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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Die Ansiedlungskommission und die Enteignung

fonds um weitere 200 Mill. Mark erhöht. Es wurde jedoch bestimmt, daß
75 Mill. Mark hiervon zur Umwandlung bäuerlicher Güter in Anfiedlungs-
rentengüter und zur Förderung der Seßhaftmachung von Arbeitern auf dem
Lande seitens der Ansiedlungskommission verwendet werden sollten. Es wurde
ferner die Bildung größerer Restgüter allgemein, also ohne Einschränkung, für
zulässig erklärt. Man hatte nämlich durch die Zerteilung kreistagfähiger Güter
deutsche Mehrheiten in den Kreistagen verringert, bisweilen gar gefährdet.
Fortan konnte man als Restgut ein kreistagfähiges liegen lassen und brauchte
nur den Teil auszuteilen, der das Mindestmaß eines solchen Guts überstieg.
Im landwirtschaftlichen, sozialen und allgemein-politischen Interesse liegt es ja
auch, den Großgrundbesitz nicht zu sehr zu verringern. Neu ist, daß von 1908
ab die Ansiedlungskommission nicht nur selbst Arbeiter ansiedelt, sondern auch
die Ansiedlung durch andere Gesellschaften oder durch Privatpersonen auf großen
Gütern durch Prämien fördern kann. Endlich wurden noch weitere 50 Mill.
Mark dazu ausgeworfen, um größere Güter mit der Bestimmung zu erwerben,
sie im ganzen oder geteilt als Rentengüter gegen vollständige Schadloshaltung
des Staats zu veräußern. Von den der Ansiedlungskommission insgesamt neu¬
bewilligten 250 Mill. Mark sollten also nur die Hälfte der Neuansiedlung, die
andere Hälfte der Besitzbefestigung, über die wir uns später unterhalten wollen,
dienen. Ferner wurde das Laientum gegenüber dem Beamtentum in der
Kommission verstärkt, so daß sie zurzeit aus demi Präsidenten Dr. Gramsch, den
beiden Oberprüsidenten von Posen und Westpreußen, sowie aus acht namhaften
Landwirten besteht.

Die Tätigkeit der Kommission umfaßt jetzt jederlei ländlicher Besiedlung,
bezieht sich aber nicht auf städtische, bebaute Hausgrundstücke und auf sonstige
nichtlandwirtschaftliche Besiedlung.

Am meisten Aufsehen erregte jedoch, daß das letzte Gesetz der Kommission
das Enteignungsrecht verlieh. Zum ersten Male im Deutschen Reiche wollte
man aus rein politischem, nicht aus Verkehrs- oder Gewerbeinteresse enteignen.
Die Kommission sollte durch Beschluß ein Grundstück zur Enteignung bezeichnen
können. Gegen den Beschluß steht den Beteiligten nur binnen zwei Wochen
seit der Bekanntgabe eine Beschwerde an die drei Minister für Landwirtschaft.
Domänen und Forsten, des Innern und der Finanzen zu. Noch vor Rechts¬
kraft kann die Ansiedlungskommission die Feststellung der Entschädigung bei der
Regierung beantragen. Der Regierungspräsident ernennt einen Kommissar, der
an Ort und Stelle mit den Interessenten verhandelt, Sachverständige hört, die
Beschaffenheit des Guts und Inventars feststellt. Danach bestimmt der Bezirks¬
ausschuß die Höhe der Entschädigung durch Beschluß. Ohne die Rechtskraft
abzuwarten, zahlt oder hinterlegt die Ansiedlungskommission den Preis, durch
neuen Beschluß wird ihr das Eigentum überwiesen und der Enteignungs¬
kommissar weist sie an Ort und Stelle in den Besitz ein. Binnen sechs Monaten
seit Feststellung der Entschädigung kann jeder Beteiligte vor dem ordentlichen


Die Ansiedlungskommission und die Enteignung

fonds um weitere 200 Mill. Mark erhöht. Es wurde jedoch bestimmt, daß
75 Mill. Mark hiervon zur Umwandlung bäuerlicher Güter in Anfiedlungs-
rentengüter und zur Förderung der Seßhaftmachung von Arbeitern auf dem
Lande seitens der Ansiedlungskommission verwendet werden sollten. Es wurde
ferner die Bildung größerer Restgüter allgemein, also ohne Einschränkung, für
zulässig erklärt. Man hatte nämlich durch die Zerteilung kreistagfähiger Güter
deutsche Mehrheiten in den Kreistagen verringert, bisweilen gar gefährdet.
Fortan konnte man als Restgut ein kreistagfähiges liegen lassen und brauchte
nur den Teil auszuteilen, der das Mindestmaß eines solchen Guts überstieg.
Im landwirtschaftlichen, sozialen und allgemein-politischen Interesse liegt es ja
auch, den Großgrundbesitz nicht zu sehr zu verringern. Neu ist, daß von 1908
ab die Ansiedlungskommission nicht nur selbst Arbeiter ansiedelt, sondern auch
die Ansiedlung durch andere Gesellschaften oder durch Privatpersonen auf großen
Gütern durch Prämien fördern kann. Endlich wurden noch weitere 50 Mill.
Mark dazu ausgeworfen, um größere Güter mit der Bestimmung zu erwerben,
sie im ganzen oder geteilt als Rentengüter gegen vollständige Schadloshaltung
des Staats zu veräußern. Von den der Ansiedlungskommission insgesamt neu¬
bewilligten 250 Mill. Mark sollten also nur die Hälfte der Neuansiedlung, die
andere Hälfte der Besitzbefestigung, über die wir uns später unterhalten wollen,
dienen. Ferner wurde das Laientum gegenüber dem Beamtentum in der
Kommission verstärkt, so daß sie zurzeit aus demi Präsidenten Dr. Gramsch, den
beiden Oberprüsidenten von Posen und Westpreußen, sowie aus acht namhaften
Landwirten besteht.

