesen geschrieben worden ist, ohne daß solche Verwandtschaft erwähnt wurde. Und auch auf diese Verwandtschaft der beiden weist man gerne hin, daß sie bon Tatsächlichen und Gegenwärtigen in bunte Märchenfernen zu entfliehen liebten. In der „Unheilbringenden Krone", die sich aus gleichen Gründen als höchststrebendes und schwächstes Raimundwerk ergeben wird, sagt der Dichter Ewald: „. . Wer wird nicht mit Lust von goldnen Dingen träumen, kann er darüber arme Wirklichkeit versäumen." Das könnte in mancher Hinsicht auch ein Grillparzerisches Motto sein — aber doch eben nur in mancher, und die Lebens-„Verachtung" beider Dichter in einem Atem zu nennen, wie das Richard M. Meyer tut, scheint mir, allein schon um Grill- parzers politischer Leidenschaft willen, recht bedenklich. Nun erst ein dritter Punkt, der sich wie die Liebe zum Märchenspiel und zum bescheidenen Glück, freilich noch sehr viel dichter verkapselt, auch schon im „Barometermacher" findet, unterscheidet Raimund gänzlich von Grillparzer. Auch Grillparzer schildert die Menschen in ihrer Gebundenheit durch das Schicksal, das sich bald als Sitte, bald als Staatsordnung, bald als vererbte Anlage geltend macht, aber er malt vergebliches Auflehnen, Sturz und Entsagung. Raimund dagegen sieht alles wahre Glück in der Gebundenheit und Abhängigkeit. Wie er am liebsten die mehr oder minder wohlige Zufriedenheit der armen und „kleinen" Leute schildert, so macht er die Höhergestellten zu völligen und selbstverständlichen Dienern einer Geisterwelt und kennt keine andere Tugend als Treue und Gehorsam. Queck¬ silber braucht zu den ihm von außen und oben verliehenen Gaben aus Eigenem nichts zu fügen als Treue gegen Linda, und anderes wird auch von Raimunds anderen Helden nicht verlangt. Es handelt sich da keineswegs um Kampf und Resignation dem Schicksal gegenüber, sondern um eine Freude über das Gängel¬ band, das die Mühe des Pfadsuchens unnötig macht. Im „Verschwender" lautet „des Schicksals strenger Spruch" gegen Flottwell: ' Kein Fatum herrscht auf seinen Lebenswegen, Er selber bringt sich Unheil oder Segen. Er selbst vermag sich nur allein zu warnen, Mit Unglück kann er selbst sich nur umgarnen, Und da er frei von allen Schicksalsketten, Kann ihn sein Ich auch nur von Schmach erretten. Und gleich darauf wird dies noch einmal als ein „trüber Schicksalsspruch" beklagt, daß jemand sein Leben in freier Selbstbestimmung führen darf, und wirklich führt auch diese Freiheit zu sinnloser Zerrüttung, und nur ein trotz jener Bestimmung auf listige Weise geschehendes Eingreifen der Fee Cheristcme (also

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/438>, abgerufen am 29.05.2024.