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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Die deutsche Malerei der Gegcinvart

Ein Abbild dessen, was Hans von Marees, der unverstanden gestorbene,
gewollt und erreicht hat, bieten uns noch heute die anmutigen Idyllen Ludwig
von Hofmanns. Schöne Menschen in schöner Landschaft ist das Programm beider
(banal ausgedrückt); aber während Marsch es in grüblerisch tiefer Monumentalität
erfaßt, verwandelt es sich unter den Händen Hofmanns in liebliche Idyllen.
Seine unbekleideten Menschen leben in einem selig unirdischen Arkadien; und
mit den zarten Pastellfarben dieser Träume bereichert er unser Glücksempfinden
fast mit jedem neuen Werk, das er schafft. Hofmann hat nicht viele Maler
neben sich, die mit so viel Recht den Titel des "Idealen" tragen. Und was
von der Nachfolge Marsch in direktem Sinne uns blieb, ist wenig bisher:
außer seinem einzigen Schüler K. von Pidoll, der inzwischen gestorben, die alter-
tümelnden Malereien und Radierungen von Fritz Boehle. Doch lebt in diesem
Künstler weniger der Geist Maroes als eine starke Manier, deutsche und
italienische Nenaissancemeister, Dürer, Mantegna und ebenso gut Böcklin zu einer
linearen Kunst von harter Männlichkeit zu verschmelzen, deren Reiz gar nicht
in der Farbe, viel mehr in einer gewallten Herbigkeit der Konturen liegt.

Während die edle Klassizität Feuerbachs kaum mehr in unserer heutigen
Kunst zu spüren ist, nur Fragmente von ihr in Klinger und Greiner fortleben
und eine im tiefsten Wesen unkünstlerische Karrikatur bei Zeichnern wie Stassen
und Fidus aus ihr geworden ist, klingt Böcklins gewaltige Eigenwilligkeit
bedeutsam, doch nicht immer segensreich nach. Sie wirkt vor allein in Klinger
und Greiner und all denen, die ihnen folgen. Es ist ein dem Malerischen Ent¬
gegengesetztes, was diese eint: das Vorherrschen einer Idee, eines hohen religiösen
oder mythischen Gedankens, der vor allem nach Verdeutlichung strebt; und dieser
Deutlichkeit des Gedankens wird unbedenklich das eigentliche Lebenselement des
Gemäldes, die Farbe, geopfert. Man sieht es klar bei so markanten und geistig
bedeutenden Schöpfungen wie Klingers "Christus im Olymp", "Urteil des
Paris" und "Homer" (in der Leipziger Universität), bei Otto Grciners "Odysseus
und die Sirenen". Unklar spürt hier wohl jeder einen Riß; es ist ein Gegensatz
nicht nur zwischen der scharfen Zeichnung und der kalten abweisender Farbe, sondern
auch zwischen der Absicht, etwas menschlich Großes zu schildern, und dem peinlichen
Naturalismus, mit dem beliebige Modelle als Götter und Heroen fungieren
müssen. Christus z. B. hat es leicht, über die Heidengötter zu siegen; denn
das sind nicht die idealen Gestalten, die wir von den antiken Statuen her keimen,
sondern armselige und zum Teil abstoßende Aktfiguren, die man eher zur Dar¬
stellung menschlichen Elends oder Verbrechertums verwendet zu sehen erwartet.
Wenn Böcklin zerzauste Gestalten malte, so waren es Räuber oder Kentauren
oder dergleichen menschliches und göttliches Gelichter. Und Feuerbach hat uns
gezeigt, wie man Helden groß und heldisch und doch ergreifend wahr darstellen
kann. In Klingers Zeus, in Greiners Sirenen rächt sich eine realistisch gesinnte
Zeitrichtung dafür, daß man sie mit Gewalt idealistisch machen will. Solche
Gestalten läßt man sich willig in Licbermcmns Altmännerhaus, in Abtes Bauern-


