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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Die Ansiedlungskommission und die Enteignung

gegenüber dein Polentume fördern, andernfalls kommt es zum Rückschritte. Von
diesem Gesichtspunkte aus muß die Tätigkeit der Ansiedlungskommission zu einer
Verstärkung des deutschen, zu einer Schwächung des polnischen Anteils führen,
mag man noch so sehr den Verteidigungszweck des Gesetzes betonen; oder die
Ansiedlung hat nur wenig Zweck. Die Förderung des deutschen Elements
wollte das Gesetz vom 26. April 1886 durch Ansiedlung deutscher Bauern und
Arbeiter erreichen; es sollten zu diesem Zwecke aus einem Fonds von 100 Mill.
Mark Grundstücke käuflich erworben werden, die Kosten der erstmaligen Ein¬
richtung neuer Stellen von mittlerem oder kleinern Umfange sowie der erst¬
maligen Regelung der Gemeinde-, Kirchen- und Schulverhältnisse bestritten
werden. Die Überlassung der Stellen sollte gegen eine angemessene Ent¬
schädigung des Staates erfolgen. Es wurde ferner die Bildung von Nenten-
gütern vorgesehen, deren Nentenablösung nur mit Zustimmung des Staats und
des Gutsinhabers zulässig war. Niemand ahnte damals die Bedeutung der
Frage, welche das neue Gesetz anschnitt. Die Summe von nur 100 Millionen
mutet uns lächerlich gering an. Auch glaubte man, daß die Ansiedlung eine
vorübergehende Tätigkeit sein sollte, denn das Gesetz bestimmte ausdrücklich, daß
die Einnahmen aus der Besiedlung (Renten, Pachtzins, Verkaufspreis) nur bis
zum ZI. März 1907 in den Ansiedlungsfonds zurückfließen, danach aber den
allgemeinen Staatseinnahmen zutreten sollten.

In den ersten Jahren kaufte die Kommission hauptsächlich von Polen. Um
diesen nicht dadurch zu große gelbliche Vorteile vor den Deutschen zukommen
zu lassen, kaufte man später auch von den Deutschen, schließlich infolge des
polnischen Boycotts fast ausschließlich von Deutschen. Deshalb sind von den
bis 1910 angekauften 385460 ira nur 110914 den oder 28,8 Prozent aus
polnischer Hand, im Jahre 1910 von 14898 ira sogar nur 1366 Ka oder
9,2 Prozent aus polnischer Hand erworben.

Bei der Besiedlung zeigte es sich, daß die Verwendung der Gutsgebäude
öfters Schwierigkeiten machte, daß sie zur Bildung mittlerer und kleiner Stellen
nicht verwendbar waren. Deshalb fügte man in dem ersten Ergünzungsgesetz
vom 20. April 1898. durch welches mau den Ansiedlungsfonds auf 200 Mill.
Mark erhöhte, als weitere, aber ausnahmsweise Tätigkeit die Bildung größerer
Nestgüter ein und strich die Zeitbegrenzung bis zum 31. März 1907. Es setzte
eine verstärkte Besiedlungstätigkeit ein. Im Jahre 1902 war abermals eine
Erhöhung des Fonds nötig. Das Gesetz vom 1. Juli 1902, betreffend Ma߬
nahmen zur Stärkung des Deutschtums in den Provinzen Westpreußen und
Posen stellte der Negierung einen Fonds von 100 Mill. Mark zur Erwerbung
von Staatsdomänen und Staatsforsten zur Verfügung und erhöhte, was hier
interessiert, den Ansiedlungsfonds auf 350 Mill. Mark.

Im Jahre 1908, am 20. März, erschien ein neues, sehr wichtiges Gesetz
über Maßnahmen zur Stärkung des Deutschtums in den Provinzen Westpreußen
und Posen. Der Domänenfonds wurde auf 125 Mill. Mark, der Ansiedlungs-


Die Ansiedlungskommission und die Enteignung

gegenüber dein Polentume fördern, andernfalls kommt es zum Rückschritte. Von
diesem Gesichtspunkte aus muß die Tätigkeit der Ansiedlungskommission zu einer
Verstärkung des deutschen, zu einer Schwächung des polnischen Anteils führen,
mag man noch so sehr den Verteidigungszweck des Gesetzes betonen; oder die
Ansiedlung hat nur wenig Zweck. Die Förderung des deutschen Elements
wollte das Gesetz vom 26. April 1886 durch Ansiedlung deutscher Bauern und
Arbeiter erreichen; es sollten zu diesem Zwecke aus einem Fonds von 100 Mill.
Mark Grundstücke käuflich erworben werden, die Kosten der erstmaligen Ein¬
richtung neuer Stellen von mittlerem oder kleinern Umfange sowie der erst¬
maligen Regelung der Gemeinde-, Kirchen- und Schulverhältnisse bestritten
werden. Die Überlassung der Stellen sollte gegen eine angemessene Ent¬
schädigung des Staates erfolgen. Es wurde ferner die Bildung von Nenten-
gütern vorgesehen, deren Nentenablösung nur mit Zustimmung des Staats und
des Gutsinhabers zulässig war. Niemand ahnte damals die Bedeutung der
Frage, welche das neue Gesetz anschnitt. Die Summe von nur 100 Millionen
mutet uns lächerlich gering an. Auch glaubte man, daß die Ansiedlung eine
vorübergehende Tätigkeit sein sollte, denn das Gesetz bestimmte ausdrücklich, daß
die Einnahmen aus der Besiedlung (Renten, Pachtzins, Verkaufspreis) nur bis
zum ZI. März 1907 in den Ansiedlungsfonds zurückfließen, danach aber den
allgemeinen Staatseinnahmen zutreten sollten.

