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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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?er Glücksgedanlo bei Hermann Hesse

Immerhin fällt die Summe, die Kühn am Ende seines Lebens ziehen
kann, nicht ungünstig aus. "Wenn ich," sagt er einmal, "von außen her über
mein Leben weg schaue, sieht es nicht besonders glücklich aus. Doch darf ich
es noch weniger unglücklich heißen, trotz aller Irrtümer. Es ist am Ende auch
ganz töricht, so nach Glück und Unglück zu fragen, denn mir scheint, die un¬
glücklichsten Tage meines Lebens gäbe ich schwerer hin als alle heiteren. Wenn
es in einem Menschenleben darauf ankommt, das Unabwendbare mit Bewußtsein
hinzunehmen, das Gute und Uhle recht auszukosten und sich neben dem äußeren
ein inneres, eigentlicheres, nicht zufälliges Schicksal zu erobern, so war mein
Leben nicht arm und nicht schlecht."

Was ist natürlicher, als daß alle diese Gedanken auch die gesamte Hessesche
Lyrik durchdringen und beherrschen! Frauenliebe erscheint auch in ihnen als
ein Born reichen Glücks ("Lieder"), und selbst wenn sie unglücklich oder ohne
Erfolg ist, hat doch noch die Erinnerung an sie Beseligendes genug! Und dann
ist ja auch noch der Tröster Wein da, der schon den armen Peter Camenzind
über Liebeskummer hinweghalf und es auch-hier tut ("Einem Kameraden"),
der den Dichter zum König trotz aller Armut macht, und ihn der Heimat, "des
Sternenhimmels weiten Räumen, dem Land der Träume", zuführt. Erfüllung
freilich vermag er dem Trinker nicht zu geben und nicht die Weisheit, die er
"nächtelang, die Stirn in heißer Hand, aus den Büchern gesucht"; doch läßt
er ihn immerhin einen Trost gewinnein


("Der Trinker.")

Sollte aber dieser Trost nicht so viel mehr wert sein als die Erfüllung?

Im Mittelpunkt der Lyrik steht wiederum durchaus die Klage um die
entschwundene Jugend, der Hesse in immer neuen, ungehörten Tönen und
Nuancen Ausdruck zu geben nicht müde wird. Da trauert er bald um den
unwiederbringlichen Verlust seiner frohen, seligen Kinderzeit, da noch keine
quälenden Zweifel die bange Seele zerrissen, bald wünscht er wieder mit
flehenden Worten seine Jugend herbei mit all ihrer Sehnsucht und ihrem
Begehren, das Unergründliche zu ergründen und das kleine Selbst mit dem
Ewigen, Unendlichen zu vereinen, an der ihm gerade diese ungestillte Sehnsucht
das Köstlichste und Beste erscheint*), diese Sehnsucht, wie sie ähnlich Bernhard
Kellermann in seinem "Achter und Li" so vortrefflich zu analysieren und vsycho-




Ich denke an Gedichte wie "Lieder", "Noch ist mein Leben der Erfüllung bar",
"Reine Lust", "Venezianische Gondelgespräche IV" und ähnliche-"
Berlin, S. Mischers Verlag, wo auch Hermann Hesses Romane "Peter Camenzind
und "Unterm Rad" sowie seine Novellenbände "Diesseits" und "Nachbarn" erschienen sind.
Hasses "Gedichte" verlegte G. Grote zu Berlin, den Roman "Gertrud" Albert Langen zu
München.
?er Glücksgedanlo bei Hermann Hesse

Immerhin fällt die Summe, die Kühn am Ende seines Lebens ziehen
kann, nicht ungünstig aus. „Wenn ich," sagt er einmal, „von außen her über
mein Leben weg schaue, sieht es nicht besonders glücklich aus. Doch darf ich
es noch weniger unglücklich heißen, trotz aller Irrtümer. Es ist am Ende auch
ganz töricht, so nach Glück und Unglück zu fragen, denn mir scheint, die un¬
glücklichsten Tage meines Lebens gäbe ich schwerer hin als alle heiteren. Wenn
es in einem Menschenleben darauf ankommt, das Unabwendbare mit Bewußtsein
hinzunehmen, das Gute und Uhle recht auszukosten und sich neben dem äußeren
ein inneres, eigentlicheres, nicht zufälliges Schicksal zu erobern, so war mein
Leben nicht arm und nicht schlecht."

Was ist natürlicher, als daß alle diese Gedanken auch die gesamte Hessesche
Lyrik durchdringen und beherrschen! Frauenliebe erscheint auch in ihnen als
ein Born reichen Glücks („Lieder"), und selbst wenn sie unglücklich oder ohne
Erfolg ist, hat doch noch die Erinnerung an sie Beseligendes genug! Und dann
ist ja auch noch der Tröster Wein da, der schon den armen Peter Camenzind
über Liebeskummer hinweghalf und es auch-hier tut („Einem Kameraden"),
der den Dichter zum König trotz aller Armut macht, und ihn der Heimat, „des
Sternenhimmels weiten Räumen, dem Land der Träume", zuführt. Erfüllung
freilich vermag er dem Trinker nicht zu geben und nicht die Weisheit, die er
„nächtelang, die Stirn in heißer Hand, aus den Büchern gesucht"; doch läßt
er ihn immerhin einen Trost gewinnein


(„Der Trinker.")

