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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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in Teutschland nicht messen kann. Der Zusammenbruch des Jahres 1907 hat
Amerika so tiefe Wunden geschlagen, daß deren Ausheilung heute noch nicht
erfolgt ist. Daher die auffällige Stagnation im Wirtschaftsleben der Vereinigten
Staaten, welche durch die politischen Kämpfe gegen die Herrschaft der Trusts
noch verstärkt wurde. Das Vorgehen der Regierung gegen die Finanzmagnaten,
die Auflösung der Standard Oil Company und des Tabaktrusts, die Unter¬
suchung gegen deu Skeet- und den sogenannten Geldtruhe haben eine abschreckende
Wirkung auf die Unternehmungslust ausgeübt und eine Zurückhaltung herbei¬
geführt, die gar nicht amerikanisch anmutet. Erst in allerjüngster Zeit macheu
sich deutliche Zeichen einer Besserung bemerkbar. Untrüglich läßt sich das an
dem Wiedererwachen der New-Iorker Börse verfolgen. Mit den steigenden
Kursen ist, wie die täglichen Umsätze zeigen, neues Leben in Wall Street ein¬
gekehrt, und mit der gewohnten Energie und dem starken Optimismus des
Amerikaners wird man drüben unzweifelhaft alle Kräfte anspannen, um den
Vorsprung gegen die Rivalen auf dem Weltmarkte wieder zu vergrößern. Es
ist nämlich geradezu auffallend, wie die Entwicklungslinie des Wirtschaftslebens
in Amerika und Deutschland während der letzten vier Jahre verschieden verläuft:
hier in scharf ansteigender, dort in abwärts gerichteter Kurve. Nach einer
jüngst veröffentlichten Statistik hat während dieses Zeitraumes beispielsweise die
Roheisenerzeugung Deutschlands uni 19 Prozent zu-, die Amerikas um 10 Prozent
abgenommen. Dementsprechend ist die Arbeiterzahl in den deutschen montan¬
industriellen Betrieben gewachsen, in den amerikanischen zurückgegangen. Noch
auffallender ist der Unterschied in der Entwicklung der Elektrizitätsindustrie, die
in Deutschland, begünstigt durch die Leistungsfähigkeit der großen Konzerne der
A. E. G. und Siemers - Schuckert, ein phänomenales Wachstum zeigt. Die
Eisenbahneinnahmen haben sich prozentual während dieser Zeit fast doppelt so
rasch vermehrt als in Amerika, und die gleiche Erscheinung läßt sich schließlich
im Geld- und Kreditwesen wie im Börsenverkehr verfolgen. In Deutschland
überall eine Steigerung von gewaltigem Umfang, in Amerika ein mehr oder
weniger scharf ausgeprägter Rückgang. Diese Signatur des amerikanischen
Wirtschaftslebens macht es auch erklärlich, daß New Uork, das sonst ein oft
unbequemer Kostgänger der europäischen Geldmärkte gewesen ist, jetzt als Geld¬
geber auftritt und mit seinein Überfluß unserem Mangel abhilft. Indessen
dürfte hier bald ein Nollenwechsel eintreten, sobald die Lebhaftigkeit des Ge¬
schäftes in Amerika nur einige Zeit anhält.

Die Vorboten zeigen sich bereits: Die starken Surplusreserven der New
Uorker Charinghouse-Benken, die noch Anfang Februar etwa 50 Millionen
Dollar betrugen, sind bis auf einen kargen Nest aufgezehrt, und die Zeit ist
wohl nicht mehr fern, wo an Stelle des Surplus ein beträchtliches Minus
erscheint. Dann werden die amerikanischen Guthaben in Deutschland verschwinden,
und die europäischen Zentralbauten werden darauf Bedacht nehmen müssen, sich
gegen die transatlantischen Kreditansprüche zu wappnen. Unser Geldmarkt wird