Die deutsche Malerei der Gegcinvart

Ein Abbild dessen, was Hans von Marees, der unverstanden gestorbene,
gewollt und erreicht hat, bieten uns noch heute die anmutigen Idyllen Ludwig
von Hofmanns. Schöne Menschen in schöner Landschaft ist das Programm beider
(banal ausgedrückt); aber während Marsch es in grüblerisch tiefer Monumentalität
erfaßt, verwandelt es sich unter den Händen Hofmanns in liebliche Idyllen.
Seine unbekleideten Menschen leben in einem selig unirdischen Arkadien; und
mit den zarten Pastellfarben dieser Träume bereichert er unser Glücksempfinden
fast mit jedem neuen Werk, das er schafft. Hofmann hat nicht viele Maler
neben sich, die mit so viel Recht den Titel des „Idealen" tragen. Und was
von der Nachfolge Marsch in direktem Sinne uns blieb, ist wenig bisher:
außer seinem einzigen Schüler K. von Pidoll, der inzwischen gestorben, die alter-
tümelnden Malereien und Radierungen von Fritz Boehle. Doch lebt in diesem
Künstler weniger der Geist Maroes als eine starke Manier, deutsche und
italienische Nenaissancemeister, Dürer, Mantegna und ebenso gut Böcklin zu einer
linearen Kunst von harter Männlichkeit zu verschmelzen, deren Reiz gar nicht
in der Farbe, viel mehr in einer gewallten Herbigkeit der Konturen liegt.

Während die edle Klassizität Feuerbachs kaum mehr in unserer heutigen
Kunst zu spüren ist, nur Fragmente von ihr in Klinger und Greiner fortleben
und eine im tiefsten Wesen unkünstlerische Karrikatur bei Zeichnern wie Stassen
und Fidus aus ihr geworden ist, klingt Böcklins gewaltige Eigenwilligkeit
bedeutsam, doch nicht immer segensreich nach. Sie wirkt vor allein in Klinger
und Greiner und all denen, die ihnen folgen. Es ist ein dem Malerischen Ent¬
gegengesetztes, was diese eint: das Vorherrschen einer Idee, eines hohen religiösen
oder mythischen Gedankens, der vor allem nach Verdeutlichung strebt; und dieser
Deutlichkeit des Gedankens wird unbedenklich das eigentliche Lebenselement des
Gemäldes, die Farbe, geopfert. Man sieht es klar bei so markanten und geistig
bedeutenden Schöpfungen wie Klingers „Christus im Olymp", „Urteil des
Paris" und „Homer" (in der Leipziger Universität), bei Otto Grciners „Odysseus
und die Sirenen". Unklar spürt hier wohl jeder einen Riß; es ist ein Gegensatz
nicht nur zwischen der scharfen Zeichnung und der kalten abweisender Farbe, sondern
auch zwischen der Absicht, etwas menschlich Großes zu schildern, und dem peinlichen
Naturalismus, mit dem beliebige Modelle als Götter und Heroen fungieren
müssen. Christus z. B. hat es leicht, über die Heidengötter zu siegen; denn
das sind nicht die idealen Gestalten, die wir von den antiken Statuen her keimen,
sondern armselige und zum Teil abstoßende Aktfiguren, die man eher zur Dar¬
stellung menschlichen Elends oder Verbrechertums verwendet zu sehen erwartet.
Wenn Böcklin zerzauste Gestalten malte, so waren es Räuber oder Kentauren
oder dergleichen menschliches und göttliches Gelichter. Und Feuerbach hat uns
gezeigt, wie man Helden groß und heldisch und doch ergreifend wahr darstellen
kann. In Klingers Zeus, in Greiners Sirenen rächt sich eine realistisch gesinnte
Zeitrichtung dafür, daß man sie mit Gewalt idealistisch machen will. Solche
Gestalten läßt man sich willig in Licbermcmns Altmännerhaus, in Abtes Bauern-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/521>, abgerufen am 31.05.2024.