Sollte aber dieser Trost nicht so viel mehr wert sein als die Erfüllung?

Im Mittelpunkt der Lyrik steht wiederum durchaus die Klage um die
entschwundene Jugend, der Hesse in immer neuen, ungehörten Tönen und
Nuancen Ausdruck zu geben nicht müde wird. Da trauert er bald um den
unwiederbringlichen Verlust seiner frohen, seligen Kinderzeit, da noch keine
quälenden Zweifel die bange Seele zerrissen, bald wünscht er wieder mit
flehenden Worten seine Jugend herbei mit all ihrer Sehnsucht und ihrem
Begehren, das Unergründliche zu ergründen und das kleine Selbst mit dem
Ewigen, Unendlichen zu vereinen, an der ihm gerade diese ungestillte Sehnsucht
das Köstlichste und Beste erscheint*), diese Sehnsucht, wie sie ähnlich Bernhard
Kellermann in seinem „Achter und Li" so vortrefflich zu analysieren und vsycho-




Ich denke an Gedichte wie „Lieder", „Noch ist mein Leben der Erfüllung bar",
„Reine Lust", „Venezianische Gondelgespräche IV" und ähnliche-"
Berlin, S. Mischers Verlag, wo auch Hermann Hesses Romane „Peter Camenzind
und „Unterm Rad" sowie seine Novellenbände „Diesseits" und „Nachbarn" erschienen sind.
Hasses „Gedichte" verlegte G. Grote zu Berlin, den Roman „Gertrud" Albert Langen zu
München.
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[0496] ?er Glücksgedanlo bei Hermann Hesse Immerhin fällt die Summe, die Kühn am Ende seines Lebens ziehen kann, nicht ungünstig aus. „Wenn ich," sagt er einmal, „von außen her über mein Leben weg schaue, sieht es nicht besonders glücklich aus. Doch darf ich es noch weniger unglücklich heißen, trotz aller Irrtümer. Es ist am Ende auch ganz töricht, so nach Glück und Unglück zu fragen, denn mir scheint, die un¬ glücklichsten Tage meines Lebens gäbe ich schwerer hin als alle heiteren. Wenn es in einem Menschenleben darauf ankommt, das Unabwendbare mit Bewußtsein hinzunehmen, das Gute und Uhle recht auszukosten und sich neben dem äußeren ein inneres, eigentlicheres, nicht zufälliges Schicksal zu erobern, so war mein Leben nicht arm und nicht schlecht." Was ist natürlicher, als daß alle diese Gedanken auch die gesamte Hessesche Lyrik durchdringen und beherrschen! Frauenliebe erscheint auch in ihnen als ein Born reichen Glücks („Lieder"), und selbst wenn sie unglücklich oder ohne Erfolg ist, hat doch noch die Erinnerung an sie Beseligendes genug! Und dann ist ja auch noch der Tröster Wein da, der schon den armen Peter Camenzind über Liebeskummer hinweghalf und es auch-hier tut („Einem Kameraden"), der den Dichter zum König trotz aller Armut macht, und ihn der Heimat, „des Sternenhimmels weiten Räumen, dem Land der Träume", zuführt. Erfüllung freilich vermag er dem Trinker nicht zu geben und nicht die Weisheit, die er „nächtelang, die Stirn in heißer Hand, aus den Büchern gesucht"; doch läßt er ihn immerhin einen Trost gewinnein („Der Trinker.") Sollte aber dieser Trost nicht so viel mehr wert sein als die Erfüllung? Im Mittelpunkt der Lyrik steht wiederum durchaus die Klage um die entschwundene Jugend, der Hesse in immer neuen, ungehörten Tönen und Nuancen Ausdruck zu geben nicht müde wird. Da trauert er bald um den unwiederbringlichen Verlust seiner frohen, seligen Kinderzeit, da noch keine quälenden Zweifel die bange Seele zerrissen, bald wünscht er wieder mit flehenden Worten seine Jugend herbei mit all ihrer Sehnsucht und ihrem Begehren, das Unergründliche zu ergründen und das kleine Selbst mit dem Ewigen, Unendlichen zu vereinen, an der ihm gerade diese ungestillte Sehnsucht das Köstlichste und Beste erscheint*), diese Sehnsucht, wie sie ähnlich Bernhard Kellermann in seinem „Achter und Li" so vortrefflich zu analysieren und vsycho- Ich denke an Gedichte wie „Lieder", „Noch ist mein Leben der Erfüllung bar", „Reine Lust", „Venezianische Gondelgespräche IV" und ähnliche-" Berlin, S. Mischers Verlag, wo auch Hermann Hesses Romane „Peter Camenzind und „Unterm Rad" sowie seine Novellenbände „Diesseits" und „Nachbarn" erschienen sind. Hasses „Gedichte" verlegte G. Grote zu Berlin, den Roman „Gertrud" Albert Langen zu München.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/496>, abgerufen am 29.05.2024.