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in Teutschland nicht messen kann. Der Zusammenbruch des Jahres 1907 hat
Amerika so tiefe Wunden geschlagen, daß deren Ausheilung heute noch nicht
erfolgt ist. Daher die auffällige Stagnation im Wirtschaftsleben der Vereinigten
Staaten, welche durch die politischen Kämpfe gegen die Herrschaft der Trusts
noch verstärkt wurde. Das Vorgehen der Regierung gegen die Finanzmagnaten,
die Auflösung der Standard Oil Company und des Tabaktrusts, die Unter¬
suchung gegen deu Skeet- und den sogenannten Geldtruhe haben eine abschreckende
Wirkung auf die Unternehmungslust ausgeübt und eine Zurückhaltung herbei¬
geführt, die gar nicht amerikanisch anmutet. Erst in allerjüngster Zeit macheu
sich deutliche Zeichen einer Besserung bemerkbar. Untrüglich läßt sich das an
dem Wiedererwachen der New-Iorker Börse verfolgen. Mit den steigenden
Kursen ist, wie die täglichen Umsätze zeigen, neues Leben in Wall Street ein¬
gekehrt, und mit der gewohnten Energie und dem starken Optimismus des
Amerikaners wird man drüben unzweifelhaft alle Kräfte anspannen, um den
Vorsprung gegen die Rivalen auf dem Weltmarkte wieder zu vergrößern. Es
ist nämlich geradezu auffallend, wie die Entwicklungslinie des Wirtschaftslebens
in Amerika und Deutschland während der letzten vier Jahre verschieden verläuft:
hier in scharf ansteigender, dort in abwärts gerichteter Kurve. Nach einer
jüngst veröffentlichten Statistik hat während dieses Zeitraumes beispielsweise die
Roheisenerzeugung Deutschlands uni 19 Prozent zu-, die Amerikas um 10 Prozent
abgenommen. Dementsprechend ist die Arbeiterzahl in den deutschen montan¬
industriellen Betrieben gewachsen, in den amerikanischen zurückgegangen. Noch
auffallender ist der Unterschied in der Entwicklung der Elektrizitätsindustrie, die
in Deutschland, begünstigt durch die Leistungsfähigkeit der großen Konzerne der
A. E. G. und Siemers - Schuckert, ein phänomenales Wachstum zeigt. Die
Eisenbahneinnahmen haben sich prozentual während dieser Zeit fast doppelt so
rasch vermehrt als in Amerika, und die gleiche Erscheinung läßt sich schließlich
im Geld- und Kreditwesen wie im Börsenverkehr verfolgen. In Deutschland
überall eine Steigerung von gewaltigem Umfang, in Amerika ein mehr oder
weniger scharf ausgeprägter Rückgang. Diese Signatur des amerikanischen
Wirtschaftslebens macht es auch erklärlich, daß New Uork, das sonst ein oft
unbequemer Kostgänger der europäischen Geldmärkte gewesen ist, jetzt als Geld¬
geber auftritt und mit seinein Überfluß unserem Mangel abhilft. Indessen
dürfte hier bald ein Nollenwechsel eintreten, sobald die Lebhaftigkeit des Ge¬
schäftes in Amerika nur einige Zeit anhält.

Die Vorboten zeigen sich bereits: Die starken Surplusreserven der New
Uorker Charinghouse-Benken, die noch Anfang Februar etwa 50 Millionen
Dollar betrugen, sind bis auf einen kargen Nest aufgezehrt, und die Zeit ist
wohl nicht mehr fern, wo an Stelle des Surplus ein beträchtliches Minus
erscheint. Dann werden die amerikanischen Guthaben in Deutschland verschwinden,
und die europäischen Zentralbauten werden darauf Bedacht nehmen müssen, sich
gegen die transatlantischen Kreditansprüche zu wappnen. Unser Geldmarkt wird


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/163>, abgerufen am 17.06.2024.