Die Tätigkeit der Kommission umfaßt jetzt jederlei ländlicher Besiedlung,
bezieht sich aber nicht auf städtische, bebaute Hausgrundstücke und auf sonstige
nichtlandwirtschaftliche Besiedlung.

Am meisten Aufsehen erregte jedoch, daß das letzte Gesetz der Kommission
das Enteignungsrecht verlieh. Zum ersten Male im Deutschen Reiche wollte
man aus rein politischem, nicht aus Verkehrs- oder Gewerbeinteresse enteignen.
Die Kommission sollte durch Beschluß ein Grundstück zur Enteignung bezeichnen
können. Gegen den Beschluß steht den Beteiligten nur binnen zwei Wochen
seit der Bekanntgabe eine Beschwerde an die drei Minister für Landwirtschaft.
Domänen und Forsten, des Innern und der Finanzen zu. Noch vor Rechts¬
kraft kann die Ansiedlungskommission die Feststellung der Entschädigung bei der
Regierung beantragen. Der Regierungspräsident ernennt einen Kommissar, der
an Ort und Stelle mit den Interessenten verhandelt, Sachverständige hört, die
Beschaffenheit des Guts und Inventars feststellt. Danach bestimmt der Bezirks¬
ausschuß die Höhe der Entschädigung durch Beschluß. Ohne die Rechtskraft
abzuwarten, zahlt oder hinterlegt die Ansiedlungskommission den Preis, durch
neuen Beschluß wird ihr das Eigentum überwiesen und der Enteignungs¬
kommissar weist sie an Ort und Stelle in den Besitz ein. Binnen sechs Monaten
seit Feststellung der Entschädigung kann jeder Beteiligte vor dem ordentlichen


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[0063] Die Ansiedlungskommission und die Enteignung fonds um weitere 200 Mill. Mark erhöht. Es wurde jedoch bestimmt, daß 75 Mill. Mark hiervon zur Umwandlung bäuerlicher Güter in Anfiedlungs- rentengüter und zur Förderung der Seßhaftmachung von Arbeitern auf dem Lande seitens der Ansiedlungskommission verwendet werden sollten. Es wurde ferner die Bildung größerer Restgüter allgemein, also ohne Einschränkung, für zulässig erklärt. Man hatte nämlich durch die Zerteilung kreistagfähiger Güter deutsche Mehrheiten in den Kreistagen verringert, bisweilen gar gefährdet. Fortan konnte man als Restgut ein kreistagfähiges liegen lassen und brauchte nur den Teil auszuteilen, der das Mindestmaß eines solchen Guts überstieg. Im landwirtschaftlichen, sozialen und allgemein-politischen Interesse liegt es ja auch, den Großgrundbesitz nicht zu sehr zu verringern. Neu ist, daß von 1908 ab die Ansiedlungskommission nicht nur selbst Arbeiter ansiedelt, sondern auch die Ansiedlung durch andere Gesellschaften oder durch Privatpersonen auf großen Gütern durch Prämien fördern kann. Endlich wurden noch weitere 50 Mill. Mark dazu ausgeworfen, um größere Güter mit der Bestimmung zu erwerben, sie im ganzen oder geteilt als Rentengüter gegen vollständige Schadloshaltung des Staats zu veräußern. Von den der Ansiedlungskommission insgesamt neu¬ bewilligten 250 Mill. Mark sollten also nur die Hälfte der Neuansiedlung, die andere Hälfte der Besitzbefestigung, über die wir uns später unterhalten wollen, dienen. Ferner wurde das Laientum gegenüber dem Beamtentum in der Kommission verstärkt, so daß sie zurzeit aus demi Präsidenten Dr. Gramsch, den beiden Oberprüsidenten von Posen und Westpreußen, sowie aus acht namhaften Landwirten besteht. Die Tätigkeit der Kommission umfaßt jetzt jederlei ländlicher Besiedlung, bezieht sich aber nicht auf städtische, bebaute Hausgrundstücke und auf sonstige nichtlandwirtschaftliche Besiedlung. Am meisten Aufsehen erregte jedoch, daß das letzte Gesetz der Kommission das Enteignungsrecht verlieh. Zum ersten Male im Deutschen Reiche wollte man aus rein politischem, nicht aus Verkehrs- oder Gewerbeinteresse enteignen. Die Kommission sollte durch Beschluß ein Grundstück zur Enteignung bezeichnen können. Gegen den Beschluß steht den Beteiligten nur binnen zwei Wochen seit der Bekanntgabe eine Beschwerde an die drei Minister für Landwirtschaft. Domänen und Forsten, des Innern und der Finanzen zu. Noch vor Rechts¬ kraft kann die Ansiedlungskommission die Feststellung der Entschädigung bei der Regierung beantragen. Der Regierungspräsident ernennt einen Kommissar, der an Ort und Stelle mit den Interessenten verhandelt, Sachverständige hört, die Beschaffenheit des Guts und Inventars feststellt. Danach bestimmt der Bezirks¬ ausschuß die Höhe der Entschädigung durch Beschluß. Ohne die Rechtskraft abzuwarten, zahlt oder hinterlegt die Ansiedlungskommission den Preis, durch neuen Beschluß wird ihr das Eigentum überwiesen und der Enteignungs¬ kommissar weist sie an Ort und Stelle in den Besitz ein. Binnen sechs Monaten seit Feststellung der Entschädigung kann jeder Beteiligte vor dem ordentlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/63>, abgerufen am 31.05.2024.