In den ersten Jahren kaufte die Kommission hauptsächlich von Polen. Um
diesen nicht dadurch zu große gelbliche Vorteile vor den Deutschen zukommen
zu lassen, kaufte man später auch von den Deutschen, schließlich infolge des
polnischen Boycotts fast ausschließlich von Deutschen. Deshalb sind von den
bis 1910 angekauften 385460 ira nur 110914 den oder 28,8 Prozent aus
polnischer Hand, im Jahre 1910 von 14898 ira sogar nur 1366 Ka oder
9,2 Prozent aus polnischer Hand erworben.

Bei der Besiedlung zeigte es sich, daß die Verwendung der Gutsgebäude
öfters Schwierigkeiten machte, daß sie zur Bildung mittlerer und kleiner Stellen
nicht verwendbar waren. Deshalb fügte man in dem ersten Ergünzungsgesetz
vom 20. April 1898. durch welches mau den Ansiedlungsfonds auf 200 Mill.
Mark erhöhte, als weitere, aber ausnahmsweise Tätigkeit die Bildung größerer
Nestgüter ein und strich die Zeitbegrenzung bis zum 31. März 1907. Es setzte
eine verstärkte Besiedlungstätigkeit ein. Im Jahre 1902 war abermals eine
Erhöhung des Fonds nötig. Das Gesetz vom 1. Juli 1902, betreffend Ma߬
nahmen zur Stärkung des Deutschtums in den Provinzen Westpreußen und
Posen stellte der Negierung einen Fonds von 100 Mill. Mark zur Erwerbung
von Staatsdomänen und Staatsforsten zur Verfügung und erhöhte, was hier
interessiert, den Ansiedlungsfonds auf 350 Mill. Mark.

Im Jahre 1908, am 20. März, erschien ein neues, sehr wichtiges Gesetz
über Maßnahmen zur Stärkung des Deutschtums in den Provinzen Westpreußen
und Posen. Der Domänenfonds wurde auf 125 Mill. Mark, der Ansiedlungs-


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[0062] Die Ansiedlungskommission und die Enteignung gegenüber dein Polentume fördern, andernfalls kommt es zum Rückschritte. Von diesem Gesichtspunkte aus muß die Tätigkeit der Ansiedlungskommission zu einer Verstärkung des deutschen, zu einer Schwächung des polnischen Anteils führen, mag man noch so sehr den Verteidigungszweck des Gesetzes betonen; oder die Ansiedlung hat nur wenig Zweck. Die Förderung des deutschen Elements wollte das Gesetz vom 26. April 1886 durch Ansiedlung deutscher Bauern und Arbeiter erreichen; es sollten zu diesem Zwecke aus einem Fonds von 100 Mill. Mark Grundstücke käuflich erworben werden, die Kosten der erstmaligen Ein¬ richtung neuer Stellen von mittlerem oder kleinern Umfange sowie der erst¬ maligen Regelung der Gemeinde-, Kirchen- und Schulverhältnisse bestritten werden. Die Überlassung der Stellen sollte gegen eine angemessene Ent¬ schädigung des Staates erfolgen. Es wurde ferner die Bildung von Nenten- gütern vorgesehen, deren Nentenablösung nur mit Zustimmung des Staats und des Gutsinhabers zulässig war. Niemand ahnte damals die Bedeutung der Frage, welche das neue Gesetz anschnitt. Die Summe von nur 100 Millionen mutet uns lächerlich gering an. Auch glaubte man, daß die Ansiedlung eine vorübergehende Tätigkeit sein sollte, denn das Gesetz bestimmte ausdrücklich, daß die Einnahmen aus der Besiedlung (Renten, Pachtzins, Verkaufspreis) nur bis zum ZI. März 1907 in den Ansiedlungsfonds zurückfließen, danach aber den allgemeinen Staatseinnahmen zutreten sollten. In den ersten Jahren kaufte die Kommission hauptsächlich von Polen. Um diesen nicht dadurch zu große gelbliche Vorteile vor den Deutschen zukommen zu lassen, kaufte man später auch von den Deutschen, schließlich infolge des polnischen Boycotts fast ausschließlich von Deutschen. Deshalb sind von den bis 1910 angekauften 385460 ira nur 110914 den oder 28,8 Prozent aus polnischer Hand, im Jahre 1910 von 14898 ira sogar nur 1366 Ka oder 9,2 Prozent aus polnischer Hand erworben. Bei der Besiedlung zeigte es sich, daß die Verwendung der Gutsgebäude öfters Schwierigkeiten machte, daß sie zur Bildung mittlerer und kleiner Stellen nicht verwendbar waren. Deshalb fügte man in dem ersten Ergünzungsgesetz vom 20. April 1898. durch welches mau den Ansiedlungsfonds auf 200 Mill. Mark erhöhte, als weitere, aber ausnahmsweise Tätigkeit die Bildung größerer Nestgüter ein und strich die Zeitbegrenzung bis zum 31. März 1907. Es setzte eine verstärkte Besiedlungstätigkeit ein. Im Jahre 1902 war abermals eine Erhöhung des Fonds nötig. Das Gesetz vom 1. Juli 1902, betreffend Ma߬ nahmen zur Stärkung des Deutschtums in den Provinzen Westpreußen und Posen stellte der Negierung einen Fonds von 100 Mill. Mark zur Erwerbung von Staatsdomänen und Staatsforsten zur Verfügung und erhöhte, was hier interessiert, den Ansiedlungsfonds auf 350 Mill. Mark. Im Jahre 1908, am 20. März, erschien ein neues, sehr wichtiges Gesetz über Maßnahmen zur Stärkung des Deutschtums in den Provinzen Westpreußen und Posen. Der Domänenfonds wurde auf 125 Mill. Mark, der Ansiedlungs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/62>, abgerufen am 15.05.2024.